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Gipfel: Die Weichen sind gestellt

Von Martyna Czarnowska, Kopenhagen

Europaarchiv

Kopenhagen - Es waren noch gewichtige Fragen offen, als sich die EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend zu den gemeinsamen Verhandlungen zusammenfanden: Und dennoch standen die Zeichen beim Start zum großen Finale eher auf Grün. Die Verhandlungsführer vertrauten fest darauf, dass bis zum Wochenende - notfalls in Nachtsitzungen - der gordische Knoten durchschlagen wird. Die Gipfel-Dramaturgen haben die "knifflige" Türkei-Frage auf den ersten Abend gesetzt. Bei dem Empfangs-Abendessen wollten die 15 verabreden, ob Ankara ein Datum für den möglichen Beginn von Beitrittsverhandlungen genannt werden soll oder nicht.


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Dass der Gipfel länger als eineinhalb Tage in Anspruch nehmen könnte, zeichnete sich bereits zu Anfang des Treffens ab. Zwar sollte eine Lösung der Türkei-Frage so bald wie möglich gefunden werden, erklärte der dänische Ratsvorsitzende Anders Fogh Rasmussen. Er habe auch bereits einen Vorschlag ausgearbeitet, den er seinen KollegInnen unterbreiten wolle. Wie sich die Beziehungen der Türkei zur EU künftig gestalten würden, hänge nun sehr von der Reaktion des Landes ab.

Doch zu den größten Knackpunkten zählten Finanzfragen. "Der dänische Vorsitz hat ein klares Mandat", stellte Rasmussen klar und verwies auf den Vorschlag seiner Präsidentschaft, die von einigen EU-Mitgliedern als zu großzügig kritisiert worden war. Mittlerweile sei der Vorschlag akzeptiert, allerdings wollen die EU-Staaten sicherstellen, dass dies die Obergrenze sei. "Im Moment gibt es nicht mehr Geld", betonte Rasmussen. Wenn ein Kandidatenland die Bedingungen nicht akzeptiere, dann müsse es damit rechnen, dass der EU-Beitritt verschoben werden - vielleicht auf 2007.

Aus polnischen Regierungskreisen mehrten sich zuletzt Zeichen für Akzeptanz. Nachdem noch vor wenigen Tagen das Verhandlungsteam dazu angehalten wurde, eine harte Position zu vertreten, wurde nun Kompromissbereitschaft in der Frage der Direktzahlungen an LandwirtInnen an den Tag gelegt. Die Regierung stufte den EU-Vorschlag, 45%, 50% beziehungsweise 55% der Zahlungen zu gewähren, als "günstig" ein. Was für die EU jedoch die Ober- ist für Polen die Untergrenze. Drunter gehe es nicht, hieß es. Agrarminister Jaroslaw Kalinowski warnte, wenn seine Mindestforderungen nicht erfüllt würden, müsse er einen EU-Beitritt ablehnen.

"Spielraum vorhanden"

EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer setzte im Vorfeld der Verhandlungen auf Einlenken: Sie sah noch Spielraum für die finanziellen Forderungen der Kandidaten. Im "infoRADIO" Berlin-Brandenburg verwies Schreyer darauf, dass das Finanzpaket, das jetzt verhandelt werde, noch etwa "zwei Milliarden unter dem, was schon 1999 - und zwar für sechs neue Mitgliedsstaaten - verhandelt worden ist." Schreyer bestätigte, dass zur Zeit über Nachbesserungen in der Größenordnung von 1,6 Milliarden Euro verhandelt werde. Die Haushaltskommissarin plädierte auch dafür, bei den Beitrittsverhandlungen zu berücksichtigen, dass die neuen Mitgliedsstaaten von Anfang an auch Beiträge zahlen müssten. Sie glaube jedoch nicht, dass die Staats- und Regierungschefs der Union bei ihrem Kopenhagener Gipfel "alles zugestehen".

Rasmussens Wunsch, die meisten Verhandlungsthemen bereits vor dem EU-Gipfel abzuhacken, hat sich jedenfalls nicht erfüllt. Nicht nur Polen reist mit Forderungen nach Kopenhagen, sondern auch etwa Malta, das eine Aufhebung des Mindest-Mehrwertsteuersatzes für Medikamente und Lebensmittel verlangt. Einige Mitgliedsstaaten zogen nach. So äusserte Italien Vorbehalte zu Milchquoten, und Portugal forderte höhere Beihilfen aus den Strukturfonds. Österreich hat Transit und Temelin zu "Chefsachen" gemacht. Mit einer raschen Klärung dieser Fragen rechnete jedoch ebenfalls kaum jemand.

Türkische Forderung

Unterdessen sahen sich die Regierungschefs der EU in Kopenhagen vehement vorgetragenen Forderungen der Türkei ausgesetzt. Der türkische Ministerpräsident Abdullah Gül verlangte Beitrittsverhandlungen im kommenden Jahr. Italiens Regierungschef Berlusconi sagte, sechs EU-Staaten seien für Gespräche 2004. Deutschland und Frankreich wollen hingegen, dass 2004 erst darüber entschieden wird, ob die Gespräche im Folgejahr beginnen sollen. Die Türkei wird in ihrer Forderung massiv von den USA unterstützt.