Thomas-Stahl braucht spezielle Wartung. | Bruchgefahr bei zwei Drittel der Masten der RWE. | Frankfurt: Akos Paulinyi spricht von "einer faulen Ausrede". Der Eisenhütten-Spezialist glaubt nicht den Beteuerungen des Elektrizitätsversorgers RWE, die Brüchigkeit alter Strommasten sei für den tagelangen Stromausfall bei 250.000 Menschen im Münsterland Ende der vergangenen Woche mitverantwortlich.
Die Masten waren aus so genanntem Thomas-Stahl hergestellt worden, der wegen seines hohen Anteils an Stickstoffen und Phosphaten mit zunehmendem Alter spröde wird und deshalb in Deutschland seit rund 30 Jahren nicht mehr verwendet wird. "Es gibt massenhaft Konstruktionen aus Thomas-Stahl, die über 100 Jahre alt und einwandfrei in Ordnung sind. Man muss sie allerdings vernünftig pflegen", pflichtet der Stahlbauberater Walter Suttrop aus Düsseldorf bei. Unter anderem ist der Eiffelturm aus dem inzwischen umstrittenen Material errichtet worden.
RWE bestreitet schlechte Wartung
Der Versorger RWE, der zunächst ausschließlich den ungewöhnlichen Wintereinbruch im Westen Deutschlands für das Desaster verantwortlich gemacht hatte, wies den Vorwurf schlechter Wartung zurück. Seit bekannt sei, dass Thomas-Stahl spröde werden könne, laufe ein Sanierungsprogramm für 550 Mio. Euro. 70 Prozent der 2900 gefährdeten Masten seien bereits ausgetauscht. Im übrigen seien "auch Leitungen zusammengebrochen, bei denen auszuschließen ist, dass Thomas-Stahl verwendet wurde", sagte Markus Haas, Sprecher der RWE Transportnetz Strom GmbH.
RWE hatte eingeräumt, dass rund zwei Drittel seiner 42.000 Leitungsmasten erhöhte Bruchgefahr aufweisen. Versuche hatten ergeben, dass die Tragfähigkeit zum Teil nur noch 60 Prozent des ursprünglichen Wertes beträgt.
Der größte deutsche Stromversorger Eon in München hat laut Auskunft eines Sprechers ebenfalls Probleme: Ein Zehntel der 22.000 Masten, die vor 1965 errichtet worden seien, bestehe ganz oder zum Teil aus Thomas-Stahl. Der Stromkonzern EnBW berichtete, rund ein Drittel seiner 22.000 Strommasten sei vor 1970 gebaut worden. Bei ihnen bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie aus dem anfälligen Stahl gefertigt seien.
Sorge um Versorgungssicherheit
Konsumentenschützer Holger Krawinkel sieht einen anderen Grund für den Rückgang der Versorgungssicherheit. Die Unternehmen hätten weniger in die Wartung investiert und so die Gewinne gesteigert. Laut Angaben des Leiters der Energieabteilung beim Bundesverband der Verbraucherzentralen in Berlin sind die Investitionen in die Stromnetze in den letzten zehn Jahren von 3,6 Mrd. Euro unter zwei Mrd. jährlich zurückgegangen. "Die Netzentgelte blieben aber auf hohem Niveau, sie sind sogar zum Teil gestiegen, während die Gewinne der Stromkonzerne explodiert sind," so Krawinkel.
Für den Verbraucherschützer zeigt die Panne im Münsterland, dass auch das Schienennetz der Bahn in Deutschland nicht privatisiert werden darf. Zumindest das Strom-Transportnetz ist für den Saarbrücker Energie-Experten Uwe Leprich besser bei der öffentlichen Hand aufgehoben. "Das System ist nicht transparent," so Leprich. Nach Ansicht des Bundes der Energieverbraucher gefährden marode Stromnetze die Stromversorgung in Deutschland: "Die Verbraucher zahlen heute mehr für die Netze und bekommen weniger Sicherheit dafür."
Frage nach Schadenersatz
Auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos und seine Amtskollegin Christa Thoben aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen haben inzwischen von RWE Aufklärung über die Panne vom Wochenende und den Zustand des Netzes gefordert.
Für den Konzern, der einen rechtlich unverbindlichen Fonds von fünf Mio. Euro für Härtefälle eingerichtet hat, geht es auch um die Zurückweisung von Schadenersatzansprüchen. Allein für die Betriebe in der Region hat der Stromausfall nach ersten Schätzungen der Industrie- und Handelskammer Münster einen Schaden von 100 Mio. Euro verursacht.