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Die evangelische Pfarrerin Gabriele Lang-Czedik im Interview über feministische Theologie.
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Wien. Gabriele Lang-Czedik ist evangelische Pfarrerin in Wien Liesing. Aus einer Naturwissenschafter-Familie stammend, bereitete sie ihren Eltern einen kleinen Schock, als sie sich in den 70ern für die Theologie entschied. Sie lacht viel, hat Kinder und Enkel, hat acht Sprachen gelernt und nahm kürzlich an einem Clownseminar teil. Für sie ist die Kirche etwas, das Frauen beim Erreichen ihrer Ziele unterstützen kann.
"Wiener Zeitung":Sie sagen, feministische Theologie ist für sie etwas Selbstverständliches. Was kann man sich darunter vorstellen?Gabriele Lang-Czedik: Zum Beispiel, dass das Gottesbild nicht rein männlich zu sehen ist. Der Heilige Geist ist im Hebräischen ein weibliches Wort: die Ruach. Das ist die Geistkraft, die brütend über der Welt schwebt und die Erde erschafft. Es gab im Alten Testament Prophetinnen und Jüngerinnen Jesu und die eigentlich wichtigste Auferstehungszeugin war Maria Magalena. In der alten Kirche waren Frauen gleichberechtigt und ihre Zurückdrängung war eine spätere Entwicklung. Paulus sagte noch 20 Jahre nach Jesu Tod, wenn jemand an Christus glaubt, dann ist kein Unterschied zwischen Sklaven und Freien, zwischen Männern und Frauen. Diese gelebte Gleichberechtigung ist wahrscheinlich ein Grund für den großen Zulauf an den Anfängen des Christentums.
Gibt es überkonfessionelle Frauennetzwerke?
Ja, etwa den Weltgebetstag der Frau, der in Amerika entstanden ist und den es seit über 100 Jahren gibt. Es war die erste ökumenische Bewegung. Die Männer waren noch lange nicht so weit, da haben bereits Frauen verschiedener Konfessionen gemeinsam etwas gemacht. Mich berührt diese Solidarität von Frauen. Ich bin auch Mitglied im Ökumenischen Forum Christlicher Frauen und besonders katholische Theologinnen imponieren mir, weil sie sehr kämpferisch unterwegs sind. Sie sprechen sehr mutig von Göttinnen und bekämpfen das Zölibat als "gestörte Einrichtung". Das finde ich toll und sehr spannend.
Sie hatten also als moderne Frau nie Schwierigkeiten mit der Kirche?
Überhaupt nicht. Die Gleichberechtigung gibt es zwar auch bei uns noch nicht seit Luthers Zeiten, denn Frauen als Pfarrerinnen konnte er sich nicht vorstellen. 1965 wurde beschlossen, dass Frauen ordiniert werden können. Das ist etwa so etwas wie die Weihe in der katholischen Kirche, nur dass wir es nicht als eine solche verstehen. Wir sind dadurch nicht höher gestellte Personen. Damals gab es für Pfarrerinnen auch noch die Auflage, dass sie nicht heiraten durften. Man hat gedacht, eine Frau, die heiratet und Kinder bekommt, wird sich nicht mehr ausreichend um die Gemeinde kümmern. Natürlich weiß jeder, dass Pfarrerin kein 40-Stunden-Job ist, sondern eher 70 Stunden. Aber heutzutage muss jede engagierte Frau den Haushalt nebenher organisieren.
Wo hat die Kirche heute noch Platz im Leben einer modernen Frau?
Frauen verstehen sich heute als verantwortlich und erwarten von der Gemeinde, dass sie sich für Menschen in Not einsetzt. Es geht bei uns nicht darum, niederzuknien und sich vor Gott zu demütigen. Glaube wird gerade von der feministischen Theologie als Empowerment verstanden. Es soll eine Bestärkung zum Engagement und zum Leben sein, ein Ort zum Netzwerken. Was sich verändert hat, ist, dass Frauen früher mehr ehrenamtlich tätig waren, denn sobald die Kinder aus dem Haus waren, hatten sie mehr Zeit. Das wird heute herausfordernder, weil Frauen jetzt meistens berufstätig sind. Aber sie übernehmen heute auch in den Leitungsgremien Verantwortung und das finde ich sehr gut.
