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Schweisgut ortet Glaubwürdigkeitsproblem der EU. | UN-Sitz für die Europäische Union als langfristiges Ziel. | "Wiener Zeitung": Immer wieder entsteht der Eindruck, dass die Union sich schwer tut, eine gemeinsame Linie in der Außenpolitik zu finden. Welche Position können Sie in solchen Fällen künftig als EU-Delegationschef in Japan vertreten?
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Hans Dietmar Schweisgut: In vielen außen- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten hat die EU eine völlig einheitliche Position. Die Hauptfrage ist, ob die Union auch in der Lage ist, diesen Standpunkt mit dem entsprechenden Nachdruck gegenüber ihren strategischen Partnern wie China, Russland, USA und Japan zu vertreten. Schließlich geht das Gewicht Europas in der Welt unaufhaltsam zurück, wenn man die Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung betrachtet. Deswegen sind auch große Mitgliedstaaten nicht mehr in der Lage, mit demselben Gewicht Außenpolitik zu machen wie früher. Daher gibt es auch dort das Bewusstsein, dass europäische Interessen nur gemeinsam vertreten werden können. Nach einer Übergangsperiode beim Aufbau des Europäischen Auswärtigen Dienstes werden die Partner sehen, dass es die Europäer ernster meinen.
Heißt das, dass uns große Länder wie China heute nicht ganz ernst nehmen?
Nein. Die EU wird in China schon ernst genommen. Doch wir haben ein Kommunikations- und Glaubwürdigkeitsproblem, wenn der Eindruck entsteht, dass die EU die Menschenrechte wichtiger nimmt, als es die einzelnen Mitgliedstaaten tun. Das betrifft auch andere Bereiche. Wenn also Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso bestimmte Positionen vertreten, müssen diese die volle Rückendeckung aller 27 Mitgliedstaaten haben. Es geht um eine viel stärkere Rückkoppelung bilateraler Außen- und Außenwirtschaftspolitik mit den Standpunkten, die auf europäischer Ebene vereinbart wurden.
Große EU-Länder haben also nicht mehr das außenpolitische Gewicht wie früher, in der UNO aber im Gegensatz zur EU ein Rederecht. Ist das nicht ein Widerspruch?
Bei der UNO haben wir die Situation, dass ihre Institutionen und insbesondere der Sicherheitsrat die unmittelbare Nachkriegsordnung repräsentieren. Das ist extrem schwierig zu ändern, weil kein Land auf einflussreiche Positionen verzichten will.
Sollten Frankreich und Großbritannien zu Gunsten der EU verzichten?
Ein langfristiges Ziel wäre sicher ein einziger UN-Sitz für die EU. Das käme der europäischen Realität näher, wenn die Integration ernst gemeint ist.
In wichtigen Bereichen wie beim Kosovo oder der Türkei sind wichtige Mitgliedstaaten immer noch unterschiedlicher Meinung. Wie kann es dann eine gemeinsame Außenpolitik geben?
Beim Kosovo gibt es eine einheitliche Politik von 22 Staaten, worunter alle großen sind. Sowohl bei der Unabhängigkeit als auch jetzt bei der UN-Resolution Serbiens in der Folge des IGH-Urteils hat es eine einheitliche EU-Politik gegeben, obwohl fünf Mitgliedstaaten den Kosovo noch nicht anerkannt haben. Wir sind also gemeinsam handlungsfähig, auch wenn wir nicht einer Meinung sind.
Bei der Türkei gibt es Differenzen zwischen den größten Mitgliedstaaten: Die Briten wollen den Beitritt, die Deutschen, Franzosen und auch die Österreicher eher nicht.
Hier muss man zwei Dinge unterscheiden. Das eine sind die schwierigen Beitrittsverhandlungen, wo es unterschiedliche Meinungen über das mögliche Endergebnis gibt. Gleichzeitig gibt es vollkommenes Einverständnis darüber, dass die Türkei ein wichtiger und unverzichtbarer strategischer Partner in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht ist. Sie spielt im Nahen Osten und weit in den zentralasiatischen Raum hinein eine große Rolle. Die EU und die Türkei sind sich einig, dass ein Beitritt noch einige Jahre lang nicht realistisch ist. Unmittelbare Priorität hat daher, die Beziehungen auch abseits des Beitrittsprozesses zu vertiefen.
Wie sehen Sie im Vergleich dazu den Erweiterungsprozess am Westbalkan?
Der europäische Einigungsprozess ist Stückwerk, solange der Balkan eine Baustelle bleibt. Denn die Beitrittsperspektive kann nicht eingefroren werden, ohne dass mittel- und längerfristig die Stabilität der Region darunter leidet. Und die Beitrittsanträge sind in verschiedener Form zögerlich behandelt worden. Dadurch ist die Beitrittsperspektive mit den Fragezeichen versehen worden, wie ernst es Europa wirklich und wie glaubwürdig dieser Prozess ist.
Die Glaubwürdigkeit können wir dann belegen, wenn die Außenminister den serbischen Beitrittsantrag rasch - hoffentlich noch im Oktober - an die Kommission weiterleiten und es gelingt, die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien zügig abzuschließen. Durch die Einigung mit Serbien auf die UN-Resolution nach dem IGH-Urteil zum Kosovo ist Bewegung in den Erweiterungsprozess am Balkan gekommen.
Zuständig werden sie künftig für die EU-Beziehungen zu Japan sein. Was bedeutet dieser Partner für die Union?
Seit dem 19. Jahrhundert hat Japan enge Beziehungen zu Europa und spielt nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle. Es hat als erstes Land in Asien europäische Technologie übernommen und eine Demokratisierung nach unserem Muster vollzogen. Uns verbindet die Gemeinsamkeit von demokratischen Institutionen und Werten sowie ein Wirtschaftssystem, das im Umbruch ist. Japan ist in allen internationalen Gremien vertreten und eine Schlüsselmacht für die weitere Entwicklung von Stabilität und Wohlstand in Asien.
Der österreichische Botschafter bei der EU, Hans Dietmar Schweisgut (59), wird ab Jahresende die EU in Japan vertreten. Vor seinem Engagement in Brüssel war er Botschafter Österreichs in Tokio und Peking. Der Tiroler spricht fließend Japanisch und ist mit einer Japanerin verheiratet.