Im Wahlkampf hatte US-Präsident George W. Bush noch versprochen, dem Süden des amerikanischen Kontinents mehr Aufmerksamkeit zu widmen als alle seine Vorgänger. Doch er war keine acht Monate im Amt, als die Terroranschläge vom 11. September 2001 der US-Außenpolitik neue Prioritäten aufzwangen. Lateinamerika geriet in Washington wieder weitgehend in Vergessenheit. Das Verhältnis verschlechterte sich zusätzlich als voriges Jahr die Mehrzahl der großen lateinamerikanischen Länder Bush die Unterstützung im Irak-Krieg verweigerte.
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Am Montag und Dienstag nächster Woche bekommt Bush Gelegenheit, verlorenes politisches Terrain bei seinen südlichen Nachbarn gut zu machen. In der nordmexikanischen Industriestadt Monterrey kommen dann die Staats- und Regierungschefs des gesamten Kontinents mit Ausnahme Kubas zu einem Amerika-Gipfel zusammen. Unter den 34 Teilnehmern sind 14, die beim Amerika-Gipfel im April 2001 in Quebec (Kanada) noch nicht im Amt waren.
Während bei früheren Gipfeltreffen meist das Thema Freihandel im Vordergrund stand, soll es in Monterrey vor allem um soziale Fragen gehen. Erörtert werden soll, was die Regierungen tun können, um die Armut gezielter zu bekämpfen. Dazu gehören neben sozialpolitischen Maßnahmen auch der Kampf gegen Korruption und Bürokratie. Das alte Credo, dass freier Handel und wirtschaftliches Wachstum von alleine zu mehr Wohlstand führten, tritt demgegenüber zurück.
Der Vorschlag, den Gipfel auf diese Themen zu konzentrieren, kam ursprünglich aus Mexiko und wurde von den USA durchaus positiv aufgenommen. Vermutlich wird Washington aber auch das Thema Sicherheit und Terrorbekämpfung bei der Zusammenkunft in Monterrey zur Sprache bringen. Die Furcht der USA vor neuen Anschlägen hatte in den vergangenen Wochen bereits massive Auswirkungen auf den Luftverkehr in der Region. Vor allem in Mexiko beklagten Passagiere lange Abfertigungszeiten und Stornierungen von Flügen in die USA.
Dass das Ansehen des nördlichen Nachbarn seit dem 11. September und dem Irak-Krieg im Süden des Kontinents gelitten hat, ist durch Umfragen belegt. Das in Chile ansässige Meinungsforschungsinstitut Latinobarómetro stellte Ende vorigen Jahres bei einer Umfrage in 17 Ländern der Region fest, dass 31 Prozent aller Lateinamerikaner eine negative Meinung von den USA haben - gegenüber 14 Prozent im Jahr 2000. "Es ist beunruhigend, dass sich die allgemeine Abneigung gegen Bush allmählich auf die Vereinigten Staaten als Nation ausweitet", schrieb der Kolumnist Andres Oppenheimer in der Tageszeitung "The Miami Herald".
Pluspunkte könnte Busch auf dem Gipfel mit Zugeständnissen in der Einwanderungsfrage gewinnen. Millionen von Latinos leben und arbeiten illegal in den USA. Vor allem Mexiko drängt auf ein Abkommen, das Arbeitssuchenden die legale Einreise in die USA erleichtert und es den illegal dort lebenden Landsleuten ermöglicht, eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Als Präsident Vicente Fox Anfang September 2001 auf Staatsbesuch in Washington war, sah er ein solches Abkommen schon in greifbarer Nähe. Wenige Tage später machten die Anschläge von New York und Washington diese Hoffnung zunichte.