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Gipfel revidiert ESM

Von Alexander Van der Bellen

Gastkommentare
Alexander Van der Bellen ist Nationalratsabgeordneter der Grünen.
© © Parlamentsdirektion/WILKE

Nach dem Beschluss des jüngsten EU-Gipfels sind immer noch wichtige Fragen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus offen.


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Die übermüdeten Regierungschefs der Eurozone traten am 29. Juni vor die Kameras und gaben die Ergebnisse des Europäischen Rates kund. Das dürre Summit-Statement umfasst knappe 23 Zeilen, die so vage formuliert sind, dass unterschiedliche Interpretationen geradezu provoziert werden. Rund 200 deutsche Professoren protestieren gegen den "Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet". Zu diesem Schritt habe sich Kanzlerin Angela Merkel auf dem Gipfeltreffen nämlich "gezwungen gesehen". Im Summit-Statement kommt das Stichwort Bankenunion aber überhaupt nicht vor, geschweige denn eine gemeinsame Haftung für Bankenschulden. Gefordert wird vielmehr ein "single supervisory mechanism", das heißt eine europäische Bankenaufsicht; sobald diese (unter "Beteiligung" der EZB) etabliert sei, könne der European Stability Mechanism (ESM) die Möglichkeit erhalten, Banken direkt zu rekapitalisieren.

Das lässt wichtige Fragen offen, zum Beispiel, ob der ESM dann Aktionär der Banken wird, wann er sich von seinen Anteilen wieder trennt, welches ESM-Gremium darüber entscheidet, etc. Abgesehen davon stehen die Gipfel-Beschlüsse nicht im Einklang mit Bestimmungen des ESM-Vertrages. Diesen hat der Nationalrat am 4. Juli ratifiziert und die innerstaatlichen Begleitgesetze, die die parlamentarische Mitwirkung an der Vollziehung des ESM betreffen, mit Zweidrittelmehrheit (SPÖ, ÖVP, Grüne) beschlossen. Artikel 15 dieses Vertragstexts schließt die direkte Rekapitalisierung durch den ESM eindeutig aus: "Der Gouverneursrat kann beschließen, Finanzhilfe mittels Darlehen an ein ESM-Mitglied speziell zum Zwecke der Rekapitalisierung von Finanzinstituten dieses ESM-Mitglieds zu gewähren." Die direkte ESM-Beteiligung ohne Umweg über den Staat wäre ein neues Instrument des ESM, das vom Gouverneursrat - also von den Finanzministern der Eurozone - einstimmig zu beschließen wäre; zuvor müsste Ministerin Maria Fekter das Plazet des Nationalrats einholen. Auch der Rest des Gipfel-Statements spießt sich mit dem derzeit gültigen und von Österreich gerade ratifizierten ESM-Vertrag. Die rezente Hilfe für Spanien beziehungsweise dessen Banken läuft jetzt via EFSF und soll vom ESM möglichst bald übernommen werden, "without gaining seniority status"; Punkt 13 der ESM-Präambel sieht aber genau diesen bevorrechteten Gläubigerstatus für den ESM vor. Und der Passus im Statement, der eine "flexible" Handhabung der ESM-Instrumente vorsieht und von den Medien als Mario Montis Sieg über Merkel interpretiert wurde, ist ohne Änderung der präzisen Verfahrensvorschriften im Artikel 13 des ESM-Vertrags nicht umsetzbar. Gut, dass sich der Nationalrat sehr genaue Mitwirkungsrechte bei solchen Vertragsänderungen ausbedungen hat.