Die Pfarrerin ist für ihre Gemeinden auch eine Art Sozialarbeiterin. Was sind die Hauptsorgen der Frauen in Ihrer Gemeinde?
Es kommen oft Frauen mit Kindern, oft mit Migrationshintergrund, die verarmt sind. Denen zahlen wir dann Miete oder Stromkosten und wir beraten. Aber meistens sind es Depressionen, Partnerschafts- und Gesundheitsprobleme. Manchmal sind sie auch einsam, aber gleichzeitig gibt es viele, die sehr vernetzt sind. Ich staune immer bei unserer Jugend, die sind zum Teil bei der Sozialistischen Jugend oder im Alpenverein und Sportvereinen, beim Roten Kreuz und im Chor. Das ist schon cool. Ich sage immer, die Kirche ist ein bisschen das nachgeholte Dorf, das man in der Stadt vielleicht sonst vermisst.
In Liesing gibt es starke Gegenbewegungen zu Asylquartieren. Wie gehen Sie mit dem Argument um, man müsse die "Ängste der Bevölkerung ernstnehmen"?
Mir wird manchmal vorgeworfen, ich nehme sie zu wenig ernst, weil ich mir denke, die Flüchtlinge haben noch viel mehr Ängste. Wir sind sehr verbunden mit dem nächsten Flüchtlingsquartier. Ich habe das Haus gesehen und mir gedacht: Oh Gott, hier will ich nicht wohnen. Es war ursprünglich eine Entzugsanstalt. Früher hatte dort jeder Patient ein kleines Einzelzimmer, jetzt stehen in diesen je zwei Stockbetten und man kann kaum hineingehen. Wir bringen manchmal Obst oder Eier hin, damit sie vom gewürzten Reis eine Abwechslung bekommen. Man kann ja nicht nur Reis und Nudeln essen. Dass es Teile der Bevölkerung gibt, die sagen, wir stopfen denen alles rein und sie werden verwöhnt, ist einfach nur Projektion.
Demnächst wird das große Flüchtlingsquartier in der Ziedlergasse bezogen. Mit welchen Herausforderungen rechnen Sie?
Das Quartier wird von den Johannitern mitbetrieben, die ursprünglich ein evangelischer Orden sind und mit denen wir sehr herzlich verbunden sind. Ich bin auch in der Nachbarschaftsinitiative und in die Planung involviert, wie man diesen Menschen eine Willkommenskultur bieten kann.
Waren die Ereignisse der Silvesternacht in Köln ein Thema in ihrer Gemeinde?
Es stört mich als Frau sehr, dass die Bevölkerung sexuelle Übergriffe, die schrecklicherweise auf Frauen verübt werden, auf Ausländer projiziert. Nachweislich passieren die meisten sexuellen Übergriffe im Familienbereich, im Freundeskreis und Berufsbereich und nur sehr wenige Täter sind Außenstehende.
Auch eine Frau, die Statistiken über sexuelle Gewalt kennt und vielleicht keine Angst haben will, dreht sich seit Köln vielleicht zweimal um, wenn sie abends nach Hause geht ...
Da konnte man sich schon vorher umdrehen. Im Übrigen sagen Selbstverteidigungskurse, dass man selbstbewusst durch die Straßen gehen soll, weil Männer dann weniger oft attackieren, denn sie wollen nicht in Kampfsituationen geraten. Man hat auch davor schon gesagt, dass Mädchen und Frauen nicht mutterseelenallein nachts durch dunkle Gassen spazieren sollen. Das hat sich nicht wesentlich verändert. Ich nehme an, dass Menschen, die hier um Asyl ansuchen, sich sehr gut benehmen werden. Ich fürchte mich vor diesem Asylwerberquartier überhaupt nicht.
Können Sie sich vorstellen, dass manche Asylwerber ein problematisches Frauenbild mitbringen?
Ja und das gefällt mir natürlich nicht. Die Idee, dass eine Frau etwas Minderwertiges wäre oder Gewalt erlaubt, ist natürlich für mich indiskutabel. Ich finde es daher sehr gut, dass Johanniter und der Arbeiter Samariterbund in der Ziedlergasse von Anfang an auch Werteschulungen machen, in denen die Menschenwürde und die Gleichheit der Geschlechter Schwerpunkt sind.