)
Der Chef der SPÖ-Niederösterreich und Bürgermeister von St. Pölten, Matthias Stadler, über die Gemeinderatswahl am Sonntag, das "Armenwohnen" im Bundesland und die Eliten des Speckgürtels.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Wiener Zeitung":Der Sonntag ist der Auftakt ins Wahljahr 2015. Die SPÖ verlor zuletzt bei fast allen Wahlen. Wie wollen Sie den Trend stoppen?Matthias Stadler:Bei Gemeinderatswahlen kommt es stark auf die Persönlichkeiten an. Wir hoffen, dass unsere 130 Bürgermeister ihre Position halten können. Die größte Herausforderung sind die 1844 Listen. Die knabbern zusätzlich am Kuchen. Alleine in Wiener Neustadt treten zehn Listen an, wobei ich mich schon frage, was die Liste "Raus aus der EU" bei einer Gemeinderatswahl sucht.
Neben Wiener Neustadt ist auch Schwechat eine rote Bastion im schwarzen Bundesland. Dort wird der SPÖ das Multiversum-Debakel zusetzen.
Die Probleme sind unter dem ehemaligen Bürgermeister entstanden. Der ist zurückgetreten. Jetzt gibt es einen Neustart unter seinem Nachfolger.
Es scheint, die SPÖ hat ein Nachwuchsproblem. Finden sich überhaupt noch für alle Gemeinden Kandidaten?
Wir kandidieren in zwölf Gemeinden nicht. Wir sind aber noch immer die größte Landesorganisation der gesamten SPÖ mit den meisten Parteimitgliedern. Bei den Nationalratswahlen holten wir 40.000 Stimmen mehr als die Wiener.
Unter ihren Vorgängern hat auch die SPÖ Niederösterreich deutlich verloren. Was machen Sie anders?
Wir haben den Konfrontationskurs verlassen und setzen auf konstruktive Zusammenarbeit mit der ÖVP. Davon profitieren auch SPÖ-Gemeinden. Die hatten noch nie so viele Wohnbaufördermittel. Die Wohnbaudarlehen und die umstrittenen Finanzgeschäfte haben wir gemeinsam im Konsens aufgearbeitet.
Sie kritisieren die ÖVP nicht mehr für ihre Spekulationsabenteuer mit Wohnbaugeldern der Bürger?
Vor zehn Jahren hat man jeden gesteinigt, der in solche Geschäfte nicht investierte und ihn als Hinterwäldler bezeichnet.
Ist es nicht ein Dilemma für die SPÖ vor Ort, wenn sie immer die ÖVP braucht? Wie kann sich eine Partei mit diesem Kuschelkurs profilieren?
Unser Kompass ist nicht auf "Kuschelkurs" gestellt. Sondern vielmehr auf konstruktives Arbeiten - auf Basis eines Arbeitsübereinkommens mit der ÖVP. Mit dem Programm für leistbares Wohnen haben wir sehr wohl ein eigenes Thema gesetzt. Wir verlangen wieder ein echtes soziales Wohnen. Eine bestimmte Gruppe kann sich selbst das geförderte Wohnen nicht mehr leisten, wenn bei rund 1000 Euro Einkommen 500 bis 700 Euro in Miete gehen.
Wollen Sie klassische Gemeindebauten in Niederösterreich?
Das kann auch ein Genossenschaftsbau sein. Es kommt auf die Richtlinien an. Derzeit muss man zwischen 30.000 und 40.000 Euro anzahlen. Eine alleinerziehende Mutter und andere Finanzschwache können sich das von Anfang an nicht leisten. Diesen Einstiegspreis muss man wegbringen oder so niedrig ansetzen, dass es sich auch finanzschwache Niederösterreicher leisten können. Denn diese Gruppe, das kann ich auch als Bürgermeister von St. Pölten sagen, wird größer. Ich möchte nicht ein Armenwohnen haben. Auch diese Bevölkerungsgruppe hat sich ein menschenwürdiges Wohnen verdient.
Von welchem Bedarf reden wir?
Ich kann es nur von St. Pölten sagen: Dort benötigt man alleine 3000 bis 4000 Wohnungen für echten sozialen Wohnbau.
Wer finanziert das?
Erstens muss man sich Wohnbaugelder des Bundes auch abholen - was bisher nur Wien tat.
Also doch eine Kritik an ÖVP-Landeshauptmann Erwin Pröll.
Wenn Sie so wollen. Ein weiterer Ansatzpunkt sind die Grundstücke. Vor allem im Waldviertel, aber auch noch in St. Pölten tun sich Gemeinden leichter, ein Grundstück zur Verfügung zu stellen. Wir machen das fürs junge Wohnen. Weil das Grundstück von der Gemeinde als Baurechtsgrund eingebracht wird, können wir den Einstiegspreis für Jungfamilien auf 4000 Euro senken.
