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Gipfel der wirtschaftlichen Eitelkeiten

Von Heike Hausensteiner, Barcelona

Europaarchiv

Der europäische Energiemarkt wird teilweise für Unternehmen liberalisiert. Und in der EU soll das Pensionsantrittsalter um fünf Jahre hinaufgesetzt werden. Das sind die beiden wichtigsten Ergebnisse des Europäischen Rates von Barcelona. An der "Lissaboner Strategie", auf die sich die Staats- und Regierungschefs vor zwei Jahren geeinigt haben, soll festgehalten werden. Erstmals bei einem Europäischen Rat durften auch die Beitrittskandidaten, inklusive der Türkei, mitdiskutieren.


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Mercedes ist die heilige Schutzpatronin von Barcelona. Nobelautos desselben Namens sind an Tagen wie diesen in der zweitgrößten Stadt Spaniens wenige unterwegs - abgesehen vom Konvoi der Luxusklasse, der die europäischen Spitzenpolitiker transportiert. Offensichtlich sind viele Stadtbewohner der Empfehlung gefolgt, wegen der großräumigen Straßensperren ihr Auto stehen zu lassen und auf öffentliche Verkehrsmittel auszuweichen. Oder sie haben gleich die Stadtflucht angetreten. Die von Abgasen verpestete Luft Barcelonas kann sich im Großereignis erholen. Energiefragen waren auch das dominierende Thema beim Europäischen Rat.

Daseinsvorsorge betont

Bei der Öffnung der Energiemärkte ist zumindest ein Minimalkonsens zu Stande gekommen. Das blockierende und derzeit wahlkämpfende Frankreich ist, in Person von Staatspräsident Jacques Chirac und Premierminister Lionel Jospin, nur mehr kleinlaut aufgetreten. Ab 2004 werden die Energiemärkte für die Nicht-Haushalte geöffnet, lautete dann die Lösung. Das bedeute eine Freigabe von zwei Drittel, etwa 60 bis 70 Prozent des EU-Marktes, betonten Kanzler Wolfgang Schüssel und Finanzminister Karl-Heinz Grasser am Ende des Wirtschafts- und Sozialgipfels. "Daseinsvorsorge" sei nun "ein neues Zauberwort", erläuterte Schüssel. Frankreich hatte sich gegen die Liberalisierung mit dem Argument quer gelegt, dass der französische Monopolist Electricité de France (EdF) einen öffentlichen Versorgungsauftrag habe. Die EU-Kommission erwartet sich von einem offeneren Energiemarkt niedrigere Preise. Im kommenden Jahr soll erneut über die Liberalisierung für Privatkunden beraten werden. Parallel zur Marktöffnung soll die Energiebesteuerung angegangen werden. Über Mindestsätze will man sich bis zum Jahresende einig sein.

"Wir sind einen Schritt weiter gekommen, hätten aber gerne drei Schritte weiter gemacht", lautete Schüssels Resümee. Die Energieliberalisierung sei nun einmal eine gemeinschaftsrechtliche Frage. Im Gegensatz dazu sei das Pensionssystem eine nationalstaatliche Angelegenheit. Alle Mitgliedstaaten hätten denn auch akzeptiert, dass "die Beendigung der Arbeit" (das Pensionsantrittsalter) um fünf Jahre hinaufgesetzt werden soll. In Österreich sei das in dieser Legislaturperiode bereits geschehen. Das Regierungsprogramm müsse also nicht nachjustiert werden. Schließlich strebt die EU bis 2010 Vollbeschäftigung an und dass sie "der größte, dynamischste und wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt" ist. Auf Grund der steigernden Lebenserwartung sieht der Kanzler bei den Pensionen Handlungsbedarf. "Jeder, der das nicht anerkennt, steckt den Kopf in den Sand".

Der deutsche Kanzler, Gerhard Schröder, gab sich mit dem Gipfel-Ergebnis ebenfalls zufrieden. Es sei eine gute Balance zwischen Flexibilität und sozialer Sicherheit gelungen. Zuversichtlich äußerten sich alle Regierungschefs zu den wirtschaftlichen Aussichten in der EU. Der Aufschwung habe begonnen und werde sich heuer noch festigen, betonte der spanische Ratsvorsitzende, José María Aznar. Grasser sagte ein Wirtschaftswachstum von drei Prozent bis Jahresende voraus.

Als Erfolg für Österreich verbucht Schüssel den gemeinsamen Vorstoß mit Luxemburg, dass für die Berufsgruppe der Frächter, nach dem vorangegangenen Skandal, klare soziale Mindeststandards und eine Fahrerbescheinigung eingeführt werden sollen. Verhindert habe Österreich, unterstützt von Frankreich, einen Vorstoß Italiens, den Transit durch die Alpen vollständig zu öffnen.