Giorgio Moroder über seine Anfänge als Komponist und seinen Aufstieg zum Hit-Produzenten, über die schwierigen Bedingungen in der Schlagerbranche, seine Freundschaft zu Donna Summer und über den Herzschlag der elektronischen Musik.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Wiener Zeitung": Herr Moroder, es war nicht leicht, diesen Gesprächstermin zu bekommen. Geben Sie nicht gerne Interviews?
Giorgio Moroder: Das ist vor allem eine Zeitfrage. Ich stehe sehr unter Druck, bin jetzt in Gröden und warte auf einen Anruf aus Frankreich, weil ich die Musik zu einem Film komponieren soll. Wenn der Anruf kommt, muss ich sofort abreisen. Außerdem habe ich in Interviews schon alles gesagt, was es über mich zu erzählen gibt. Man hat beim Antworten ja so seine Muster.
Wie in der Musik?
Ja, in der Pop-Musik gibt es ebenfalls Erzählmuster. Zumindest bei älteren Schlagern: Erste Strophe, erster Vers, Refrain und so weiter. In den vergangenen Jahren hat sich diesbezüglich allerdings einiges verändert. Es wird jetzt mehr variiert, man schneidet einzelne Teile auf ungewöhnliche Art zusammen, es gibt mehrere verschiedene Refrains, es entstehen andere Dramaturgien.
Sie gelten als Pionier, ja als "Godfather" der Discomusik. Gibt es ein bestimmtes Lebensgefühl, das Sie mit dieser Musik verbinden? Jugend? Partystimmung? Flucht vor dem Alltag?
"Godfather der Discomusik" höre ich jedenfalls lieber als "Großvater der Discomusik", wie ich auch oft genannt werde. Damals, als die Discomusik aufkam, gefiel sie vielen Menschen nicht, man sagte, sie sei zu flach, zu monoton, zu hektisch. Es wurde aber trotzdem gerne dazu getanzt. Und sie hat sich bis heute gehalten. Die derzeit populäre Dancefloor-Musik ist im Grunde nur eine Variante davon. Was das Lebensgefühl betrifft, muss ich gestehen, dass ich nie mittendrin war. Ich ging nicht besonders gern auf Partys, nicht einmal in Discos, nahm auch nie Drogen. Ich saß im Studio bei der Arbeit und produzierte meine Musik.
Haben Sie dennoch hin und wieder zu Ihrer eigenen Musik getanzt?
Ich bin kein guter Tänzer. Discos besuche ich höchstens, um meine Musik zu testen. In München, wo ich mein Studio hatte, war ich mit einem DJ befreundet, der im "Eastside" aufgelegt hat. Er spielte meine Demobänder und ich beobachtete gespannt, ob sich bei meinen Songs die Tanzfläche füllt oder leert. Das ist bei rhythmischer Musik immer ein guter Gradmesser, ob eine Nummer beim Publikum ankommt. Später hat mich meine Frau manchmal in einer Disco auf die Tanzfläche geschleppt. Da bin ich dann halt ihr zuliebe herumgehopst.
Ist Ihnen dabei die eigene Musik in die Beine gefahren?
Sagen wir so: Es hat mich immer gefreut, wenn meine Musik gespielt wurde. Aber noch lieber als in der Disco höre ich sie im Radio. Besonders erhebend ist es, wenn ich sie in fernen Ländern wie in China oder Japan zu hören bekomme. Das ist der Beweis, dass sie tatsächlich weltweit gespielt wird.
Selten zuvor hatten Produzenten bessere Chancen, selbst zu Stars zu werden als in der Zeit der Discomusik. Sie sind das beste Beispiel dafür. War Ihnen das zu Beginn Ihrer Karriere klar?
