Zum Hauptinhalt springen

Gibraltar fühlt sich verraten

Von Jörg Vogelsänger

Politik

Gibraltar - Manuel Bugeja ist wütend. "Wir sind der britischen Krone immer treu gewesen, und nun verkauft uns London an die Spanier!" Der 82-jährige Gibraltarer will nicht glauben, dass die Regierung Blair wirklich bereit ist, sich mit Madrid auf eine Teilung der Souveränität Gibraltars zu einigen. Genau darauf läuft aber das Abkommen hinaus, über das beide Seiten seit Monaten verhandeln. Zwar scheinen die Gespräche nach der anfänglichen Euphorie Spaniens ins Stocken geraten zu sein. Aber die Bevölkerung der britischen Kolonie befürchtet, dass es doch noch im Sommer eine Einigung gibt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ihrem Unmut machen die 30.000 Einwohner immer wieder Luft. An der jüngsten Demonstration nahmen sie fast alle teil. Und als der britische Außenminister Jack Straw zu Besuch kam, um Regierungschef Peter Caruana ein Abkommen mit Spanien schmackhaft zu machen, beschimpfte ihn eine aufgebrachten Menschenmenge als "Verräter" und "Judas". "Lieber tot als spanisch", skandierten einige. Straw verließ das Treffen durch die Hintertür. "Dem haben wir es gezeigt", schmunzelt Bugeja und zupft sich seine Krawatte zurecht. Den Knoten zieren der Union Jack und die Flagge der Kolonie: Eine Burg mit drei roten Türmen und einem Schlüssel.

Diesen wollen die Gibraltarer am liebsten selbst in der Hand haben. "Wir streben das Recht auf Selbstbestimmung an, aber ohne unsere enge Bindung zu Großbritannien aufzugeben", erläutert "Chief Minister" Caruana das Ziel. Denkbar sei höchstens ein Modell nach dem Vorbild Andorras. Dort teilen sich zwar der französische Präsident und ein spanischer Bischof das Amt des Staatsoberhauptes, aber nur in repräsentativen Aufgaben, denn seit 1993 ist der Pyrenäen-Kleinstaat souverän. "Auf so etwas wird sich Spanien aber nicht einlassen", ist der 45-Jährige überzeugt.

Wie fast alle Bewohner der seit dem Frieden von Utrecht (1713) zu Großbritannien gehörenden Kolonie spricht Caruana neben Englisch fließend Spanisch - mit starkem andalusischen Akzent. Doch abgesehen von der Sprache, dem südländischen Klima und dem Rechtsverkehr erinnert in dem 6,5 Quadratkilometer großen Gebiet tatsächlich fast alles an das "Mutterland": Die Polizisten in der "Main Street" sehen nicht anders aus, als die "Bobbys" in London, die Restaurants servieren "fish and chips", die Pubs "Guinness", und einen "Safeway"-Supermarkt und ein "Marks & Spencer"-Kaufhaus gibt es auch. Bezahlt wird in dem Steuerparadies selbstverständlich mit Pfund.

Für die meisten Bewohner der Kolonie ist Spanien ein rotes Tuch, obwohl viele von ihnen spanische Ehepartner haben und ein Haus an der Costa del Sol besitzen. Aber die Erinnerung an die Zeit, als Diktator Francisco Franco (1939-1975) die Grenze zu Gibraltar schloss, ist noch wach. Das war 1969. Erst 1985, zehn Jahre nach der Rückkehr Spaniens zur Demokratie, ging der Schlagbaum wieder hoch.

"Um nach Spanien zu gelangen, mussten wir eine Fähre nach Tanger (Marokko) nehmen und von dort nach dem südspanischen Algeciras übersetzen", erzählt die Besitzerin einer Boutique in der "Governor's Street". Heute geht das zwar einfacher. Aber die "Gibraltarenos" müssen wegen der Kontrollen der spanischen Polizei an der Grenze oft lange Wartezeiten ertragen, der Flughafen kann nur von Großbritannien aus angeflogen werden. "Alles Schikane", schimpft Bugeja.

"Wir ertragen diese Belagerung nun schon seit fast 300 Jahren, und auch jetzt werden wir uns nicht kleinkriegen lassen", meint Handelsminister Keith Azopardi. Gern wird in Gibraltar an die Legende erinnert, wonach das Gebiet erst dann aufhört, britisch zu sein, wenn es die Affen nicht mehr gibt, die den 425 Meter hohen Felsen der Kolonie bevölkern. Als diese seinerzeit vom Aussterben bedroht waren, soll Winston Churchill für Nachschub aus Marokko gesorgt haben. Inzwischen ist ihre Population auf gut 250 Exemplare angewachsen - und fast zur Plage geworden.