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Gläserne Verbrecher

Von Marina Delcheva

Politik

Politik fordert wieder Vorratsdatenspeicherung. Diese kann Terror jedoch nicht verhindern.


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Wien. Nach den Anschlägen in Paris und der erhöhten Terrorgefahr in der EU wird wieder der Ruf nach einer Vorratsdatenspeicherung laut. Im Ö1-"Morgenjournal" sprach sich etwa Justizminister Wolfgang Brandstetter für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung aus. ÖVP-Klubchef Reinhard Lopatka hat schon vergangene Woche die Wiedereinführung der automatischen Speicherung von personenbezogenen Daten gefordert. Er räumt zwar ein, dass diese keine Terroranschläge verhindern kann. Im Nachhinein könne sie aber hilfreich bei der Suche nach Hintermännern sein. Vom Koalitionspartner SPÖ kommt weder Zustimmung noch Ablehnung. Man müsse die innere Sicherheit und den Schutz der Grundrechte genau abwägen, heißt es auf Anfrage.

Klare Worte für die Speicherung von Personendaten fand auch Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel. Diese hat vergangene Woche in ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag die EU-Kommission aufgefordert, möglichst bald eine neue Richtlinie für eine EU-weite Vorratsdatenspeicherung auszuarbeiten. Diese wurde ja im April vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gekippt, weil sie nicht mit den EU-Grundrechten vereinbar ist.

Speichern ohne Verdacht

Zum Hintergrund: 2006 hat der Europäische Rat für eine von der EU-Kommission ausgearbeiteten einheitlichen Richtlinie für das Speichern von sogenannten personenbezogenen Daten gestimmt. Das bedeutet, dass Behörden und Telekom-Anbieter für eine bestimmte Zeit, ohne konkreten Verdachtsfall und auf Vorrat, alle Telefon- und Internetdaten von Bürgern speichern dürfen und Sicherheitsbehörden im Rahmen von Ermittlungen darauf zugreifen dürfen. In Österreich wurde die Vorratsdatenspeicherung 2012 umgesetzt. Telekom-Betreiber mussten alle Verbindungsdaten sechs Monate lang speichern. Zwar wurde nicht der Inhalt von E-Mails oder Telefonaten gespeichert, aber Verbindungsdaten wie Ort, Zeit und Kontaktperson.

Im April des Vorjahres hat der EuGH die Richtlinie für unvereinbar mit dem Recht auf Privatsphäre und private Kommunikationsinhalte erklärt. Außerdem sei nicht klar geregelt, wer tatsächlich auf diese Daten zugreifen darf und in welchen Fällen sie angefordert werden dürfen. Auch der österreichische Verfassungsgerichtshof hat die Vorratsdatenspeicherung im Juli 2014 für verfassungswidrig erklärt.

Verfassungsrichter Gerhart Holzinger lehnt eine Wiedereinführung ab. Diese könne auch in Zukunft keine Terroranschläge verhindern. "Die anlassfreie Datenspeicherung ist unverhältnismäßig", sagt auch Verfassungsjurist Heinz Mayer. Wenn man aber die Zugriffe auf schwere Delikte und konkrete, verdächtige Personen beschränkt, sei diese auch mit den Rechten Einzelner vereinbar.

"In Wahrheit wird ja schon alles gespeichert", meint Mayer. Telekom-Anbieter dürfen auch ohne Vorratsdatenspeicherung alle Kundendaten speichern, die sie etwa für ihre Abrechnungen brauchen. Allerdings werden hier keine Bewegungsprofile angelegt. Die wichtigste Frage sei, ob und wann welche Behörden auf diese Daten zugreifen dürfen.

"Das ist Unfug"

"Die Vorratsdatenspeicherung ist Unfug. Das ist Massenüberwachung von unschuldigen Menschen", sagt Peter Pilz, Sicherheitssprecher der Grünen, zur "Wiener Zeitung". Die Speicherung auf Vorrat sei kein geeignetes Mittel zur Terrorismusbekämpfung. Frankreich hat eine Vorratsdatenspeicherung und die Attentäter waren den Behörden bekannt. Pilz weist darauf hin, dass deren Identität durch einen vergessenen Pass im Fluchtauto und nicht durch gespeicherte Daten geklärt wurde.

Auch Andreas Krisch vom Datenschutzrat ist skeptisch, was die Wiedereinführung angeht. "International konnte in keinem einzigen Fall ein Terroranschlag so verhindert werden", sagt er. Außerdem: "Leute, die Anschläge Planen, wissen natürlich, welche Methoden zum Einsatz kommen und arbeiten gezielt daran vorbei." Erfasst würden nur jene, die kein Sicherheitsrisiko darstellen. Außerdem seien die Daten in Österreich nur in kleinen Delikten wie Stalking und Drogenhandel angefordert worden. In Zusammenhang mit Terrorismus habe es in zwei Jahren eine einzige Anfrage von insgesamt mehr als 600 gegeben, die keine Ergebnisse gebracht haben soll.

Krisch weist auch auf die Sicherheitsgefahr in Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung hin. Telekom-Provider seien täglich einer Vielzahl von Cyber-Angriffen ausgesetzt. Die sensiblen Daten könnten auch Hackern und ausländischen Geheimdiensten in die Hände fallen. Stattdessen kann sich Pilz etwa eine Ausnahme von der Verpflichtung, polizeiliche Überwachungsdaten nach neun Monaten zu löschen, in konkreten Verdachtsfällen vorstellen. Viele IS-Rückkehrer seien den Sicherheitsbehörden bekannt und würden ohnehin überwacht.