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Gibt es einen Weg aus der syrischen Hölle?

Von Klaus Huhold und Michael Schmölzer

Politik

Einmal mehr suchen die internationalen Mächte in Wien nach einer Lösung. Erstmals ist es gelungen, die Erzfeinde Iran und Saudi-Arabien an einen Tisch zu bringen. Doch wird das reichen?


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Das Syrien-Treffen vor einer Woche war ein Flop. Was ist diesmal zu erwarten?
Nicht sonderlich viel. Die Positionen sind dafür noch viel zu entgegengesetzt. So fordern etwa die USA und Saudi-Arabien weiterhin den Sturz von Präsident Bashar al-Assad, der für Russland und Iran ein wichtiger Verbündeter ist. Der einzige Kitt ist die gemeinsame Gegnerschaft zum IS, aber der scheint zu schwach sein, als dass es einen großen gemeinsamen Wurf geben könnte. Vielleicht gibt es einzelne Annäherungen in Detailfragen - etwa wie die USA und Russland ihre Einsätze koordinieren, damit sie sich militärisch nicht in die Quere kommen. Kommt es zu Einigungen, die darüber hinausgehen, wäre das eine Überraschung.

Woran sind die Gespräche bis dato gescheitert?
Erstens, weil mit wichtigen Akteuren nicht gesprochen wurde - so war der Iran beim letzten Treffen gar nicht eingeladen. Zweitens, weil die Interessen der einzelnen Akteure zu verschieden sind. Syrien ist mittlerweile zum Schlachtfeld eines geopolitischen Kräftemessens geworden, auf dem etwa Iran und Saudi-Arabien einen Stellvertreterkrieg führen oder Russland wieder eine stärkere Rolle am internationalen Parkett zu gewinnen versucht.

Warum findet das Treffen gerade in Wien statt?

Österreich bietet sich als neutrales Land und Wien als UN-Standort an. Dazu kommt, dass Außenminister Kurz sehr intensiv daran gearbeitet hat, den Gipfel nach Wien zu bringen.

Wer nimmt an der Konferenz teil?
Das war bis zuletzt nicht ganz klar. Sicher ist, dass die Außenminister der USA, Russlands, Großbritanniens, Deutschlands, Frankreichs, Saudi-Arabiens, des Iran, der Türkei, Katars, Ägyptens, der Vereinigten Arabischen Emirate, des Libanon, Jordaniens, Italiens und des Oman teilnehmen. Auch aus China und dem Irak wurden Vertreter erwartet. Zudem sind die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sowie der Sondergesandte der UNO für den Syrien-Konflikt, Staffan de Mistura, anwesend.

Redet man mit den Syrern selbst?
Die Gegner von Präsident Assad und auch Vertreter des Regimes sind nicht nach Wien eingeladen worden. Das wird zwar von diesen heftig kritisiert und macht die Suche nach einer Lösung nicht einfacher. Doch hat das auch gute Gründe: Sowohl das Regime in Damaskus als auch die gemäßigten Rebellen sind längst nicht mehr die bestimmenden Faktoren. Außerdem ist bei zwei internationalen Syrien-Konferenzen - Genf I und Genf II - versucht worden, Vertreter des Regimes und der Rebellen an einen Tisch zu bringen. Das Ergebnis war ernüchternd. Die Gräben zwischen Assad und seinen Gegnern sind viel zu tief, außerdem haben es die oppositionellen Kräfte von Beginn an nicht geschafft, mit einer Stimme zu sprechen.

Iran und Saudi-Arabien sitzen gemeinsam an einem Tisch. Ist das ein großer Fortschritt?
Es ist ein Fortschritt, dass die beiden Staaten überhaupt miteinander reden. Das ist aber auch schon alles. Es ist nicht zu erwarten, dass sich Riad und Teheran auch nur im kleinsten Detail auf irgendeine gemeinsame Line einigen werden. Iran will Assad unbedingt halten, Saudi-Arabien will ihn unbedingt stürzen. Generell sind sich die beiden Staaten spinnefeind, kämpfen um Einfluss in der Region. Dieser Konflikt hat Auswirkungen, etwa auf den Irak oder im Jemen. Zudem heizt dieser geopolitische Machtkampf religiöse Auseinandersetzungen weiter an: Saudi-Arabien unterstützt Sunniten, der Iran Schiiten, oder wie im Fall von Assad einen alawitischen Präsidenten.

Welche Rolle spielt Saudi-Arabien in dem Konflikt? Hat sich der Westen hier den richtigen Verbündeten gesucht?
Saudi-Arabien hat von Anfang an - wie der Westen - auf einen Sturz von Assad gesetzt. Nur flossen dabei jede Menge Gelder, etwa von reichen Geschäftsleuten oder religiösen Stiftungen, an dschihadistische Gruppen - wovon laut Diplomaten auch der IS stark profitiert hat. Problematisch ist zudem der Export der wahhabitischen Ausrichtung des Islam, der durch saudische Gelder weltweit gefördert wird. Wahhabitische Prediger fordern Intoleranz gegenüber Nicht-Moslems oder auch Schiiten, die von ihnen verachtet werden. Sie radikalisieren Millionen junger Leute, wovon wiederum dschihadistische Gruppen profitieren. Mit seiner engen Anbindung an Saudi-Arabien finanziert der Westen radikale Strömungen im Islam und damit auch Gotteskrieger in Syrien mit.

