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1. Worum geht es?
Die Schaffung der Europäischen Union ist wohl eine der größten Initiativen, die nach dem 2. Weltkrieg begonnen wurden und hat das Schicksal unseres Kontinents wesentlich geändert. Zunächst wurde eine Friedenszone dort geschaffen, wo Jahrhunderte lang Kriege geführt wurden. Der Lebensstandard konnte soweit angehoben werden, dass die Menschen für den Kommunismus nicht anfällig wurden. Alte Grenzkontrollen wurden beseitigt und eine gemeinsame Währung eingeführt.
Darüber hinaus wurde die Zusammenarbeit auf vielen Gebieten ausgebaut oder Agenden überhaupt unter die Führung Brüssels gestellt: gemeinsame Institutionen beeinflussen die verschiedensten Bereiche, von der Agrarpolitik bis zur "gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik", von der Wettbewerbspolitik bis hin zu Maßnahmen im sozialen Bereich.
450 Millionen Menschen
Nach der Erweiterung am 1. Mai umfasst die EU 25 Länder, in denen 450 Millionen Menschen wohnen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU macht dann etwa 10 Billionen Euro aus, also 10.000 Milliarden Euro, und ist damit etwa 46 mal so groß wie das österreichische BIP. Schon heute kommen 65,7 % der österreichischen Einfuhren aus der EU, 59,5 % der Ausfuhren gehen dorthin. Nach den Beitritt der 10 neuen Mitglieder werden die Einfuhren um weitere 11%-Punkte und die Ausfuhren um 13%-Punkte steigen.
Damit stellt sich die Frage, ob es für uns überhaupt noch eine Wirtschaftswelt außerhalb der EU gibt. Dabei sollte es diese sehr wohl geben. Denn alleine das BIP der USA ist so groß wie jenes der EU und das der anderen Staaten auf dem amerikanischen Kontinent zusammen 4500 Milliarden US$. Aber nur 4,9 % unserer Einfuhren kommen aus diesem riesigen Wirtschaftsraum und nur 6,7 % der Ausfuhren gehen dorthin.
Ähnlich verhält es sich mit Asien: Alleine die 532 Millionen Menschen der Länder Südostasiens erzeugen ein BIP von 1117 Milliarden US$. Japan hatte 2002 ein BIP von 4000 Milliarden Euro und jenes von China belief sich auf 1237 Milliarden Euro. Aber die österreichischen Einfuhren aus ganz Asien machen nur 8,5 % unserer Gesamteinfuhren aus und die Ausfuhr nach Asien betragen nur 6,2 % der österreichischen Gesamtausfuhren.
Die Frage, was getan werden kann, um den Warenaustausch Österreichs mit den außereuropäischen Ländern zu fördern, ist daher sehr berechtigt. Dies insbesondere auch deshalb, weil sich in den verschiedensten Regionen der Welt Länder zu Handelsblöcken zusammenschließen und damit die Gefahr besteht, dass der Handel mit Ländern außerhalb dieser Blöcke sogar erschwert wird. Wir driften auseinander.
2. Die Regionen der Welt formieren sich
In dem Ausmaß in dem sich in Nord- und Südamerika Länder zusammenschließen, um interne Zölle abzubauen, diese aber nach außen aufrechterhalten, besteht die Gefahr, dass der Warenaustausch mit anderen Ländern erschwert wird.
Bis zum 2. Weltkrieg etwa waren Großbritannien und die Vereinigten Staaten noch in gleicher Weise die wichtigsten Handelspartner Kanadas. Mitte der 80er Jahre gingen schon 70% der kanadischen Exporte in die USA, die auch 70% der kanadischen Importe lieferten. Die Schaffung der "North American Free Trade Association" (NAFTA) hat dazu geführt, dass heute 87% der kanadischen Exporte zum südlichen Nachbarn gehen, aber nur noch 4,62% in die EU (davon 1% nach Großbritannien). Wenn es somit der EU nicht gelingt, im Rahmen eines Abkommens zumindest einen gewissen Freihandel mit Kanada zu erreichen, dann wird das Übergewicht der USA total werden.
Auch in Südamerika haben sich vier Länder (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay), zu einem gemeinsamen Markt, dem MERCOSUR (Mercado Comun del Cono Sur) zusammengeschlossen. Dieser umfasst fast 12 Millionen Quadratkilometer, auf denen 213 Millionen Menschen leben. Gegründet wurde der Mercosur 1991 mit dem Vertrag von Asuncion, wobei es primär um eine wirtschaftspolitische Zielsetzung ging: zunächst sollte eine Freihandelszone geschaffen werden, aber auch die Vision eines gemeinsamen Marktes mit einer gemeinsamen Währung wurde für die Zukunft entwickelt. Die gegenwärtigen Präsidenten Brasiliens und Argentiniens haben die politischen Konsultationen verstärkt und auch eine verstärkte politische Integration in den Raum gestellt.
Darüber hinaus gibt es auf dem amerikanischen Kontinent noch andere Bestrebungen, die auf einen weiteren wirtschaftlichen Zusammenschluss abzielen. So wollen die Staaten des CARICOM einen "Einheitlichen Markt" errichten und die Schaffung einer "Gesamtamerikanischen Freihandelszone" (FTAA) von Alaska bis zum Feuerland ist immer noch für 2005 vorgesehen. So sehr man bei all diesen Projekten immer wieder feststellen kann, dass die Wirklichkeit mit den Wunschvorstellungen oft nicht Schritt hält, so muss man doch eines festhalten: In den verschiedensten Regionen der Welt schließen sich Länder zusammen und die Dynamik der inneren Kooperation kann dazu führen, dass die Grenzen nach außen dichter werden.
