Fehlende Fachkräfte, steigende Kosten, Angehörige ohne Unterstützung - die Probleme sind akut.
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Wien. Es war erst ein Schulterschluss zweier Mitbewerber am Markt: "Wegen gemeinsamer Anliegen wollen wir an einem Strang ziehen", sagt Othmar Karas als Präsident des Hilfswerks Österreich. Es ist ein Markt, in den "zu investieren, volkswirtschaftlich sinnvoll ist", sagt Michael Landau, Caritas Österreich-Präsident. Laut Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) bringt dieser Markt eine Wertschöpfung von 5,9 Milliarden Euro und lastet rund 115.000 Jobs aus. Das sorgt für 1,1 Milliarden Steuern und 1,3 Milliarden Euro an Sozialversicherungsbeiträgen.
Beim Markt handelt es sich um jenen der Pflege - und der kämpft mit Problemen: Es geht um 30.000 zusätzliche Mitarbeiter, die schon 2030 bzw. 40.000, die 2050 fehlen. Es geht um eine Kostensteigerung von 360 Prozent, ebenfalls laut Wifo: Lagen sie 2015 bei knapp zwei Milliarden Euro, werden es im Jahr 2050 rund neun Milliarden Euro sein. Es ist ein Markt, der mit einer Verdoppelung von über 80-jährigen Menschen bis 2050 auf rund eine Million Menschen enorm wächst.
Es ist aber vor allem ein "Markt", der älteren Menschen einen "möglichst selbstbestimmten Lebensabend in Würde", wie Landau es formuliert, auf deren häufigen Wunsch und wenn möglich auch zu Hause, ermöglichen soll.
Die Forderung von Hilfswerk und Caritas: ein Pflegegipfel, um dem "drohenden Personal- und Finanzierungsnotstand zu begegnen", sagt Landau. Es ist eine Forderung, die Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser "sehr unterstützt", eine der sich Rotkreuz-Präsidenten Gerald Schöpfer "nur anschließen kann"; die auch von Erich Fenninger, Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe unterstützt wird, "um die vielen Probleme auf den Tisch zu legen und den Stillstand zu beenden". Der Druck aus der Praxis auf die Politik, sich dem Thema Pflege zu widmen, steigt also. Denn, so Karas: "Das Pflegeproblem ist akut - und es wird sich in Zukunft dramatisch verschärfen."
Belastete Angehörige
Schon heute beziehen 459.000 Personen Pflegegeld. Zum Teil werden sie in Heimen gepflegt, zum weit größeren Teil, 84 Prozent, aber zu Hause. Davon wiederum nehmen 31 Prozent die Unterstützung mobiler Dienste in Anspruch, fünf Prozent haben eine 24-Stunden-Betreuung, zwei sind hin und wieder in teilstationären Einrichtungen. Fast die Hälfte davon, 46 Prozent, wird aber gänzlich alleine von 950.000 Angehörigen gepflegt und betreut. Sie bilden damit laut Landau den "größten Pflegedienst Österreichs". Sie erhalten weder Kurse noch Beratung als Unterstützung. "Dabei wäre eine Anleitung für pflegende Angehörige, zum Beispiel wie gehe ich mit Opa oder Oma um, damit ich ihnen beim Aufstehen helfen nicht wehtue, wirklich hilfreich", sagt Landau.
Moser sagt deshalb: "Beim Pflegegipfel muss man sich auf die Gruppe Pflegebedürftiger, die weder im Heim sind, noch 24-Stunden-Betreuung haben, konzentrieren." - "Bei der Unterstützung der Angehörigen herrscht seit Jahren Stillstand", sagt auch Fenninger. Es bräuchte mehr Tagesbetreuung als Entlastung, die nur vereinzelt angeboten und finanziert wird, und Urlaub von der Pflege für Angehörige.
Es ist ein System, wo sich "wenige den Luxus einer 24-Stunden-Betreuung" leisten können, sagt Fenninger. Eines, wo "in der mobilen Pflege den pflegebedürftigen Menschen in der Regeln nicht mehr als drei Stunden Betreuung zur Verfügung stehen", sagt Schöpfer. Er fordert "einen Lückenschluss" zwischen kurzen mobilen Angeboten und 24-Stunden-Betreuung; Landau und Karas darüber hinaus auch, dass man die finanzielle Benachteiligung des mobilen Bereichs gegenüber dem stationären, die sich mit der Abschaffung des Pflegeregresses nochmals verschärft hat, beseitigt.
Alle Organisationen fordern außerdem eine Valorisierung aller Pflegegeldstufen, nicht nur wie für 2019 geplant eine ab Stufe vier sowie eine bessere Einstufung von Demenzerkrankten: "Viele Menschen, die von dementiellen Krankheiten betroffen sind, wird nur Pflegestufe zwei zuerkannt", sagt Schöpfer.
Es ist eine Arbeit, die "sich nicht auf mechanische Handgriffe beschränkt, sondern Beziehungen erfordert, ein Beruf der Sinn macht", sagt Hilfswerk-Pflegeexpertin Monika Gugerell. Es ist aber auch eine, für die man im Krankenhaus "bei gleicher Tätigkeit um 300 bis 400 Euro mehr verdient". Schon heute gibt es einen Fachkräftemangel, "was zu Wartelisten auf mobile Dienste in manchen Bundesländern führt", sagt Karas.
Die Forderungen der Pflegeorganisationen: mehr Ausbildungsplätze, mehr Lohn, ein adäquater Personalschlüssel anstelle von minutiöser Taktung von Einzeltätigkeiten, ein Angleichen der unterschiedlichen Richtsätze der Bundesländer. Schließlich muss man laut Hilfswerk etwa zur Arbeitsstunde einer diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegekraft in Kärnten 20,40 Euro löhnen, im Burgenland 25,90 Euro, in Niederösterreich 32,92 Euro.
Kein Ja oder Nein zum Gipfel
Die Agenda für den Gipfel ließe sich erweitern, Bundeskanzler Sebastian Kurz sei laut Karas "nicht abgeneigt", dass ein solcher stattfindet.
Aus dem Büro von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein gibt es kein Ja oder Nein zu einem Gipfel, sondern: Die Ministerin sei, "wie im Regierungsprogramm vorgesehen, mit den Ländern, auch Städten und dem Gemeindebund zur Weiterentwicklung der Pflegevorsorge in einen Dialog eingetreten." Zu konkreten Fragen nach den künftigen Fragen wird nur wortreich die aktuelle gesetzliche Lage nacherzählt, was die Zukunft anbelangt, heißt es: "Das Regierungsprogramm sieht eine Ausarbeitung eines Konzepts zur langfristigen Finanzierung der Pflege unter Einbindung der betroffenen Institutionen und Gebietskörperschaften vor."