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Gewitterwolken ziehen über Sarkozy auf

Von Alexander U. Mathé aus Frankreich

Politik

Hollande-Anhänger erhoffen sich in Zukunft mehr soziale Gleichheit.


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Sozialisten wittern Morgenluft.

Paris. Eine dunkle Wolkendecke hängt vor den Präsidentschaftswahlen über Paris. Das Wetter ist so trüb wie die politische Stimmung. Den Franzosen behagt weder das eine, noch die andere. 13 bis 15 Millionen der fast 45 Millionen Wahlberechtigten wissen noch nicht, wem sie die Stimme geben sollen – so die Schätzungen. Zu wenig können die Vorschläge der einzelnen Kandidaten begeistern.

"Gleichheit", sagt Yassine, dafür wird seiner Meinung nach der sozialistische Kandidat François Hollande sorgen, wenn er erst einmal Präsident ist. Das betrifft nicht nur die Menschen generell: "Schwarze, Weiße, Homosexuelle, Heterosexuelle, alle sind gleich", sondern auch das Geld, sagt der Pariser Student. Präsident Nicolas Sarkozy, der sich um eine zweite Amtszeit bewirbt, lässt den Finanzmärkten für seinen Geschmack zu viel Platz, Hollande hingegen bringe Umverteilung.

Die Präsidentschaftswahlen finden in einem Land statt, das sich mitten in der Krise befindet. Von den drei großen tonangebenden europäischen Staaten hat Frankreich als einziger seinen Triple-A-Status verloren – ein Schock für die Franzosen, die es gewohnt sind, mit Deutschland und Großbritannien auf Augenhöhe zu sein. Die Arbeitslosigkeit ist seit der letzten Wahl im Jahr 2007 von 7,9 auf fast zehn Prozent gestiegen.

Ein starkes Frankreich fordern Sarkozys Anhänger.

"Gleichheit", sagt auch der arbeitslose Endfünfziger Claude, wenn man ihn danach fragt, was er sich von Hollande erwartet. "Mit ihm hat die Monopolisierung des Geldes ein Ende. An ihre Stelle wird die Monopolisierung der Solidarität rücken." Die Schere zwischen Arm und Reich klafft in Frankreich weit auseinander. Für Hollande ist das die Chance, mit Versprechen über Sozialleistungen zu punkten, skrupellose Geschäftemacher anzuprangern und die von vielen ersehnte Stärkung des Sozialstaates zu versprechen. Er will wieder die Alterspension mit 60 Jahren einführen, 60.000 zusätzliche Posten im Schulwesen in fünf Jahren sowie 150.000 Arbeitsplätze für Jugendliche schaffen und das EU-Budgetabkommen neu verhandeln, um von der Sparpolitik, wie sie Amtsinhaber Nicolas Sarkozy anpreist, zugunsten einer Politik zur Ankurbelung des Konjunkturaufschwungs Abstand zu nehmen. Ein 75-prozentiger Spitzensteuersatz ist Teil seiner Strategie, um bei der Präsidentenwahl am Sonntag groß zu punkten und sich spätestens bei der Stichwahl am sechsten Mai als neues Staatsoberhaupt gefeiert zu werden.

Hollande sieht sich in der Tradition Mitterrands

Das letzte Mal, dass ein Linker in Frankreich Präsident wurde, ist schon mehr als ein Vierteljahrhundert her. 1981 gewann ein anderer François die Wahlen, der zur Ikone der Sozialisten werden sollte: Mitterrand. Mit ihm vergleicht sich Hollande gerne, sieht sich in seiner Tradition. So wie seinerzeit unter Mitterrand soll nun eine neue Ära des Sozialismus eingeleitet werden.

Doch den eigentlichen Mitterrand ortet mancher Experte in einem anderen: Jean-Luc Mélenchon, dem Anführer der Linkspartei. Mit ihrer Gründung ist ihm etwas Außergewöhnliches gelungen, nämlich die links-extremen Parteien zu einen. Trotzkisten und Kommunisten etwa standen einander jahrzehntelang unversöhnlich gegenüber. Jetzt schreien sie Seite an Seite unter seinem Banner für einen Mindestlohn von 1700 Euro, hundertprozentige Besteuerung aller Monatseinkommen über 30.000 Euro und die Verstaatlichung von Banken.

Dem Mann, der laut Prognosen bis zu 17 Prozent der Stimmen erhalten könnte, wird nachgesagt, das Potenzial für eine feindliche Übernahme zu. So wie Mitterrand seinerzeit, der mit einer verhältnismäßig kleinen linken Splittergruppe die Sozialistische Partei übernahm. Personen aus seinem innersten Kreis berichten von Umgangsformen, die sich ganz und gar mit solchen Ambitionen decken würden: Mélenchon bestehe darauf, dass man ihn siezt, heißt es. Betritt er den Raum, so müssten sich alle Anwesenden erheben. Attitüden, die man noch am ehesten mit Sarkozy in Verbindung bringen würde.

