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"Gibt nicht genug Nahrung für Welt"

Von Klaus Huhold

Politik

UNO-Experte Südhoff über die Gründe für den globalen Hunger. | "Wiener Zeitung": Sie waren gerade in Äthiopien und Kenia. Wie ist dort im Moment die Ernährungslage? | Ralf Südhoff: Ostafrika ist eine der am schlimmsten von der Hungerkrise betroffenen Regionen. Allein in Kenia bekommen derzeit 3,2 Millionen Menschen Ernährungshilfe, insgesamt wird von 4,5 Millionen Bedürftigen ausgegangen. Das hat verschiedene Gründe: Die Preise für Lebensmittel sind - wie übrigens in 80 Prozent der Entwicklungsländer - immer noch deutlich höher als vor der Welternährungskrise.


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Ralf Südhoff: Ostafrika ist eine der am schlimmsten von der Hungerkrise betroffenen Regionen. Allein in Kenia bekommen derzeit 3,2 Millionen Menschen Ernährungshilfe, insgesamt wird von 4,5 Millionen Bedürftigen ausgegangen. Das hat verschiedene Gründe: Die Preise für Lebensmittel sind - wie übrigens in 80 Prozent der Entwicklungsländer - immer noch deutlich höher als vor der Welternährungskrise. Mais, ein Grundnahrungsmittel in Kenia, ist nun vielfach doppelt so teuer wie vor ein paar Jahren. Am Horn von Afrika kommt hinzu, dass diese Region ganz stark vom Klimawandel betroffen ist. Kenia erlebt jetzt die dritte Dürre hintereinander.

Weil Sie die weltweit erhöhten Lebensmittelpreise ansprechen - wie weit haben hier Spekulationen ihren Teil dazu beigetragen?

Anfang 2008 wurde massiv mit Lebensmitteln spekuliert. Geld, das vorher etwa in Immobilien veranlagt war, wurde in Rohstoffe umgeleitet. Die Lebensmittelpreise explodierten. Reis kostete plötzlich das Dreifache. Mittlerweile wurden viele Mittel wieder abgezogen, die Anleger versuchten bei all den Spekulationsblasen ihre Mittel zu retten. Aber die hohen Preise sind geblieben, vor allem in den Entwicklungsländern selbst. Spekulationen sind zwar nicht mehr das große Problem, aber wir haben mit der großen Nachfrage nach Lebensmitteln und den Auswirkungen der Finanzkrise zu kämpfen.

Die da wären?

Die Überweisungen von Auswanderern in ihre Heimatländer gehen massiv zurück, in Kenia sind sie etwa um zehn Prozent gesunken. Diese Überweisungen machen in vielen Regionen mehr aus als die gesamte Entwicklungshilfe. Zudem sind viele Entwicklungsländer Exporteure von Rohstoffen und haben hier mit einer deutlich gesunkenen Nachfrage zu kämpfen. Auslandsinvestoren gehen deutlich weniger in die Entwicklungsländer, es gibt weniger Kapital in diesen Ländern und damit etwa weniger Kredite für die Landwirtschaft. Die Zahl der Hungernden ist in diesem Jahr um hundert Millionen gestiegen, so etwas gab es noch nie.

Hinzu kommen noch Exportsperren.

Ja, auch das verschlimmert die Lage in einzelnen Ländern. So hat etwa Tansania wegen der eigenen Maisknappheit Exporte nach Kenia untersagt. Das verschärft dort wieder die Situation. Grundsätzlich haben wir eine massive Nachfrage nach Lebensmitteln. In 20 Jahren werden wir um 50 Prozent mehr Lebensmittel brauchen, als wir heute produzieren.

Haben wir heute überhaupt noch genug Lebensmittel für die Weltbevölkerung?

Nein. Früher glaubten wir, es gibt genug zu essen, aber es gehört anders verteilt. Heute gibt es nicht genug zu essen, und auch die Lebensmittel, die wir haben, gehören anders verteilt. Generell brauchen wir mehr Mittel für die Landwirtschaft - der Anteil der Entwicklungshilfe des Nordens, der für die Agrarwirtschaft in Entwicklungsländern gegeben wird, ging um 75 Prozent zurück.

Was erwarten Sie sich in diesem Zusammanhang von dem am Montag beginnenden Welternährungsgipfel?

Es muss ein klares Bekenntnis dazu geben, die Folgen und die Ursachen des Hungers zu bekämpfen. Wir brauchen Investitionen in die landwirtschaftliche Infrastruktur oder in neue Forschungsansätze. Dabei wäre schon viel geholfen, wenn die Industrienationen nur ihre Zusagen einhalten und ihre Entwicklungshilfe wie versprochen erhöhen würden.

Investitionen in die Forschung haben einen langfristigen Wert. Was muss nun kurzfristig geschehen?

Es müssen endlich Mittel eintreffen. Das Welternährungsprogramm hat den Auftrag, 100 Millionen Menschen, die am härtesten von der Lebensmittelkrise betroffen sind, zu ernähren. Bis jetzt, und wir haben mittlerweile schon November, haben wir erst 50 Prozent unseres Jahresbudgets erhalten.

Der 40-jährige Politologe und Ökonom Ralf Südhoff leitet das Deutschland- und Österreichbüro des UN-Welternährungsprogramms.