Was hinter vorgehaltener Hand längst gemutmaßt wird, sprechen nur wenige Spitzenpolitiker aus. "Ich glaube nicht an eine große Beitrittsrunde im Jahr 2004", sagt nun SP-EU-Abg. Herbert Bösch auf Anfrage der "Wiener Zeitung". Bösch ist Mitglied des Haushaltskontrollausschusses im Europäischen Parlament (EP) und begründet seine Bedenken bei der Erweiterung mit Versäumnissen sowohl bei den Kandidatenländern als auch bei der Union selbst. Die offizielle Sprachregelung auf Ebene der Europäischen Union ist freilich eine andere.
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"Österreich wird der größte Profiteur von einer erfolgreichen Erweiterung sein." Im Moment befürchtet EU-Abg. Herbert Bösch jedoch, dass das Projekt weniger erfolgreich werden könnte und die neu dazugekommenen Länder "eine Mitgliedschaft der zweiten Klassse" bekommen würden. Denn die EU habe "die Suppe verdünnt": Zuerst habe man eine Beitrittswelle nach dem Regatta-Prinzip favorisiert - also wer von den Kandidatenländern besser und schneller verhandelt, tritt der Union eher bei. Mittlerweile sei die Rede von einem Big Bang, das heißt, zehn Kandidatenländer würden auf einmal - eben 2004 - Mitglied der Union werden. Er, so Bösch, könne jedenfalls "nicht jeden Schwenk der EU-Kommission nachvollziehen".
Mit zwölf Staaten verhandelt die EU derzeit über eine Mitgliedschaft. Die am besten vorbereiteten unter ihnen, zehn an der Zahl, sollen 2004 "als Mitglieder an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen". Das haben die Staats- und Regierungschefs festgeschrieben.
Doch EU-Haushaltsexperte Bösch ortet die Gefahr, dass die neuen Mitgliedstaaten zu Nettozahlern würden. Was die Kandidatenländer selbst bereits als Schreckensszenario auf sich zukommen sehen (die "Wiener Zeitung" berichtete). "Der Hut brennt", meint Bösch. Anhand des Beispiels von Polen weist er auf Mängel im Vorbeitrittsprozess hin.
Geldfluss in der Mitte
In das größte Kandidatenland (38,7 Millionen Einwohner) fließt ein Prozent des EU-Budgets jährlich. Mit dem Geld wird in den Beitrittsländern auch jenes Personal ausgebildet, das die Finanzspritze der Union verwalten soll. Nur: Sobald die Ausbildung abgeschlossen sei, "wechseln viele die Seite" und nehmen einen Job in der Privatwirtschaft an. "Damit wird die gute Verwaltung unserer Mittel gefährdet", so Bösch, der soeben mit einer Delegation des EU-Haushaltskontrollausschusses von einer Polen-Reise zurück gekehrt ist. Bösch zitiert den konkreten Anlassfall des Systems "IACS", das die korrekte Verteilung der EU-Landwirtschaftsmittel ermöglichen soll. Da bei der Entwicklung von IACS nicht alle Gelder ordnungsgemäß ausgegeben wurden, muss Polen 2,8 Millionen Euro an die EU zurück zahlen.
Gleichzeitig gibt es seitens der Union "unsägliche Verzögerungen" bei der Gewährung der Vorbeitrittshilfen, moniert Bösch. Die EU hat für die Kandidatenländer die Hilfsprogramme "PHARE" (für den institutionellen Aufbau), "ISPA" (für Umwelt und Transport) sowie "SAPARD" (Landwirtschaft) eingerichtet. Bei den Zahlungen aller drei Vorbeitrittsprogramme habe es im vergangenen Jahr erhebliche Verzögerungen gegeben: Die Ausführungsrate liegt zwischen lediglich sechs Prozent bei SAPARD und immerhin rund 79 Prozent bei PHARE (ISPA: 58 Prozent). Im Übrigen werden derzeit auch die für die Mitgliedstaaten eingerichteten Strukturfondsmittel, wie berichtet, nicht vollständig ausgenutzt.
Polen rechne erst 2003 damit, dass die Mittel für die Landwirtschaft fließen werden; 2004 soll das Land aber bereits der Union beitreten. Bösch hat dafür folgende Erklärung: Entweder die Beitrittskandidaten seien nicht fähig, die Hilfsgelder abzuholen, oder aber die Kommission schaffe nicht die entsprechenden Rahmenbedingungen dazu. Sein Appell: Die EU dürfe das Problem nicht verschlafen. "die Kommission muss was tun".