Wahl ist Referendum über Amtszeit Sarkozys

Für den Präsidenten ist die Wahl wie so oft im Falle des Wiederantritts eines Staatsoberhaupts, ein Referendum über seine Amtszeit. Alles, was an Frankreich schlecht ist, wird ihm angelastet, vor allem die schlechten Wirtschaftsdaten und die soziale Misere. Ein überzeugendes neues Wahlprogramm hat er nicht, doch sein Wunsch ist ein "starkes Frankreich", wie sein Slogan lautet. Eher punktuell versucht er, mit immer neuen Vorschlägen im Wochentakt, einzelne Gruppen an Bord zu holen. Etwa wenn er die Schuld der Nation nach dem Algerienkrieg gegenüber den frankreichtreuen Harkis eingesteht und damit die Sympathien der Nachkommen, der im Maghreb zurückgelassenen, gefolterten und massakrierten Algerier für sich gewinnt. Oder wenn er mit europakritischem Tenor eine Schengen-Reform fordert und die Wiedereinführung von Grenzkontrollen verspricht, wenn er die Halbierung der legalen Immigration ankündigt. Das bringt vor allem die Stimmen der rechts-extremen Front.

Das Ende des Wahlkampfs vor dem ersten Durchgang am Freitag nutzte Sarkozy für Attacken auf Hollande. Er prangerte das "Triumvirat" an, das in seinen Augen Hollande, Mélenchon und die Grünen-Kandidatin Eva Joly ("Europe Ecologie Les Verts"/EELV) darstellten. Der amtierende Präsident warf den drei Linkspolitikern "Intoleranz" vor und war überzeugt, dass sie im Falle einer Machtübernahme eine "Hexenjagd" beginnen würden.

Alle Zeichen stehen auf linke Parlamentsmehrheit

Man benötigt keine aktuellen Umfragen (die Sarkozy eine Niederlage in der Stichwahl prognostizieren), um zu sehen, dass sich die Stimmung schon seit geraumer Zeit gegen die Konservativen gewendet hat. Bei den Regionalwahlen punkteten die Sozialisten und seit einem halben Jahr hat Frankreich zum ersten Mal in seiner Geschichte eine sozialistische Mehrheit im Senat. Verliert Sarkozy, so wäre er der erste Präsident seit 1981, dem keine zweite Amtszeit vergönnt ist. Doch auch im Falle eines Sieges zweifelt manch ein Experte daran, dass Sarkozy einen Wahlsieg voll auskosten könnte.

"Sollte Sarkozy gewinnen, dann ist klar, dass die Parlamentswahlen nach links gehen werden. Das bedeutet cohabitation", sagt José-Manuel Lamarque, Polit-Journalist und Publizist. Cohabitation, das ist der Schrecken des politischen Systems in Frankreich. Ein starker Präsident, der gegen das Parlament regieren muss. Das ist in etwa so, als müsste der österreichische Bundeskanzler gegen eine feindliche Parlamentsmehrheit regieren. Sarkozys Vorgänger Jacques Chirac war dazu verurteilt ebenso wie Mitterrand. Beide haben die Situation gut gemeistert, woran Lamarque aber im Falle Sarkozys zweifelt: "Er ist niemand, der Macht mit jemandem teilen kann." Damit es gar nicht erst so weit kommt, hofft der Präsident, die unentschlossenen Wähler im letzten Moment noch mehrheitlich für sich gewinnen zu können.

Kampf um die Stimmen des Zentristen Bayrou

Wo sich Sarkozy noch Zustrom erhofft, ist von François Bayrous Zentristen. Zehn Prozent prognostizieren diesem die Umfragen. Eine Kooperation wäre den Konservativen sogar den Premierminister wert, vernimmt man aus Kreisen der Regierungspartei UMP. Doch auch Hollande wirbt um die Stimmen der Mitte.

Unterm Strich ist aber keiner der beiden Top-Favoriten sonderlich beliebt: Obwohl er in den letzten Monaten alles für eine Image-Politur getan hat, gilt Hollande nach wie vor als schwach und zu weich, Sarkozy hingegen wird sein Ansehen als Haudegen in diesem Leben wohl nicht mehr loswerden. Und so werden viele Franzosen bei dem schlechten Wetter lieber zu Hause bleiben, als zu den Urnen zu schreiten.

Sie werden die in die Ferienzeit fallenden Wahlen eher für einen wohlverdienten Urlaub nutzen.

Dossier zur Frankreich-Wahl