Südostasien
So ist es auch in Südost-Asien, wo 1967 die ASEAN (Association of South-East Asian Nations) gegründet wurde, die heute 10 Länder umfasst: Brunei, Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand, Vietnam (seit 1995), Laos und Myanmar (seit 1997) und Kambodscha (seit 1999). Ziele dieser Vereinigung sind in erster Linie die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Integration der Region, darüber hinaus geht es aber auch um die Förderung von Frieden und Sicherheit.
Die Freihandelszone AFTA (ASEAN Free Trade Association) soll beschleunigt verwirklicht werden. Seit 1996 gibt es jährliche Treffen der Regierungschefs sowie Konferenzen der Fachminister. Die 6 ursprünglichen Mitglieder (ASEAN-6) haben die Zölle fast aller Produkte auf ein sehr niedriges Niveau zwischen 0% und 5% reduziert. Geplant sind erweiterte Freihandelszonen zwischen ASEAN und China (bis 2012); zwischen ASEAN und Japan (ebenfalls bis 1012); sowie zwischen ASEAN und Indien (bis 2011). Weiters wird mit den USA derzeit über ein "Trade and Investment Framework Agreement" (TIFA) verhandelt.
Schließlich soll bis 2020 die "ASEAN Wirtschaftsgemeinschaft" (AEC) geschaffen werden mit der Verwirklichung des freien Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Investitionsverkehrs sowie den freien Kapitalfluss.
3. Was tun?
Was kann nun getan werden, damit angesichts der Bildung dieser Wirtschaftsblöcke in den verschiedensten Teilen der Welt österreichische Unternehmen ihre Chancen wahren?
Einmal geht es wohl darum, das zu tun, was ohnehin schon geschieht: die persönlichen Kontakte auszubauen. Als Botschafter in Kanada habe ich immer wieder gesehen, wie Exponenten der österreichischen Wirtschaft entsprechende Gespräche führten und Kontakte knüpften. Der Präsident der Wirtschaftskammer, Christoph Leitl, fand auch als Präsident der Europäischen Handelskammer Gesprächspartner auf höchster Ebene; Das Raiffeisen Wirtschaftsforum unter Generaldirektor Ludwig Scharinger war die größte Wirtschaftsdelegation, die je Kanada besuchte. Der Präsident der Wiener Handelskammer, Walter Nettig, präsentierte, zusammen mit einem Team von Experten den "Wirtschaftsstandort Wien" in beeindruckender Weise. Wirtschaftskapitäne wie Klaus Raidl und der leider zu früh verstorbene Peter Strahammer hatten Kontakte, die weit über ihren unmittelbaren Geschäftsbereich hinausreichten. Auch der Besuch von Sektionschef Josef Mayer vom Wirtschaftsministerium fand in Kanada große Beachtung.
Aber auch die besten persönlichen Kontakte nützen nichts, wenn das Ergebnis der Gespräche, etwa wegen struktureller Hindernisse, nicht umgesetzt werden kann. Konkret: wenn etwa Handelshemmnisse bestehen, die Einfuhren erschweren oder den Verkauf importierter Waren praktisch unmöglich machen.
Es muss daher darum gehen, mit Drittländern bzw. mit den neuen Wirtschaftszonen NAFTA, MERCOSUR oder ASEAN Abkommen abzuschließen, die den Export österreichischer Waren erleichtern.
Dabei können unsere Wirtschaftsbeziehungen zu Drittstaaten von der Mitgliedschaft in der EU profitieren. Die Zugehörigkeit zum mächtigsten Binnenmarkt der Erde sichert Österreich auf den Weltmärkten wesentlich bessere Bedingungen, als sie von einem Kleinstaat etwa auf multilateraler Ebene oder bilateral ausgehandelt werden könnte. Durch die Mitwirkung an der gemeinsamen Außenhandelspolitik sowie durch die Unterstützung der europäischen Kommission ist für Österreich ein Vorgehen gegen Handelsbeschränkungen leichter geworden.
Auch Handelsstreitigkeiten können durch den Rückhalt in der EU leichter geregelt werden.
Weitere Märkte öffnen
Es muss also darum gehen, bereits begonnene Verhandlungen mit den neuen Märkten in Amerika oder in Südostasien erfolgreich zu beenden. Es geht darum, dass innerhalb der "Transatlantischen Wirtschafts-Partnerschaft" weitere Märkte geöffnet werden; dass das Assoziationsabkommen mit dem MERCOSUR abgeschlossen wird und jenes mit ASEAN vertieft wird. Dies umso mehr, als die Vereinigten Staaten ihrerseits sehr aktiv sind, ihre Interessen weltweit zu wahren, wie die unlängst mit Australien und Zentralamerika abgeschlossenen Freihandelsabkommen zeigen.
Es gibt also eine Wirtschaftswelt außerhalb der EU, es geht darum, den neuen Herausforderungen gerecht zu werden und die gegebenen Chancen zu nützen. n
Wendelin Ettmayer: 1994 bis 2003 österreichischer Botschafter in Finnland bzw. Kanada; leitet nunmehr im Außenministerium die Abteilung für bi- bzw. multilaterale Wirtschaftsbeziehungen. (Autor des Buches "Eine geteilte Welt — Machtpolitik und Wohlfahrtsdenken in den Internationalen Beziehungen des 21. Jahrhunderts"; Trauner Verlag; Euro 9,80)