Zum Hauptinhalt springen

Giftig ist Dioxin nur in hohen Dosen

Von Roland Knauer

Wissen

Krebserregende Wirkung beim Menschen noch nicht nachgewiesen. | Vorübergehend keine Gefahr von Vergiftungen. | Berlin/Würzburg. Kein Tag vergeht ohne neue Schlagzeile im Dioxin-Skandal: Mehr als ein Viertel der bisher getesteten Eier in Deutschland sind mit dem Gift belastet, gab der Leiter für Lebensmittelsicherheit im deutschen Verbraucherministerium, Bernhard Kühnle, am Freitag bekannt. Von 83 Eier-Proben lägen 23 oberhalb des Höchstwertes. Bei Schweinefleisch sei von 33 Proben eine über dem Dioxin-Höchstgehalt und eine am Grenzwert registriert worden. Am Freitag wurden weitere 396 Betriebe gesperrt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Doch ab welchen Mengen ist Dioxin wirklich gefährlich? Eine Erinnerung lässt größte Ängste aufkommen: Mitten im ukrainischen Präsidentschaftswahlkampf 2004 erkrankte Präsident Viktor Juschtschenko an einer rätselhaften Krankheit, die ihn für Wochen außer Gefecht setzte. Bilder seines durch Chlorakne entstellten Gesichts gingen weltweit durch die Medien. Mediziner bestätigten ungewöhnlich hohe Konzentrationen von Dioxin (TCDD) in seinem Blut. Selbst Jahre nach dem Anschlag ist Juschtschenko immer wieder in Behandlung. Das Toxin gilt als besonders heimtückisch, da es schwer aus dem Organismus zu eliminieren und mit keinem Gegengift zu bekämpfen ist.

"Ohne Zweifel gehören Dioxine zu den am stärksten giftigen Verbindungen, die wir kennen", bestätigt der Toxikologe Wolfgang Dekant von der Universität Würzburg. Panik vor giftigen Eiern oder dem Fleisch von Hühnern, Puten und Schweinen sei aber auf gar keinen Fall angebracht. Auch wenn in einigen dieser Nahrungsmittel höhere Dioxinkonzentrationen festgestellt wurden, als die Grenzwerte es erlauben.

Um diese auf den ersten Blick widersprüchlichen Aussagen zu verstehen, lohnt ein genauerer Blick auf die giftige Wirkung von Dioxinen. Die in Deutschland in Eiern und Fleisch aufgetauchten Verbindungen stammten nach Angaben des Herstellers aus der Industrie. Dort anfallende Fettrückstände wurden von einer norddeutschen Firma zu Schmierfetten für die Industrie verarbeitet. Ein Teil dieser Fette aber wurde illegal auch in Futtermittel für die Tierhaltung gemischt.

Da Schmierfett normalerweise weder verzehrt noch als Gesichtscreme verwendet wird, sind dort höhere Dioxinkonzentrationen erlaubt als in der Nahrungsmittelkette. Und diese höheren Konzentrationen erreichten über die illegale Verwendung im Futter am Ende auch Eier und Fleisch. Prompt wurden in einigen Proben Dioxinwerte gemessen, die dreimal höher als der zulässige Grenzwert waren.

Die Alarmglocken schrillten

Zum Jahreswechsel schrillten die Alarmglocken. Bauernhöfe wurden geschlossen, Tiere gekeult und Lebensmittel aus dem Verkehr gezogen. Dennoch dürften bereits vorher Eier und Fleisch mit erhöhten Dioxin-Werten über den Ladentisch gewandert sein. Dosenwurst oder Produkte, die - wie Nudeln - Eier enthalten, könnten noch im Umlauf sein.

Weshalb derzeit aber niemand Angst vor einer Dioxin-Vergiftung haben muss, verrät ein Blick auf das Zustandekommen der Grenzwerte an sich. Bei einem Meerschweinchen mit einem Gewicht von einem Kilo genügt bereits ein Millionstel Gramm an Dioxinen, um das Tier mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent zu töten. "Bei Meerschweinchen greifen die Dioxine vermutlich in den Glukosestoffwechsel ein und verleiden den Tieren derart den Appetit, dass sie an Auszehrung sterben", erklärt Dekant.

Die Giftwirkung ist allerdings bei verschiedenen Arten unterschiedlich. Um einen Hamster zu töten, ist tausend Mal mehr Dioxin pro Kilo Körpergewicht nötig als beim Meerschweinchen. Bei Menschen wiederum ist diese tödliche Dosis aus naheliegenden Gründen nicht genau bekannt. Sie liegt aber vermutlich näher beim Hamster als beim Meerschweinchen. Im Körper des ukrainischen Präsidenten waren die Grenzwerte für Menschen jedenfalls um ein Vielfaches überschritten.

Im menschlichen Körper aufgenommene Dioxine binden sich an Bestandteile (Lipide) des Blutes und werden weiterverteilt. Sie reichern sich vor allem im Fettgewebe und in der Leber an. Durch ihre Freisetzung werden Fremdstoff-abbauende Enzyme gebunden. Das heißt, der Körper kann sich nicht mehr wie gewohnt selbst entgiften, was die Leber schädigt und den Stoffwechsel stört. Beim Menschen ist die Chlorakne das Leitsymptom schwerer akuter Dioxinvergiftungen.

Grenzwerte für Krebs

Auch was die Langzeitwirkung betrifft, reagieren Lebewesen unterschiedlich. Bei Ratten lösen Dioxine Krebs aus. Bei höheren Dosen wurde bei Affen aber bisher keine Krebserkrankung beobachtet. Und nachdem am 10. Juli 1976 in der Chemiefabrik Icmesa nahe Mailand bei einem Unglück viele Tausend Menschen relativ großen Mengen von Dioxinen abbekamen, konnten seither bei den Betroffenen keine höheren Krebsraten nachgewiesen werden.

Nichtsdestotrotz wurde der entsprechende Grenzwert an die krebserregende Dosis bei Ratten angelehnt. Da sich Dioxine im Körperfett anreichern und kaum ausgeschieden werden, wird der Grenzwert so berechnet, dass ein Mensch täglich diese Menge Toxine aufnehmen kann und er am Ende seines Lebens immer noch weniger Dioxine als ein Tausendstel der krebserregenden Dosis bei Ratten in seinem Körper hat.

Werden die Grenzwerte also in einigen Lebensmitteln um das Dreifache überschritten, kann man diese einige Wochen lang essen, ohne dass sich die während des gesamten Lebens im Körper gespeicherte Dioxinmenge merklich erhöht. Schärfere Kontrollen in Deutschland sollen Lebensmittel-Skandale künftig verhindern. Das geht aus einem Aktionsplan hervor, den die deutsche Verbraucherministerin Ilse Aigner am Freitag vorgestellt hat. Vermutlich muss also niemand vor vorübergehend höheren Dioxinwerten in Fleisch und Eiern Angst haben.