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Gezeichnet, aber froh

Von Michael Schmölzer

Politik
6.500 Menschen seien am Samstag bereits nach Österreich gekommen, 2.200 bereits nach Deutschland gereist.
© Michael Schmölzer

Tausende Flüchtlinge sind am Samstag in Nickelsdorf angekommen. Ein Lokalaugenschein.


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"Das reißt nicht ab", sagt der Polizeibeamte, schüttelt den Kopf und blickt in Richtung Ungarn. Und tatsächlich: Dort kommen sie, in kleinen Gruppen, oft mit kleinen Kindern an der Hand und es werden nicht weniger. Der Grenzübergang Nickelsdorf bietet ein seltsames Bild an diesem denkwürdigen Samstag. Hunderte Menschen stehen in Reih und Glied hinter einer Absperrung und warten geduldig, bis ein österreichischer Reisebus vorfährt. Die Stimmung ist ruhig, fast gelöst. Manche grinsen und zeigen das Victory-Zeichen. Manchen sieht man die Erschöpfung an - er sei stundenlang durch Ungarn gegangen, sagt ein Mann aus Syrien, der ein zwei Monate altes Baby in den Armen hält. Dann sei er um vier Uhr Früh von einem Bus mitgenommen worden. Bis zur Grenze nach Österreich, doch das letzte Stück müssen die Tausenden, die gekommen sind, zu Fuß gehen. Ein Arabisch-Dolmetscher nimmt die Neuankömmlinge in Empfang, er hat ein Megaphon in der Hand und erklärt, wie es jetzt weitergeht. Salam aleikum grüßt eine Frau. Das Rote Kreuz ist mit Zelten angerückt, es gibt eine Notversorgung, bündelweise werden Bananen an die Ankömmlinge verteilt. Auch das Bundesheer ist mit zwei Bussen da.

Die Wartenden sitzen am Boden, manche haben die Schuhe ausgezogen und massieren sich die Füße. Am Vorplatz zum Zollamt Nickelsdorf sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld. Überall liegen verlassene Decken, Schlafsäcke und Müll herum. Da wurde ein weißer Teddybär zurückgelassen.

Ein Iraker geht die letzten Meter, er trägt Kind auf den Schultern, eines hat er an der Hand. Seit 18 Tagen sei er unterwegs, sagt er, und er ist froh, endlich in Österreich zu sein. Über Ungarn kann er nichts Gutes berichten. "Schlecht dort", sagt er, "die Polizei vor allem". Und sein ganzes Geld habe man ihm abgenommen. Er wolle weiter nach Deutschland und dann an sein Ziel - Schweden.

 

Auf der anderen Seite, im ungarischen Hegyeshalom, steht eine elf Kilometer lange Autokolonne und kommt nicht nach Österreich. Die ungarischen Behörden haben den Übergang gesperrt, es sind vor allem Deutsche, Briten, Bulgaren, Rumänen und Franzosen, die in die Falle gegangen sind. Aber auch Ungarn. Bis 17.30 bleibt der Schranken unten, auch dann löst sich der Stau nur sehr langsam auf. Das wütende Hupen hilft nichts. Damen im Business-Kostüm laufen durch die Autoreihen. Sie ziehen Trolleys hinter sich her, versuchen, sich zu Fuß durchzuschlagen, müssen sie doch in Schwechat ihren Flug erreichen. Sie treffen auf Flüchtlinge die ihre Habe in Plastiksäcken transportieren, beides Reisende. Wenige Kilometer weiter auf slowakischer Seite tummeln sich ebenfalls versprengte Flüchtlinge auf der Autobahn. An den Tankstellen entlang der A4 bilden sich lange Schlangen an den Zapfsäulen.

Die Meschen in Österreich bekommen das europäische Flüchtlings-Debakel jetzt erstmals am eigenen Leib zu spüren.