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Glaube versus Wissenschaft

Von Heiner Boberski

Wissen

Heute hochkarätiger Alpbach Talk zum Thema "Die Evolution und der Egoismus" in Wien.


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Wien. Wie weit sind Religion und Evolution miteinander vereinbar? Hat das als Merkmal der Evolution geltende Überleben des Stärkeren auch etwas mit der Fähigkeit von Artgenossen zu Solidarität und Kooperation zu tun?

Um solche Fragen geht es heute, Mittwoch, um 19 Uhr im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. Zum Thema "Die Evolution und der Egoismus" hält der Mathematiker und Biologe Martin A. Nowak, Professor an der Harvard University in Cambridge (USA), ein Impulsreferat, es folgt eine Debatte mit Kardinal Christoph Schönborn, dem römisch-katholischen Erzbischof von Wien. Bei diesem "Alpbach Talk" sind die "Wiener Zeitung" und die ÖAW Partner des Europäischen Forums Alpbach. Dessen Präsident Franz Fischler wird mit Wolfgang Riedler, Geschäftsführer der "Wiener Zeitung" und Moderator der Diskussion, die Gäste begrüßen.

Kooperation ergänzt Mutation und Selektion

Martin A, Nowak, 1965 in Klosterneuburg geboren, hat von 1983 bis 1987 Biochemie studiert und wurde 1989 "sub auspiciis" in Mathematik an der Uni Wien promoviert. Über Oxford und Princeton gelangte er 2003 nach Harvard. Als herausragender Experte im Bereich Evolution und Spieltheorie publizierte er 2011 das populärwissenschaftliche Buch "Supercooperators", das 2013 unter dem Titel "Kooperative Intelligenz" deutsch erschienen ist.

Die Fähigkeit zur Kooperation sei es, so Nowak, die den Menschen vom Affen unterscheidet: "Stecken Sie einmal 400 Schimpansen für einen Sieben-Stunden-Flug in die Economy-Klasse. Die würden höchstwahrscheinlich am Zielort blutend, mit zerbissenen Ohren und zerrupftem Fell aus dem Flieger taumeln."

Menschen kooperieren aus seiner Sicht deshalb "super", weil sie als einzige Wesen auf der Erde alle fünf grundlegenden Mechanismen der Kooperation beherrschen. Diese reichen vom simplen "Wie du mir, so ich dir" über die "Nachbarschaftshilfe" bis zur "Vetternwirtschaft". Durch mathematische Überlegungen und praktische Versuche kam Nowak zu dem Schluss, dass die Kooperation Charles Darwins Prinzip der Evolution durch Mutation und natürliche Selektion nicht widerspricht, sondern die Evolutionstheorie ergänzt. Die Kooperation sei "Architekt der Evolution" erklärt Nowak. Schon einfache chemische Verbindungen hätten in der Ursuppe kooperieren müssen, damit Lebewesen entstehen konnten, und "ohne Kooperation gäbe es keine Vielzeller, keine Insektenstaaten und keine menschliche Gesellschaft".

Im Gegensatz zu dem militant atheistischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins hat Nowak kein Problem damit, zugleich Naturwissenschafter und Christ zu sein. Attacken gegen den christlichen Glauben, dass dieser mit wissenschaftlichen Erkenntnissen unvereinbar sei, werden heute meist mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass man bei religiösen Texten nicht an Buchstaben hängen dürfe. Der deutsche Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker (1912-2007) meinte: "Man kann die Bibel wörtlich nehmen oder ernst." Der Wiener Moraltheologe Matthias Beck sagte vorige Woche in der "Langen Nacht der Kirchen", Religion und Naturwissenschaft seien keine gegensätzlichen Systeme, sondern ergänzten einander.

Absage an Kreationismus und "Intelligent Design"

Das Thema Evolution wurde im Schülerkreis von Papst Benedikt XVI., dem auch Kardinal Schönborn angehört, immer wieder diskutiert. Der Wiener Erzbischof sorgte im Juli 2005 mit einem Text in der "New York Times" für Aufsehen. Darin lehnte er rein atheistische Interpretationen der Evolutionslehre als Ideologie ab und wies auf einen der Evolution innewohnenden göttlichen Plan hin. Einige Monate später präzisierte er seinen Standpunkt in mehreren Katechesen. Vom Kreationismus (Schöpfung der Welt in sechs Tagen) distanzierte sich Schönborn immer, im März 2009 auch deutlich in einem Vortrag vor der ÖAW. Dort warf er auch den Vertretern des "Intelligent Design" (die hohe Komplexität in der Natur als eine Art Gottesbeweis betrachten) einen fundamentalen Denkfehler vor: Zielgerichtetheit könne nicht auf der Ebene der Kausalität gefunden werden, mit der sich die naturwissenschaftliche Methode befasst.