Anders ist es in den Wiener Umlandgemeinden. Die haben fast kein Bauland mehr. Deswegen sollte man bei der Umwidmung eine Kategorie sozialer Wohnbau einziehen. Das hat nichts mit Enteignung von Grundstücksbesitzern zu tun, wie es die ÖVP behauptet. Wenn ich zum Beispiel 20 Prozent bei Umwidmung für sozialen Wohnbau
widme, kann ich bei den hohen Mieten gegensteuern. Für diesen sozialen Teil wächst der Wertzuwachs für den Grundeigner nicht in den Himmel. Für den Rest hat er noch immer gewaltige Wertzuwächse.
Das heißt, die Gemeinden sollten das zur Bedingung für Umwidmungen machen?
Zum Beispiel.
Wie punktet die SPÖ bei SUV-Fahrern im Wiener Speckgürtel?
Auch im Wiener Umland ist es wichtig, dass die Kostenschraube nicht hochgetrieben wird. Es wäre in diesen Gemeinden für alle kontraproduktiv, wenn wir vom Wohnen über den Kindergarten bis zur Schule eine Gettoisierung der SUV-Fahrer haben. Die soziale Mischung ist auch dort wichtig.
Apropos Schule und Eliten: Was
sagen Sie dazu, dass der Wiener Neudorfer Bürgermeister Christian Wöhrleitner, ein Genosse, mit einem "Jahrhundertprojekt Gymnasium für die 10- bis 14-Jährigen" wirbt? Ihre SPÖ trommelt seit Jahren die Gesamtschule.
Wenn das den Gordischen Knoten löst, soll es Gymnasium für alle heißen. Ich finde die frühe Trennung der 10-Jährigen falsch.
Wöhrleitner ist aber für die Wahlfreiheit zwischen Gymnasium und Neuer Mittelschule/Hauptschule.Ich verstehe ihn insofern, weil auch SPÖ-ler von Kindheit an darauf gedrillt wurden, dass man erst etwas ist, wenn man ins Gymnasium geht und die Matura hat. Bei Umfrage sagen auch sozialdemokratische Wähler, sie wollen ein Gymnasium für ihre Kinder. Er sieht die reale Situation und will das Beste für seine Gemeinde. Sonst wandert ein Teil der Bevölkerung ab.
Themenwechsel: Wie löst man das Asylproblem in Traiskirchen?
In St. Pölten haben wir 500 Asylwerber. Die sind über das ganze Stadtgebiet in kleine Einheiten verteilt. Wären Sie in einem Haus, brauche ich Ihnen nicht sagen, was los wäre. Diese Aufteilung auf kleine Einheiten brauchen wir in ganz Niederösterreich. Würde man rein rechnerisch die 1700 Asylwerber in Traiskirchen auf 573 Gemeinden aufteilen, hätte jede zwei bis drei Asylwerber. In Großgemeinden passen natürlich mehr. Wir wollen jedenfalls keine Massenquartiere, wo wir die Zahlen nicht steuern können. Es braucht ja auch Plätze in Kindergärten, Schulen für die jungen Asylwerber. Entscheidend für die Kommunen ist die Rechtssicherheit mit Obergrenzen.
Wie viele SPÖ-Gemeinden können Sie nennen, die sofort Asylwerber aufnehmen würden?
Es sind genug.
SPÖ Vorsitzender Bundeskanzler Werner Faymann nannte Sie als Personalreserve für den Bund. Sind Sie talentierter als ÖBB-Chef Kern?
(Lacht). Ich möchte 2016 Bürgermeister von St. Pölten bleiben und lasse mich auf keine Rankings ein. Es freut mich, wenn
es in der SPÖ viele Kandidaten für verschiedene Positionen gibt. Die SPÖ ist gut beraten, alle Ressourcen zu nutzen. Man sollte Leuten nicht schaden, indem man sie zu früh für Funktionen nennt. Dann ist man schon gestorben.
Ich sage gleich dazu: Wir Niederösterreicher haben Werner Faymann als Vorsitzenden geschlossen gewählt. Er hat unsere volle Unterstützung.
Zur Person
Matthias Stadler (48)
ist Bürgermeister von St. Pölten und seit 2013 Vorsitzender der SPÖ-Niederösterreich. In St. Pölten wird erst 2016 gewählt. Der Historiker tritt wieder an. In Niederösterreich fährt Stadler einen betont konsensualen Kurs gegenüber der ÖVP und Landeshauptmann Erwin Pröll.