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Gilad Shalit kehrt nach 1940 Tagen heim

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Benjamin Netanyahu zu den Eltern: "Habe euch euer Kind zurückgebracht."


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Tel Aviv. 1940 Tage, seit dem 25. Juni 2006, hatten Aviva und Noam Shalit auf diesen Moment gewartet. Dienstag Mittag konnte ihnen Ministerpräsident Benjamin Netanyahu auf der Militärbasis Tel Nof südlich von Rehovot mitteilen: "Ich habe euch euer Kind zurückgebracht." Unmittelbar zuvor hatte Netanyahu den aus der Hamas-Gefangenschaft freigelassenen 25-jährigen Gilad Shalit mit den Worten "Willkommen in Israel, Gilad. Wie gut, dass du zurückgekommen bist" empfangen.

Am späten Montagabend hatte das Oberste Gericht Israels die letzten Hürden für den Gefangenenaustausch beseitigt und vier Einsprüche gegen die Freilassung von 1027 palästinensischen Häftlingen zurückgewiesen. Zuvor hatte sich Netanyahu gegen drei Hardliner innerhalb seines Kabinetts, seinen Stellvertreter Moshe Yaalon, einen früheren Stabschef der Armee, Außenminister Avigdor Lieberman und Infrastrukturminister Uzi Landau durchsetzen müssen, die den Gefangenenaustausch ablehnten. "Ich wollte nicht, dass der Fall Gilad Shalit wie jener von Ron Arad ausgeht, der seit 25 Jahren vermisst wird. Ich musste an die Qualen denken, denen Ron Arads Mutter bis zu ihrem Todestag ausgesetzt war", sagte Netanyahu.

Erste Rückkehr eines Gefangenen seit 1985

Mit Gilad Shalit kehrt erstmals seit 26 Jahren, als drei im Libanon gefangen gehaltene Soldaten gegen 1150 Palästinenser ausgetauscht wurden, wieder ein israelischer Soldat lebendend aus der Gefangenschaft nach Hause.

In einem ersten Schritt für den Gefangenenaustausch hatte Israel am frühen Dienstagmorgen weibliche palästinensische Häftlinge nach Gaza überstellt. Insgesamt kamen am Dienstag 477 in Israel inhaftierte Palästinenser frei, von denen etwa 130 ins Westjordanland überstellt und etwa 40 in Drittländer abgeschoben wurden. Die restlichen 550 Palästinenser sollen in etwa zwei Monaten freigelassen werden.

Um 8.24 Uhr Ortszeit (6.24 MEZ) wurde Gilad Shalit zunächst an Ägypten übergeben und konnte anschließend über den Grenzübergang Kerem Shalom an der Dreiländergrenze zwischen Israel, Ägypten und Gaza, in dessen Nähe er im Juni 2006 entführt worden war, nach Israel zurückkehren. Nach einer kurzen medizinischen Untersuchung konnte Shalit zum ersten Mal seit mehr als fünf Jahren mit seinen Eltern telefonieren. Anschließend gab der freigelassene israelische Soldat dem ägyptischen Fernsehen ein erstes Interview, in dem er die Hoffnung äußerte, dass der nunmehrige Gefangenenaustausch auch zu einem Friedensabkommen zwischen Israel und den Palästinensern führt. Er habe vor einer Woche von seiner bevorstehenden Freilassung erfahren und könne seine Gefühle von damals nicht beschreiben. Er habe aber gefühlt, dass ihm schwere Momente bevorstünden. Er habe befürchtet, dass er möglicherweise noch viele Jahre in Gefangenschaft bleiben müsse und dass die Dinge schiefgehen könnten.

Auf den ersten Fernsehbildern wirkte der 25-jährige Soldat abgemagert und erschöpft.

GefangenschaftShalits in Isolierung

Shalit sagte, dass er sich bei guter Gesundheit befinde, dass er aber lange Zeit keine Menschen gesehen habe und dass er sich freue, Menschen zu treffen. Er habe seine Familie und seine Freunde sehr vermisst.

Gilad Shalit durfte in der Zeit seiner Gefangenschaft nur drei Briefe, eine Audio- und eine Videobotschaft an seine Familie übermitteln. Auch Besuche durch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz wurden ihm verweigert.

Auf der Luftwaffenbasis von Tel Nof wurde Shalit bereits von seiner Familie - neben den Elter und den Großeltern väterlicherseits von seiner jüngeren Schwester Hadas und seinem älteren Bruder Yoel erwartet und von Premierminister Benjamin Netanyahu, Verteidigungsminister Ehud Barak und Heeres-Stabschef Benny Gantz empfangen. Nach einer weiteren medizinischen Untersuchung konnte Gilad Shalit am Nachmittag in seinen Heimatort Mitzpe Hila im Norden des Landes fliegen, der von Sicherheitskräften seit Dienstagmorgen abgesperrt ist, um dem heimgekehrten Soldaten und seiner Familie in den nächsten Tagen Ruhe zu gewährleisten.

Der israelische Staatspräsident Shimon Peres dankte nach der Freilassung Shalits dem deutschen Vermittler Gerhard Konrad persönlich für dessen Hilfe bei den Verhandlungen über den Gefangenenaustausch.

Die Freilassung Shalits wurde international begrüßt. Der britische Premierminister David Cameron gratulierte Premierminister Netanyahu und allen Beteiligten dafür, "ihn sicher nach Hause gebracht zu haben, und hoffe, dass dieser Gefangenenaustausch den Frieden einen Schritt näher bringen wird".

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich erfreut über die Freilassung und dankte Ägypten für die Teilnahme an den Vermittlungsbemühungen.

Auch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon erwartet, dass der Gefangenenaustausch eine positive Auswirkung auf den Friedensprozess im Nahen Osten haben wird.

Warnung Netanyahus an freigelassene Palästineneser

Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu warnte unterdessen die freigelassenen palästinensischen Häftlinge davor, sich an neuen Gewalttaten gegen Israelis zu beteiligen. "Wer zum Terror zurückkehrt, muss die Konsequenzen tragen", sagte Netanyahu bei der Begrüßungszeremonie für Shalit. Gegner des Gefangenenaustauschs hatten davor gewarnte, dass radikale Palästinenser dies als ein Zeichen dafür missverstehen könnten, dass sich Gewalt letzten Endes doch auszahle.

Shalit-Austausch setztAbbas unter Druck

Politische Beobachter befürchten, dass der Gefangenenaustausch den gemäßigten palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas unter Druck bringen könnte. Selbst Verbündete von Abbas glauben, dass der bewaffnete Kampf gegen Israel wieder in den Vordergrund tritt - auf Kosten der gewaltfreien Strategie mit Verhandlungen und dem diplomatischen Werben für eine breite Anerkennung eines Palästinenserstaates. Ein nicht namentlich genanntes Mitglied der Abbas-Verwaltung meinte, dass das Abkommen über den Gefangenenaustausch die öffentliche Position der Hamas verbessere und eine falsche Botschaft an die Öffentlichkeit vermittle.