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Kommission für Schlüssel zur Verteilung von Schutzsuchenden: Deutschland und Österreich dafür, Großbritannien dagegen.
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Brüssel. Die Pläne liegen offiziell noch gar nicht auf dem Tisch, und schon sind die Briten dagegen. Doch mit seiner Ablehnung einer Quote für die Verteilung von Flüchtlingen in der EU steht London nicht allein da. Ungarn, Tschechien aber auch beispielsweise Lettland haben bereits Bedenken geäußert. Trotzdem möchte die EU-Kommission an ihren Vorschlägen für einen Schlüssel zur Unterbringung von Schutzsuchenden festhalten. Das ist Teil ihrer "Agenda für Migration", die am heutigen Mittwoch in Brüssel vorgestellt werden soll.
Ursprünglich war die Präsentation der Strategie für den Sommer angesetzt. Doch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und sein erster Stellvertreter Frans Timmermans sollen Druck auf das zuständige Ressort gemacht haben, die Arbeit früher abzuschließen. Denn die EU selbst müsste rasch handeln. Fast jeden Tag ertrinken Menschen bei der Überfahrt nach Europa, und das bisherige Asylsystem ruft zunehmend Kritik hervor. Bei einem Sondergipfel einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Union daher vor wenigen Wochen auf Eckpunkte eines Aktionsplans, den ebenfalls die Kommission vorgelegt hatte. Beschlossen wurde unter anderem eine Aufstockung der Finanzmittel für das Programm "Triton" zur Sicherung der europäischen Außengrenzen oder die Prüfung von Militäreinsätzen, bei denen Schlepperboote zerstört werden, damit sie Menschenhändler nicht mehr einsetzen können.
Die Einführung eines Quotensystems zur Verteilung der Flüchtlinge war ebenfalls Gegenstand der Debatte, wobei nur von wenigen tausend Migranten die Rede war. Das würde eine Änderung der bisherigen Regeln bedeuten, wonach jener Mitgliedsstaat für die Betreuung von Asylsuchenden zuständig ist, in dem die Menschen in die EU gelangt sind. Der Entwurf der Kommission sieht nun zunächst einmal einen provisorischen Quotenmechanismus vor, den bis Jahresende ein Vorschlag für einen permanenten Schlüssel zur Umsiedlung ergänzen soll. Dieser soll dann verpflichtend sein und automatisch wirksam werden, wenn es einen "Massenzufluss" gibt, heißt es im Dokument. Bei der Verteilung der Menschen sollen Kriterien wie die Wirtschaftsleistung des Aufnahmelandes, dessen Bevölkerungszahl und Arbeitslosenrate sowie die Asylanträge aus der Vergangenheit berücksichtigt werden.
Ungleiche Aufteilung
Eine "gerechtere Aufteilung" der Schutzsuchenden fordern einige Staaten bereits seit längerem. Dazu gehört Italien, das sich immer wieder beklagt, von den anderen Mitgliedern mit der Flüchtlingsnot vor seinen Küsten allein gelassen zu werden. Aber auch Deutschland und Österreich äußern ihre Sympathie für ein Quotensystem. Sie glauben nämlich, dass sie dann weniger Menschen zu betreuen hätten. Nach Berechnungen des Innenministeriums in Wien aus dem Vorjahr hätte Österreich bei einem automatischen Verteilungsschlüssel im Jahr 2013 an die 10.000 Asylwerber weniger zu versorgen gehabt. Auf Schweden, Malta, Luxemburg oder Belgien wären ebenfalls weniger Anträge entfallen. Länder wie Portugal, Tschechien, Rumänien, Estland oder Spanien hingegen müssten mehr Menschen aufnehmen. In Österreich suchten im Vorjahr 28.000 Personen um Asyl an.
Doch während Wien für eine Flüchtlingsquote plädiert, sprachen sich Prag und Bratislava zuletzt einmal mehr gegen eine EU-weite Festlegung aus. Die einzelnen Regierungen "wissen am besten, was sie im Rahmen gemeinsamer Solidarität leisten können", befand der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka nach einem Treffen mit seinem slowakischen Amtskollegen Robert Fico. Er verwies darauf, dass sein Land sich freiwillig bereiterklärt habe, 70 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen - und gleichzeitig vielen Ukrainern Zuflucht geboten habe.
Ruf nach Solidarität
Der ungarische Premier Viktor Orban wiederum bezeichnete eine Quoten-Regelung schlicht als "verrückte Idee", und Großbritannien will stattdessen auf verstärkte Bekämpfung von Schleuserbanden setzen. Unter Umständen werden die Briten aber von der automatischen Verteilung sowieso nicht betroffen sein, weil sie - ähnlich wie Irland und Dänemark - im Justiz- und Innenbereich Ausnahmen in Anspruch nehmen können.
Mehr Solidarität fordert aber nicht nur die EU-Kommission ein, die in ihrem Entwurf zur Migrationsagenda kritisiert, dass manche Mitgliedstaaten gar nichts zu Umsiedlungsprogrammen beitragen. Auch Migrationsexperten wünschen sich eine rasche und sichere Unterbringung von Schutzsuchenden. Sie weisen darauf hin, dass die Gemeinschaft dabei vor einer geringeren Herausforderung stünde als so mancher nicht-europäische Staat, der Millionen Flüchtlinge zu betreuen hat. In den Libanon beispielsweise seien an die 1,2 Millionen Syrer geflohen. Auf Frankreich umgerechnet wären das zwölf Millionen Schutzsuchende. In der aktuellen Quoten-Debatte geht es aber gerade einmal um mehrere zehntausend Menschen, die in der gesamten EU verteilt werden sollen.