Der US-Präsident betont wiederholt globale Rechte und Pflichten. Nur wird dieser theoretische Ansatz nicht auf wirklich schwierige Fragen angewendet - wie etwa die Lage in Afghanistan.
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Ist hinter dem Zickzack der ersten neun Monate Außenpolitik von US-Präsident Barack Obama eine "Obama-Doktrin" zu finden? Ich glaube schon: im wiederholten Betonen globaler Rechte und Pflichten. Das Problem ist jedoch, dass dieser theoretische Ansatz nicht auf wirklich schwierige Fragen angewendet wird, wie zum Beispiel darauf, wie es in Afghanistan weitergehen soll.
Strategisches Denken ist offenbar der Schwachpunkt der jetzigen US-Regierung. Ein pragmatischer Präsident hat sich mit pragmatischen Beratern umgeben: einem pensionierten Marinegeneral als nationalem Sicherheitsberater, einer ehemaligen Senatorin als Außenministerin und einem Geheimdienstler als Verteidigungsminister. Keiner davon ist ein großer Stratege, wie es Henry Kissinger oder Zbigniew Brzezinski waren.
Ich bin Obamas große Reden noch einmal durchgegangen und dabei auf ein Thema gestoßen, auf das er wieder und wieder zu sprechen kommt: Das Heraufbeschwören einer "neuen Ära der Verantwortlichkeit", "gemeinsamer Interessen" und "gegenseitigen Respekts" - Rechte und Pflichten ins Gleichgewicht zu bringen, dieser Grundgedanke ist offenbar ein zentraler Pfeiler seiner Außenpolitik. Der Iran hat demnach das Recht zu ziviler Atomkraftnutzung, aber die Pflicht, sich an den Atomsperrvertrag zu halten. Israel hat das Recht, in Frieden zu leben, aber die Pflicht, von den als illegal erachteten Siedlungsaktivitäten Abstand zu nehmen.
Meine neuerliche Beschäftigung mit den Reden Obamas ist einem Gespräch mit einem Regierungsbeamten zu verdanken, der die Meinung vertritt, dass Journalisten hier etwas ganz Offensichtliches übersehen. Und er hat recht, es gibt da tatsächlich ein Leitmotiv. Allerdings handelt es sich um eine trockene Formel: Es geht um das Bild internationaler Beziehungen als statische Struktur aus Regeln und Normen. Das ist ein Teil der Schwäche der US-Regierung, wenn es um emotionsgeladene Themen geht. Afghanistan ist auch hier wieder das beste Beispiel.
Die USA hätten ihre Autorität wiedergewonnen, sagte Obama am 23. September in seiner Rede von den Vereinten Nationen, da sie zu den globalen Spielregeln zurückgekehrt seien, die sein Vorgänger verschmäht habe. Und Obama zählte auf: Verbot von Foltermethoden; Anordnung zur Schließung Guantanamos; Rückzug aus dem Irak; Aufnahme klimapolitischer Verhandlungen; Begleichen der US-Schulden bei der UNO.
"Und jetzt seid ihr dran!", scheint Obamas Schlussfolgerung zu lauten. Ähnliches findet sich in fast allen seinen Reden. Nationen, die sich internationalen Regeln widersetzen (sprich: Iran und Nordkorea) droht Obama mit Isolation. "Die USA beabsichtigen, ihren Teil des Übereinkommens zu halten." Alle, die sich nicht daran halten, sollen mit Konsequenzen rechnen müssen.
Dieses Bild einer globalen Rechtsstaatlichkeit veranschaulicht Obamas Denken: optimistisch, rational, praktisch. Aber wie das Mantra "Change", das ihm zum Wahlsieg verhalf, ist dieses Bild leer und müsste erst mit wirklichem Leben gefüllt werden. Eine Strategie ist es nicht. Es ist nur eine Formel zur Problemlösung.
Obama hat seine Doktrin nie direkt auf Afghanistan angewendet. Lassen Sie mich das kurz versuchen: Die internationale Gemeinschaft ist - durch UNO und Nato - die Verpflichtung eingegangen, bei Afghanistans Wiederaufbau mitzuhelfen. Die Vorstellung, die USA könnten nun einen Rückzieher auf eine bloße Terrorabwehrstrategie machen, die Wiederaufbauarbeit abbrechen und nur noch die Feinde mit Predator-Drohnen aus großer Höhe bekämpfen, würde überhaupt nicht zur Obama-Doktrin passen. Diese Vorgehensweise wäre schlicht und einfach gesetzwidrig.
Übersetzung: Redaktion