Nein, diese Entwicklung habe ich zuerst nicht erkannt. Zwar genossen John Lennon und Paul McCartney auch nach der Beatleszeit einen legendären Ruf als Songwriter und Komponisten, ansonsten standen aber zumeist die Sängerinnen und Sänger im Blickfeld der Öffentlichkeit. In der Discozeit wurden dann oft die Produzenten bekannter als die Interpreten. Das liegt daran, dass Sänger vielleicht nur einmal oder zweimal einen Hit landen, während ein Produzent, der mit vielen Künstlern zusammenarbeitet, meistens mehrere erfolgreiche Songs verbuchen kann. Und es hängt auch damit zusammen, dass die Disco- oder Dancemusik einen sehr großen Aufwand bei der Produktion erfordert. Bob Dylan stellt sich mit seiner Gitarre auf die Bühne und kann damit Wirkung erzielen, bei der Disco- oder Dancemusik braucht es mitunter ein ganzes Orchester und einen riesigen Produktionsaufwand. Der Name des Produzenten steht dann stellvertretend für das Werk.
Welchen Plan hatten Sie, als Sie in jungen Jahren nach München gingen, wo Sie ein paar Jahre später Ihr Studio "Musicland" eröffneten?
Ich hatte keinen ausgefeilten Plan. Ich wollte berühmt werden, am liebsten natürlich weltberühmt, aber das hätte ich nicht zu träumen gewagt. Der Anfang war ja entsprechend hart. Ich tingelte zuerst als Sänger durch Deutschland, um mir meine Brötchen zu verdienen, und trat in Discotheken auf. Dann produzierte ich in meinem Münchner Studio ein paar Hits, u.a. mit Michael Holm und Mary Roos. Bald wollten internationale Künstlerinnen und Künstler mit mir zusammenarbeiten. Aber dass es ganz nach oben gehen könnte, begriff ich erst, als ich mit Donna Summer und "Love to Love you, Baby" auf Platz eins der US-Charts rangierte.
Bei diesem Hit wird viel gestöhnt. War das Kalkül? Nach dem Motto: Sex sells?
Es war reiner Spaß. Ich wollte einmal ein sexy Lied produzieren und sagte zu Donna, die in München lebte, wenn sie eine Idee hätte, würde ich das gerne machen. Dann kam sie eines Tages mit diesen Zeilen an. Ich komponierte die Melodie dazu, wir nahmen das Lied auf, perfektionierten den Sound und setzten beim Stöhnen aus Übermut immer noch eins drauf. Und zwar so viel, dass später einige Sender wie zum Beispiel die BBC den Song verboten.
Sie entstammen einer Grödner Bildhauerdynastie. Die Verwandtschaft hat zuhause Heiligenfiguren geschnitzt. Wie nahm man Ihr musikalisches Statement in St. Ulrich auf?
So weit hinter dem Berg leben die Grödner auch wieder nicht, dass man hier so viel anders denken würde als in München. Möglicherweise hat sich der Dekan an diesem Lied gestört, falls er es jemals gehört hat. Jedenfalls hat man mir in Gröden nie vorgeworfen, dass ich eine Schweinerei produziert hätte, und sollten sie es hinter meinem Rücken gesagt haben, war es ja nur diese eine. Aus heutiger Sicht ist das Lied ohnedies harmlos.
Donna Summer ist in diesem Frühjahr an Lungenkrebs gestorben. Waren Sie mit ihr bis zum Schluss befreundet?
Wir trafen uns öfters. Sie wohnte ja mit ihrem Mann in einer Nachbarwohnung in Los Angeles. Auch meine Frau war sehr gut mit ihr befreundet. Donna war immer fröhlich und gut gelaunt, hat sich nie beklagt und uns nichts von ihrer Krebserkrankung erzählt. Sie hatte zwar in der letzten Zeit viel abgenommen, sagte aber, es sei ihr ganz recht, schlanker zu werden. Kurz vor ihrem Tod habe ich noch mit ihr telefoniert und ihr ein Projekt vorgeschlagen, das sie sehr interessierte. Zwei Wochen später ist sie gestorben.
Sie sind Komponist, Produzent, Filmemacher, Autodesigner . . . Worauf konzentriert sich Ihre künstlerische Identität?