Wie weit ist Russland in der Lage, hier Fakten zu schaffen? Überfordert sich Moskau nicht selbst?
Moskau hat mit seinem militärischen Eingreifen in Syrien die Initiative ergriffen, die Vereinigten Staaten überrascht und einen Anstoß zu neuen Verhandlungen geliefert. Klar ist, dass Präsident Wladimir Putin seinen Einfluss ausweiten, die Macht Washingtons international zurückdrängen will. Deshalb ist der Kreml intensiv bestrebt, seinen Verbündeten ihn Nahost, Assad, zu stärken. Doch Russland pokert hoch. Man läuft Gefahr, in einen verlustreichen Krieg involviert zu werden, aus dem man so schnell nicht heraus kommt. Auch haben die in Syrien kämpfenden islamistische Al-Nusra-Front und der IS Russland bereits mit Terror auf eigenem Staatsgebiet gedroht. Es befinden sich tausende Tschetschenen in Syrien, die Gefahr, dass sie zurückkehren und die Idee eines islamistischen Kalifats wiederbeleben, ist real.

Der Westen will eine Zukunft ohne Assad. Hat er aber überhaupt
eine Alternative?
Das ist genau das Dilemma des Westens. Er lehnt Assad wegen dessen brutaler Kriegsführung ab. So schreckt das Regime vor Fassbomben auf Zivilisten nicht zurück. Zudem hat der Machthaber geopolitisch den USA und ihren Verbündeten nie ins Konzept gepasst. Doch dem Westen fehlt jede tragbare Alternative. Die Erwartungen an die Freie Syrische Armee waren von Anfang an überzogen, außerdem wurde sie vom Westen nur halbherzig unterstützt. Die Opposition in Syrien ist vollkommen zersplittert und auch abgesehen vom IS finden sich darunter jede Menge dschihadistische Gruppen. Die Kurden waren bisher die effektivsten Kämpfer gegen den IS. Doch dass sie weiter erstarken, ist der Türkei ein Dorn im Auge, die wiederum Teil des westlichen Anti-Assad-Bündnisses ist. Mittlerweile haben schon viele westliche Regierungen - etwa Deutschland und Großbritannien - angedeutet, dass man vielleicht kurzfristig doch mit Assad, auch im Hinblick auf den Kampf gegen den IS, kooperieren sollte.

Gab es in letzter Zeit Erfolge gegen den IS? Russland behauptet, in Syrien den terroristischen Islamischen Staat bekämpfen zu wollen. Die Erfolge lassen aber auf sich warten. Zuletzt hat der IS im Raum Aleppo sogar Terrain dazugewonnen und eine strategisch wichtige Straße erobert. Moskau-Kritiker meinen, dass die russischen Angriffe die moderaten Rebellen schwächen und damit militärische Erfolge des IS ermöglichen. Aber auch die Luftangriffe des Westens gegen den IS haben bisher nicht die erhoffte Wirkung gebracht.

Was wurde eigentlich aus der viel beschworenen Offensive der syrischen Armee mit russischer und iranischer Hilfe?

Nach anfänglichen Erfolgen ist der Vormarsch der syrischen Armee und ihrer Helfer ins Stocken geraten. Die auch von österreichischen Boulevard-Medien angekündigte ultimative Schlacht um Aleppo lässt auf sich warten. Es zeigt sich einmal mehr, dass Bombardements aus der Luft, auch wenn sie so intensiv wie die russischen sind, den Bürgerkrieg nicht entscheiden können. Laut Militärexperten sind die Erfolge der syrischen Armee im Vergleich zum Aufwand minimal. Das auch deshalb, weil Panzerabwehrraketen amerikanischer Produktion den Vormarsch der Assad-Armee gestoppt haben. Mit diesen Waffen haben die Rebellen über 60 Panzer und andere gepanzerte Fahrzeuge der Armee zerstört. Moskau wirft der syrischen Armee allerdings "Unfähigkeit" vor.

Gibt es überhaupt Chancen auf Frieden?
Kurzfristig sind die Chancen sehr gering. Wenn die USA, Russland und die regionalen Mächte ihre Sphären abgesteckt und sich prinzipiell geeinigt haben, was mit Assad geschehen soll, wäre ein "Einfrieren" des Konfliktes möglich. Das syrische Regime hätte dann ein durchgängiges Territorium im Westen des Landes, ebenso die Rebellen und Kurden im Norden des Landes. Dann müsste ein Waffenstillstand vereinbart und seine Einhaltung überwacht werden. Doch dann müsste noch immer gegen den IS vorgegangen werden. Klar ist jedenfalls: Solange weiter gekämpft wird, wird die Zivilbevölkerung aus Syrien fliehen.