Das EU-Treffen in Bratislava soll nach einer Serie von Niederlagen die ersehnte Wende einleiten.
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Bratislava/Wien/Brüssel. Wenn sich die EU-Staats- und Regierungschefs am Freitag in Bratislava treffen, dann ist das zunächst der Gipfel der Beschwörungsformeln. Allen voran appelliert Kanzlerin Angela Merkel, das Treffen müsse "den Weg in eine bessere europäische Zukunft" weisen. Frankreichs Präsident François Hollande stimmt ein, Europa brauche wieder "eine klare Zukunftsvision". Wenn es um Zusammenhalt geht, ziehen Merkel und Hollande nach wie vor im Hintergrund die Fäden. "Hört auf mit diesem Kindergarten", lautet der Aufruf des EVP-Franktionsführers Manfred Weber, "setzt euch endlich zusammen und findet eine gemeinsame Lösung." Die EU-Flüchtlingskrise ist immer noch ein Streitfall, bei dem ein Ende nicht absehbar ist. EU-Ratspräsident Donald Tusk stimmt in den Chor ein: Der Gipfel müsse einem Befreiungsschlag gleichkommen, sagt er.
Klar ist, dass man die Serie an Niederlagen, die die EU zuletzt einstecken musste, hinter sich lassen will. Die Rede ist von einem Aufbruch, einem "Bratislava-Prozess", der in der slowakischen Hauptstadt angestoßen werden soll und die EU endlich aus der Sackgasse führt. Dazu sind weitere informelle Sondertreffen geplant - im März in Rom und in Valletta auf Malta. In Zeiten der Not besinnt man sich auf gemeinsame Ursprünge, so soll im März der "Römischen Verträge" gedacht werden, mit denen vor 60 Jahren der Grundstein der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gelegt worden ist.
Zahlreiche Konfliktlinien
Großbritannien wird in Bratislava nicht dabei sein, und von neuer Einigkeit kann bei nüchternem Hinsehen nicht die Rede sein. Manche wollen nach dem Brexit-Votum mehr Europa, manche weniger. Die Visegrad-Staaten lehnen die Aufnahme von Flüchtlingen ab und schalten auf stur. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn reagiert heftig und will Ungarn kurzerhand aus der EU werfen. Die Verfechter eines umfassenden Sparkurses, allen voran Deutschland, und die, die mehr Investitionen wollen und vor einem "Kaputtsparen" warnen, stehen einander unversöhnlich gegenüber. Der traditionelle EU-Motor Deutschland-Frankreich läuft nicht wie geschmiert, weil man sich etwa in der Frage der Sparpolitik nicht einig ist.
Trotzdem sind Deutsche und Franzosen die einzigen, die wirkliche Vorbereitungspapiere nach Bratislava mitnehmen. Es gebe die Erwartung, dass es Berlin und Paris "irgendwie richten" sollten, heißt es aus EU-Kreisen. Der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak warnt die EU-Staats- und Regierungschefs davor, sich in endlosen Diskussionen über Probleme zu verheddern und in einen "Teufelskreis" zu geraten.
Hauptthema Sicherheit
Im Zentrum der Gespräche stehen die Themen Migration und Sicherung der EU-Außengrenzen, am Ende des Tages soll es eine "Roadmap" für Fragen geben, die dann beim Gipfel in Brüssel im Dezember behandelt werden. Die Frage ist, inwieweit die Idee einer EU-Armee konkretisiert werden kann. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat eine Verlängerung und Verdopplung des EU-Investitionsplans angekündigt.
Formelle Entscheidungen werden nicht fallen. Sehr wohl soll es aber eine grundsätzliche, offene Aussprache über die gegensätzlichen Positionen geben. Man will zuerst eine "gemeinsame Diagnose", wie es um die EU steht, vor allem darüber, was nicht läuft. Der Vergleich mit einer gruppentherapeutischen Sitzung wird gezogen, es geht darum, festzustellen, ob man zusammen überhaupt noch weitermachen will. Dann sollen die großen Linien diskutiert werden. Der "Brexit" dürfte nicht im Mittelpunkt der Gespräche stehen. Wie auch, warten doch alle darauf, dass London endlich sagt, wie es sich die künftigen Beziehungen zur EU vorstellt. Laut Lajcak soll es ferner darum gehen, künftig mehr Bürgernähe zu signalisieren.
Die slowakischen Gastgeber haben sich jedenfalls alle Mühe gegeben, den Aufenthalt für die 27 Staats- und Regierungschefs so angenehm wie möglich zu gestalten. Nur die Hälfte der Zeit wird in den Sitzungssälen verbracht, der Rest ist touristisches Programm - wohl auch, um den in vielen Fragen zerstrittenen Staats- und Regierungschefs die Möglichkeit zu geben, sich in kleineren Zirkeln etwas näherzukommen. Ab Mittag gibt es eine zweieinhalbstündige Bootsfahrt mit der 70 Meter langen "MS Regina Danubia" auf der Donau.
Alles abgeriegelt
Später folgt ein Besuch im "Danubiana"-Museum für moderne Kunst. Es liegt auf einer Halbinsel in der Donau an der Grenze der Slowakei zu Österreich und Ungarn. Das Haus beherbergt die Ausstellung mit dem verheißungsvollen Titel "European Stars", die Werke des Spaniers Joan Miró und der Avantgarde-Bewegung CoBrA zeigt.
Wiens "Twin City" erlebt zum EU-Gipfel jedenfalls die umfangreichsten Sicherheitsvorkehrungen ihrer Geschichte. Man werde am Freitag die "bestbewachte Stadt Europas" sein, so die slowakische Polizei stolz. Aus dem ganzen Land werden mehrere tausend Polizisten, Feuerwehr- und Rettungsmannschaften herangezogen. Die genaue Zahl der eingesetzten Kräfte will man "aus taktischen Gründen" nicht nennen.
Dem ÖAMTC waren am Donnerstag großräumige Verkehrsbehinderungen über Bratislava hinaus aber nicht bekannt.
Wenn die Kolonnen der europäischen Delegationen durch die Stadt brausen, werden alle dafür vorgesehenen Straßen abgeriegelt. Für jeweils eine Viertelstunde werden sogar alle fünf Donaubrücken nacheinander gesperrt. Die hohen Gäste werden nicht nur vom Flughafen in die Stadt fahren, sondern mehrmals die Donau queren, um vom Konferenzzentrum auf der Burg oberhalb der Stadt zu ihren Presseterminen am anderen Donauufer zu gelangen.
Viele Bewohner Bratislavas sind vorsorglich aufs Land verreist, um dem Stillstand und Verkehrschaos zu entkommen. Zahlreiche Schulen bleiben einfach geschlossen.