In erster Linie sehe ich mich als Komponist. Aber ein englisches Sprichwort sagt, das Gras der Nachbarn ist immer grüner. So geht es auch mir. Ich finde es oft reizvoller, das zu machen, was die anderen machen: die Maler, Bildhauer, Filmemacher, Computerkünstler. Ich absolvierte die Kunstschule in St. Ulrich, auch aus diesem Grund interessieren mich die bildenden Künste. Und so habe ich u.a. das Konzept für zwei Statuen in Gröden entworfen, die einer meiner Bildhauerfreunde in Bronze gegossen hat. Ich befasse mich auch mit Film und Computerkunst. Stimmt, ich habe auch das Design für einen Luxuswagen entworfen. Aber das war leider im Jahr 1992 - ebenfalls eine Zeit der Wirtschaftskrise. Luxusautos hatten damals keine Chance und wir mussten unsere kleine Firma schnell wieder zusperren. Aber es gibt Hoffnung, dass ich dennoch eines Tages mit einem Prototyp durch die USA reisen kann.
Sind Sie eher ein Techniker als ein Romantiker?
Umgekehrt. Ich bin eher Romantiker als Techniker. Von Technik verstehe ich nichts. Ich produziere meine Demobänder, so weit reicht es, aber dann hole ich mir exzellente Musiker und lasse meine Songs und Kompositionen von ihnen einspielen.
Welchen Anteil hat die Perfektion bei der elektronischen Musik am Erfolg? Der menschliche Herzschlag ist ja nicht perfekt.
Perfektion ist wichtig, aber das heißt nicht, dass Computermusik nicht auch menschliche Gefühle aufnimmt oder ansprechen kann. Die Musik wird trotz aller technischen Möglichkeiten vorrangig von Musikern gespielt, der Computer verändert oft nur die Sounds. Und manchmal durchbricht man bewusst die Perfektion, lässt zum Beispiel den Bass nicht ganz auf den Schlag korrekt spielen, weil das mehr Spannung in die Kompositionen bringt.
Ist Komponieren stimmungsabhängig? Muss man "In the mood" sein?
Bei den meisten Aufträgen kann ich nicht warten, bis ich in Stimmung bin. Vor allem die Filmmusik muss unter enormem Zeitdruck komponiert werden, die Abgabetermine sind eng und genau bemessen. Aber es gibt Sicherheit, wenn man sich auf sein Können verlassen kann. Im Großen und Ganzen vertraue ich eher auf Fleiß und konsequente Arbeit als auf Inspiration.
Gibt es ein Erfolgsrezept für Hits?
Ich kenne jedenfalls keines. Das Wichtigste ist: Man muss an sich glauben und viel arbeiten. Auch ich habe nicht nur Hits produziert. Im Schnitt hat es von zehn Liedern eines geschafft. Das ist zwar nicht so wenig, hängt aber auch damit zusammen, dass es mit zunehmendem Erfolg immer leichter wird, mit großen Künstlern und guten Plattenfirmen zusammenzuarbeiten.
Sie waren in Ihrer Jugend ein Mann mit langen Haaren, heirateten eine Mexikanerin und haben die Pop-Musik revolutioniert, Sie haben also nicht nach dem Mainstream gelebt. Hat Sie das Konsum-Image dieser Musik nie gestört? Was immer die Jugend entdeckt zu haben glaubt, wird im Handumdrehen vermarktet.
Ein Revoluzzer war ich nie, und lange Haare haben damals fast alle gehabt. Vielleicht habe ich meinen Schnauzbart ums Kennen zu provokant getragen. Er war zu lang und zu groß. Aber auch das entsprach der Mode der 1970er Jahre. Was die Vermarktung betrifft, so war das bei der Musik immer der Fall. Die Menschen haben Freude an Musik, wollen sie immer wieder hören und auch kaufen. Natürlich hat sich bei den Marktbedingungen in den letzten Jahrzehnten einiges geändert. Es ist heute viel schwieriger für eine Plattenfirma, einen Künstler zu lancieren. Die Konkurrenz ist gigantisch groß, außerdem gibt es überall sehr gute Heimstudios, die günstiger produzieren. Dafür ist alles andere immens teuer geworden, der Werbeaufwand enorm. Man braucht ein komplettes Verkaufspaket, bei dem alles stimmen muss. Ohne Top-Videos haben Pop-Sänger keine Chance. Und dann fordern auch die neuen Medien ihren Tribut. Vom Plattenverkauf können Künstler heute kaum noch leben, sie müssen auftreten, um Geld zu verdienen, imposante Shows abliefern. Das heißt, dass sie Qualität und Können beweisen müssen, was ja nicht schlecht ist, bloß der ganze Aufwand ist äußerst kostenintensiv. Die Bedingungen muss man akzeptieren, wenn man international mitmischen will.
