Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 24 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Untersucht man die weltweiten Friedensbemühungen der letzten 150 Jahre, stößt man auf enorme Unterschiede zwischen den einzelnen Zeiträumen und Gesellschaften. Auch der jeweilige Charakter und die Hauptthemen und Aktionen dieser Bewegungen sind durch ideologische, kulturelle und sogar demografische Faktoren diffus und zyklisch. Friedensbewegung ist also nicht gleich Friedensbewegung.
Das ist ein wichtiger Punkt für eine Analyse der US-Friedensbewegung. Wahrscheinlich hat es in den USA noch nie zuvor mehr Organisationen gegeben, die sich mit Frieden beschäftigten. Organisationen, wohlgemerkt, denn Friedensaktivitäten als soziale Bewegung gibt es nur sehr wenige. So richtig klar wurde diese Tatsache im Vorjahr beim Den Haag Friedensappell, der mehr als 8000 Menschen mobilisierte. Hauptsächlich mit US-Mitteln finanziert und organisiert, wurde ein breites Spektrum von Organisationen angezogen, viele davon recht klein und die meisten mit Sitz in den USA. Es müssen tausende gewesen sein. Manche Kampagnen wie die Initiative, die "Mörderschule" (School of the Americas in Georgia) zu schließen, haben größere Unterstützung erhalten, und ebenso natürlich das Thema Landminen.
Aber die Themen, die früher hunderttausende Menschen auf die Straße brachten (sogar Millionen in den 60er Jahren und in den frühen 70er und 80er Jahren), - Atomwaffen zum Beispiel - sind nicht mehr aufgetaucht. Stattdessen entdeckt man heute eine enorme Menge von kulturellen und institutionellen Verschiebungen.
Die Aktivisten der 60er Jahre sind nun mindestens in ihren Fünfzigern und in einflussreichen Positionen, als Rechtsanwälte, Universitätslehrer, Journalisten oder sogar leitende Beamte und Politiker. Friedenforschung ist heute an vielen Universitäten als Studienfach anerkannt. Viele tausende Studenten haben das Fach in den letzten zwanzig Jahren belegt und auch abgeschlossen. Und Friede als Thema in Film, Kunst, Literatur und Musik ist selbstverständlich geworden. Viele Protestlieder aus den 60er Jahren sind heute Klassiker, die von einer Generation an die nächste weiter gegeben werden. Wenn wir in den USA von einer "Friedenskultur" sprechen, meinen wir damit hauptsächlich, das Bestehende zu koordinieren und zu artikulieren - in Friedensmuseen, bei Ausstellungen und Festivals. Tatsache ist aber auch, dass die Friedensbewegung nach wie vor in manchen Bereichen uneinig ist, zum Beispiel bei den Interventionen in der Golf- und der Kosovokrise. Eine Minderheit im ersten und eine Machtgruppe im zweiten Fall setzte sich gegen die Diktatur ein (gegen Saddam Hussein oder Slobodan Milosevic), nicht aber gegen Krieg und Bomben.
Die Aufteilung in Frieden als Menschenrecht und soziale Gerechtigkeit auf der einen Seite und Frieden als Abwesenheit und Verabscheuung von Krieg auf der anderen, treibt Pazifisten in die Enge. Viele von ihnen hatten das Gefühl, nicht gegen die Bombardierung auftreten zu können, weil sie keine alternative Strategie parat hatten, um die Bewohner des Kosovo vor der "ethnischen Säuberung" zu retten. Geblieben ist selbstzufriedener Überlegenheitsdünkel und ein Gefühl kulturellen Abdriftens, gestützt auf eine große Portion Ignoranz.
Mehr als ein halbes Jahrhundert Dominanz und enorme Abhängigkeit von Waffen züchtete in den USA Engstirnigkeit, Arroganz und Verfolgungswahn, die natürlich größten Einfluss auf die Behandlung von Ereignissen haben. Ähnlich wie früher in den großen Monarchien schleppen zu oft sogar liberale US-Bürger ihre eigenen politischen Angelegenheiten überall hin mit, als ob die Welt lediglich eine Erweiterung der amerikanischen Gesellschaft wäre. Die USA haben sicher ein großes transnationales Potenzial, aber ihre Interventionen sind viel zu oft mit heuchlerischer Rhetorik befrachtet, nämlich immer dann, wenn deutlich Eigeninteressen im Mittelpunkt stehen. Die Friedensbewegung muss diesen fortschreitenden Kosmopolitanismus aufhalten. Globale Interessen sind letztlich immer auch nationale Interessen. Frieden in der Gemeinschaft und den eigenen Angelegenheiten ist eng verbunden mit universalen Werten.
Alles in allem kann man nicht sagen, dass die USA noch eine basisgestützte Friedensbewegung haben, wie zuletzt noch in den frühen 80er Jahren, organisiert in jeder größeren oder kleineren Stadt, allzeit bereit, auf die Straße zu gehen. Stattdessen gibt es hier heute unzählige kleine Organisationen, die sich meistens nur regional begrenzt mit ganz speziellen Themen beschäftigen. Und was die Atomwaffen betrifft, so wird die Verleugnung offenbar weiter fortgesetzt: hier regiert das Tabu. Das Thema berührt bei Amerikanern einen wunden Punkt. Die nukleare Vorherrschaft ist ein wichtiger Teil der unverstandenen Seele der größten Militärmacht. Atomwaffen, das ist daher zugleich der aussichtsloseste Punkt, die Friedensbewegung in Schwung zu bekommen, aber auch der wichtigste. Solange sich daran nichts ändert, wird wohl der Friedensprozess in anderen Fragen auch keine Fortschritte machen können. Übersetzung Hilde Weiss
Nigel Young ist Professor of Peace Studies an der Colgate University, Hamilton, New York, USA.
Das Österreichische Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) ist ein privater, gemeinnütziger und parteiunabhängiger Verein zur Förderung von Friedensforschung, Friedenserziehung und Friedenspolitik. Schwerpunkte sind die Friedensuniversität und die Trainingskurse für zivile Konfliktbearbeitung.