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In den USA häufen sich Totschlags-Klagen gegen Frauen, die während der Schwangerschaft schädliche Substanzen zu sich genommen haben. Bürgerrechtler machen mobil.
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Rennie Gibbs steht vor Gericht, weil sie ihr Kind umgebracht haben soll. Als sie 15 Jahre alt war, wurde sie schwanger. Im achten Monat hatte sie eine Totgeburt, das war just vor Weihnachten im Jahr 2006. Als ans Tageslicht kam, dass sie kokainsüchtig war, wurde sie angeklagt - der Vorwurf: "depraved-heart murder". Dabei handelt es sich nach amerikanischem Recht um Totschlag wegen rücksichtsloser Gefährdung von menschlichem Leben, wie beispielsweise durch russisches Roulette. Die Strafe, die darauf steht, ist lebenslange Haft.
Der Staatsanwalt argumentiert, dass Kokainkonsum während der Schwangerschaft ein vergleichbares Risiko birgt und schließlich zum Tod des Kindes geführt habe. Im US-Bundesstaat Mississippi, aus dem Gibbs stammt, ist sie somit die erste Frau, die wegen dieses Verhaltens angeklagt wurde. Doch quer durch die USA nehmen vor allem in konservativen Staaten ähnliche Fälle zu.
Etwa in Indiana. Dort wartet die gebürtige Chinesin Bei Bei Shuai auf ihren Prozess. Sie war schwanger und hatte schon große Pläne geschmiedet, den Kindsvater zu ehelichen. Einen Tag vor Weihnachten 2010 fand sie heraus, dass ihr Freund bereits verheiratet war und sie und ihr ungeborenes Kind verlassen wollte. Shuai sah den einzigen Ausweg im Suizid. Sie ging in die nächste Drogerie, kaufte Rattengift und aß es. Gerade noch rechtzeitig wurde sie ins Krankenhaus gebracht; ihr Leben wurde gerettet und eine Woche später brachte sie ein Mädchen zur Welt. Das überlebte aufgrund der Vergiftung allerdings nur drei Tage. Daraufhin wurde sie verhaftet und angeklagt.
Bürgerrechtsorganisationen machen in den USA gegen solche Prozesse mobil. Durch diese Art der Gesetzesinterpretation würden Frauen ihrer verfassungsmäßigen Persönlichkeitsrechte beraubt. Schwangere würden zu einer anderen Klasse Menschen gemacht, argumentieren etwa die Nationalen Anwälte Schwangerer Frauen (NAPW)
Sollten die betroffenen Frauen tatsächlich verurteilt werden und sich diese Rechtssprechung durchsetzen, so sehen die Bürgerrechtler kein Halten mehr: "Dieser Fall hat eine gewaltige Tragweite für Frauen überall im Land", sagte Alexa Kolbi-Molinas, Anwältin der Bürgerrechtsunion Aclu. "Wenn wir es einem Staat erlauben, eine Frau dafür ins Gefängnis zu stecken, dass sie etwas getan hat, dass ihre Schwangerschaft gefährdet, gäbe es nichts mehr, dass die Polizei davon abhalten würde, eine Frau zu verhaften, weil sie einen Drink zu sich genommen oder geraucht hat", gibt Kolbi-Molinas zu bedenken "Wo wollen Sie denn die Grenze ziehen?" Im schlimmsten Fall könnte das Gesetz, das zum Schutz des Lebens gedacht ist, zum Nachteil pervertieren. Dann nämlich, wenn drogensüchtige Frauen aus Angst vor Strafe abtreiben.