Sie leben mit Ihrer Familie in Los Angeles. Vermissen Sie dort etwas, was es im Grödental gibt?
Ich vermisse in Los Angeles überhaupt nichts. Wenn ich will, bekomme ich dort sogar ein ausgezeichnetes Wiener Schnitzel. Ich bin jetzt schon 50 Jahre aus Südtirol fort, besitze noch ein Haus in Gröden, komme zwei-oder dreimal im Jahr hierher, aber ich kann nicht sagen, dass mich hier die Heimatgefühle überwältigen. Ich fühle mich wohl, aber ansonsten halte ich mich an den klugen Spruch, dass man dort daheim ist, wo man sich gerade befindet. Meine Frau Francisca und die Musik müssen allerdings dabei sein, damit es mir gut geht.
Ärgert es Sie, wenn die Kastelruther Spatzen als das musikalische Aushängeschild für Südtirol gelten?
Obwohl der volkstümliche Schlager nicht mein Musikstil ist, ärgert es mich nicht, wenn sie so großen Erfolg haben. Es sind ja gute Musiker. Was mich eher stört: Wenn jemand fragt: "Wo ist eigentlich Gröden?" und zur Antwort bekommt: "Das liegt gleich neben Kastelruth." Das war jetzt ein Witz, aber den bekommt man immer öfter zu hören und so ist wohl auch etwas Wahres dran.
Welchen Hit, den Sie nicht geschrieben haben, hätten Sie gern geschrieben?
Ach, das sind sehr viele. Mein Favorit ist "Yesterday" von den Beatles. Aber da gibt es mit mir wohl eine Million Komponisten und andere Menschen auf der Welt, die dieses wunderbare Lied gerne für sich verbuchen würden.
Irene Prugger, geb. 1959 in Hall, lebt als Autorin und
freie Journalistin in Mils in Tirol. In der Innsbrucker Edition Löwenzahn sind 2012 ihre "Südtiroler Almengeschichten" erschienen.
Zur Person<br style="font-weight: bold;" /> Giorgio Moroder, ursprünglich Hansjörg Moroder, geboren 1940 in St. Ulrich im Grödental, ist ein weltbekannter Musikproduzent und Komponist. Er entstammt einer ladinischen Künstlerfamilie und gilt als Erfinder der Synthesizer-Discomusik. Ab seinem 19. Lebensjahr tourte er mit Bands durch Europa. In den ausgehenden 1960er Jahren machte er sich als Songwriter und Komponist einen Namen, danach wandte sich Moroder der elektronischen Musik zu und produzierte in seinem Münchner Studio "Musicland" zahlreiche Hits. Der internationale Durchbruch gelang ihm 1976 mit "Love to Love You, Baby", gesungen von Donna Summer.
1978 übersiedelte Moroder in die USA und komponierte Filmmusik, u.a. den Soundtrack zu "Top Gun", "Scarface", "Flashdance", "American Gigolo". Außerdem steuerte er für Olympische Spiele (Los Angeles 1984, Seoul 1988, Peking 2008) und für die Fußball-Weltmeisterschaft 1990 die offiziellen Songs bei.
Elton John, David Bowie, Freddie Mercury, Blondie, Barbra Streisand, Roger Daltrey, Chaka Khan, Cher und die Eurythmics sind nur einige der Stars, mit denen Moroder arbeitete. Er wurde mit drei Oscars, drei Grammys und vier Golden Globes ausgezeichnet, darf sich Commendatore im Verdienstorden der Italienischen Republik nennen, außerdem wurde ihm der Große Verdienstorden des Landes Südtirol verliehen. In den USA wurde er aufgenommen in die "Dance Music Hall of Fame". Giorgio Moroder lebt mit seiner mexikanischen Frau Francisca und seinem Sohn Alex in Los Angeles.