Zum Hauptinhalt springen

Gläserne Menschen

Von Matthias G. Bernold, Weißenbach

Politik

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ebenso wie einst zahllose Glücksritter in den Wild Wild West aufbrachen, der schier unbegrenzte Möglichkeiten verhieß, so machen sich heute weltweit Millionen Menschen auf den Weg ins World Wide Web. Um in den virtuellen Wilden Westen des beginnenden 21. Jahrhunderts zu gelangen, müssen wir allerdings weder über den Atlantik noch sonst wohin fahren. Das WWW, und mit ihm all die anderen Errungenschaften moderner Informationstechnologie, ist zu uns gekommen und hat alle Bereiche des wirtschaftlichen, privaten und gesellschaftlichen Lebens durchdrungen.

Über jeden Österreicher 400 Datensätze gespeichert

In Österreich haben - nach der jüngsten Studie des Fessel GFK-Instituts bereits 50 Prozent der Österreicher einen Internet-Zugang, 44 Prozent davon nutzen ihn auch. Die Handy-Durchdringungsrate beträgt hierzulande mittlerweile sogar 70 Prozent. Und ähnlich patschert wie sich wohl die ersten Pioniere durch die Weiten der Wildnis getastet haben, tappen auch wir oft in die versteckten Fallen der Informationsgesellschaft.

Vorderhand verspricht die schöne neue Hightech-Welt alles, was das Herz begehrt: geballte, ungefilterte Information, Shopping, ohne einen Schritt vor die Wohnungstür setzen zu müssen, Erreichbarkeit rund um die Uhr und Unterhaltung. Allerdings bleibt es in der Regel nicht unbemerkt, wo wir hinsurfen, wen wir anrufen, was wir per Kreditkarte ordern - überall hinterlassen wir unsere elektronischen Fußabdrücke. Der Preis für die Annehmlichkeiten ist die Preisgabe von Informationen über uns selbst. So warnte das Institut für Technikfolgenabschätzung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in einer Studie schon im Oktober des Vorjahres vor dem Verlust unserer Privatsphäre.

Es zeigte sich, dass über jeden Österreicher eine Vielzahl von Datensammlungen gespeichert ist. Die Annahmen reichen von etwa 100 bis zu mehreren Hundert Datenbanken. Nach Schätzungen in der Studie gibt es allein in Österreich 3,2 Milliarden persönlicher Datensätze, bezogen auf die Gesamtbevölkerung von rund acht Millionen ergibt dies ca. 400 Datenverarbeitungen für jeden Österreicher.

Eine Untersuchung des Niederländischen Verbraucherverbandes kam im Februar 1998 auf durchschnittlich 900 Dossiers pro niederländischen Konsumenten. Dabei glaubten 66 Prozent der befragten Konsumenten, in weniger als 25 Datenbeständen vertreten zu sein.

Es ist jedoch nicht die Anzahl der Datensammlungen allein, die zu Beeinträchtigungen der Privatsphäre - diese reichen von vermehrter Belästigung durch persönlich adressierte Werbesendungen bis hin zu verstärkter Überwachung - führen können. Durch die zunehmende Vernetzung und verbesserte Datenauswertungsprogramme können - auf statistischer Ebene - wesentlich bessere Aussagen über Kleingruppen oder Einzelpersonen gemacht werden, als sich aus den gesammelten Daten allein ergäbe. Vermittlungsdaten - wer kommuniziert wann mit wem - werden ebenso erfasst wie Bewegungsprofile - wer hält sich wann wo auf.

Durch die Kommunikation und Informationsbeschaffung via Internet werden Rückschlüsse auf Interessen und Vorlieben der Konsumenten möglich. Gleichwohl haben die statistischen Werte für den Einzelnen nur bedingt Bedeutung, da die tatsächliche Anzahl der Datensätze stark mit dem individuellen Verhalten variiert. Wer also geschickt seine Spuren verwischt, sprich anonymisierende Software im Internet benutzt sowie auf die Verwendung der Kreditkarte bei Online-Buchungen verzichtet, macht es den Datenjägern schwerer. Auch der Verzicht auf die Teilnahme bei Preisausschreiben und die Kundenkarten bei diversen Kaufhäusern verringert das angelegte Datenmaterial.

Ohnmächtig gegen neue Überwachungsstrategien

Alle persönlichen Vorsichtsmaßnahmen können freilich nicht verhindern, dass ein Minimum an persönlichen Daten nach außen dringt. Gegen neue Überwachungstechnologien wie z.B. in Großbritannien, wo bereits jetzt über 200.000 Videokameras damit beschäftigt sind, Passanten auf den Trottoirs zu filmen und per Computer-Software "abnormales" Verhalten herauszufiltern, ist der Einzelne machtlos.

Der Gesetzgeber ist gefragt, Lösungen anzubieten, die der überbordenden Datenerfassung und einem möglichen Datenmissbrauch Einhalt gebieten.

Tichy: Der traditionelle Datenschutz ist obsolet

Nach Meinung von Univ. Prof. Gunther Tichy ist der traditionelle Datenschutz ohnehin obsolet geworden. "Die derzeit bestehenden Regelungen sind auf große, zentrale Datenbanken mit einer beschränkten Anzahl an zugriffsberechtigten Nutzern zugeschnitten," erklärt Tichy im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Nur durch eine verstärkte Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, einer strengeren Kontrolle der Zugriffsberechtigungen sowie einer Stärkung des Datenschutzbeauftragten könnten Entwicklungen hin zum gläsernen Menschen und zu einem "Zwang zum Konformismus" verhindert werden.