Armut passt nicht in die Regierungsbilanz der SPÖ. Ergo darf sie im Wahlkampf nur sekundär vorkommen. Die ÖVP freut’s.
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Mit seinem "I have a dream" machte Martin Luther King den Diskriminierten Hoffnung. Hierzulande fehlt so eine Stimme, ja es hat sich nicht einmal herumgesprochen: Ein Kind, das aus Kostengründen am Schulausflug nicht teilnehmen kann, ist genauso diskriminiert wie ein schwarzer Bub, der wegen seiner Haufarbe nicht in den Schulbus durfte. Eine Frau, die sich ein Bahnticket nicht leisten kann, ist genauso diskriminiert wie eine Frau, die nicht in das Abteil der Weißen durfte. Ein Mann, der sich keinen Urlaub leisten kann, ist genauso diskriminiert wie ein Schwarzer, der ein Hotel nur durch den Seiteneingang betreten durfte.
Warum sogenannte Gutmenschen ihre meist lobenswerten Energien mit Vorliebe für Übersee bündeln, das krasse Unrecht vor ihrer Nase aber übergehen, bleibt rätselhaft. Ist ihnen der Stoff, der das Schicksal der Menschen ihres Grätzels webt, nicht exotisch genug? Braucht ihr Agieren die sichere Aussicht auf Erfolglosigkeit als Antrieb? Freilich - ein konsequenter Einsatz gegen hiesige Unerträglichkeiten wäre zu kurz gedacht für hauptberufliche Desperados. Würde nämlich nur laut und lange genug "We have a dream" gebrüllt, eine gerechtere Leistungsentlohnung wäre nicht aufzuhalten.
Zum Brüllen wären auch ganze Teile der medialen Wahlkampfbegleitung. Da bestellt beispielsweise die ÖVP-nahe Wirtschaftskammer beim wirtschaftskammernahen Institut für höhere Studien (IHS) eine Studie gegen die von der SPÖ angedachte Vermögenssteuer. Worauf "Die Presse" titelte: "Vermögenssteuer bringt nur eine Milliarde."
Nun mag die Zahl ja angesichts der Unsummen, die Bonzen und Apparatschiks verschieben und Banken vernichten, sehr überschaubar erscheinen. Doch auf die Idee, statt ein Prozent Vermögenssteuer halt zwei oder drei für ein Plus an sozialer Gerechtigkeit anzusetzen, kamen weder die ÖVPler der Wirtschaftskammer noch die Rechner des IHS. Auch die SPÖ war offenbar derart baff, dass ihre Taktiker lieber mit "Unser Sozialsystem ist sicher" auf Beharren als auf Verbessern setzten. Ein Slogan, der auch als Drohung verstanden werden könnte.
Bemerkenswertes auch im "Kurier": Als Ezzesgeber für seine Wahlkampfserie darf sich ausgerechnet ein Banker halbseitig ausbreiten. Seine Empfehlungen: Unternehmenssteuern runter, zur Gegenfinanzierung Mehrwertsteuern rauf, Marktorientierung hochhalten, Grauhaarige an die Arbeitsfront. Fazit: Es ist wie bei Yin/Yang und Hell/Dunkel: Reiche kann es nur geben, wenn es Arme gibt. Ergo: Es muss Arme geben.
Und so dürfen die Werber der Koalition weiterhin das beschämende Fazit ihrer Sozialpolitik zur Seite schieben (wer redet schon gern über sein Unvermögen) und in der großen Wahlshow für den 29. September als Ensemble der Hoffnungsträger auftreten. Mangels besserer Besetzungsmöglichkeiten wahrscheinlich sogar ungestraft. Dass ob seiner Existenzsorgen der arme Teil der Bevölkerung Österreichs laut jüngsten Forschungsergebnissen dazu verurteilt ist, bis zu 13 IQ-Punkte zu verlieren und also dümmer wird, werden die Reichen, Habenden und Mächtigen gern als Daseinserleichterung zur Kenntnis nehmen.