73 Prozent der ÖsterreicherInnen sind für die Beibehaltung von Noten in der Volksschule, für Klassenwiederholungen plädieren 72 Prozent (in Volksschulen) bzw. 84 Prozent (in Hauptschulen/AHS). Die Regierungsparteien fühlen sich durch diese Umfrage von Spectra (500 Befragte) bestätigt. Erziehungswissenschafter gehen an dieses Thema allerdings anders heran: Es müsse ganzheitlicher gesehen werden. Man sollte diesen Glaubensstreit beenden und sich an Ländern mit erfolgreichen Schulsystemen orientieren.
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Nur 22 Prozent der ÖsterreicherInnen treten für schriftliche Beurteilung statt Ziffernbenotung in der Volksschule ein. Für ein Aufsteigen in die nächste Klasse trotz mehrerer Fünfer sprechen sich im Volksschulbereich ebenfalls nur 20 Prozent aus. Nur zwölf Prozent sind für Aufsteigen mit mehreren Fünfern an den Hauptschulen bzw. der AHS-Unterstufe. Die Meinungsforscher führen das Festhalten an diesem "tradierten Meinungsbild" auf die "Leistungsgesellschaft" zurück. Der humanistische Gedanke komme dabei vermehrt unter Druck. Zudem fehlten in der Diskussion die Argumente: Der Bevölkerung sei nicht einsichtig, wo der Nutzen im Abtausch zwischen Schulnoten und Verbalbeurteilung bestehe.
ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon sieht durch die Umfrage die Position der ÖVP bestätigt: SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer, der sich ja für die Abschaffung der Noten in der Volksschule und des Sitzenbleibens bis zum Ende der Hauptschule und in der AHS-Unterstufe ausgesprochen hatte, stelle "die Wünsche und Vorstellungen der Bevölkerung hinter Parteiinteressen".
SPÖ-Bildungssprecher Erwin Niederwieser schließt aus der Umfrage, dass noch viel Aufklärungsarbeit zur Verbesserung der Schule notwendig sein wird. Die Einstellung der Bevölkerung sei nicht überraschend, viele Menschen würden das Schulsystem aus ihrem eigenen Erfahrungsbereich heraus beurteilen. Zudem gebe es von Politikern der Regierungsparteien "anstatt Information und seriöser Bildungspolitik immer wieder völlig falsche Signale".
Das Problem bei dieser Auseinandersetzung sei die "schreckliche Vereinfachung", erklärte Ferdinand Eder, Professor am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Salzburg und Mitglied der von Bildungsministerin Gehrer eingesetzten Zukunftskommission, gegenüber der "Wiener Zeitung".
"Kinder brauchen Rückmeldungen wie sie im Vergleich zu den Lernzielen liegen", sagt Eder. Aber: "Von den Noten wissen wir, dass sie diese Funktion nur sehr schlecht erfüllen." Über die Klasse hinaus könne man Noten schon nicht mehr vergleichen. Mit den Noten sei eine "Verschmutzung" verbunden: Darin lägen sowohl ein sehr hoher Anteil an Beurteilungen der Lehrer über ihre eigene Arbeit als auch ein Missbrauch zur Disziplinierung der Schüler, sagt Eder. Man müsse darüber nachdenken, ob man nicht andere Formen der Beurteilung finden könne, rät Eder, der allerdings "Zweifel daran hat, ob die verbale Beurteilung wirklich besser ist".
Was das Sitzenbleiben betrifft, kontert der Erziehungswissenschafter den Befürwortern mit Zahlen: "3.000 bis 4.000 Euro wendet eine Schule für einen Schüler, der die Klasse wiederholt, auf, ohne dass dieser eine besondere Förderung erfährt. Um dieses Geld müssten wir in der Lage sein, etwas anderes anzubieten." Auch das Repetieren habe etwas mit Disziplinierung zu tun. "Wenn man Schule ernst nimmt, müssen Schüler Leistungen erbringen. Aber es gibt bessere und kreativere Formen, als die Wiederholung einer Klasse", so Eder.
Auch Erziehungswissenschafter Hans Pechar verweist darauf, dass Länder, die innerhalb des Schulsystems auf Selektionsmaßnahmen verzichten und statt dessen Fördermaßnahmen setzen, im internationalen Vergleich (PISA-Studie) besser abschneiden. Man sollte daher von einem Glaubensstreit abgehen und sich auf empirisch überprüfbare Befunde berufen.
Statt Noten und Sitzenbleiben sollten Instrumente der Diagnose und Beobachtungssysteme eingeführt werden, fordert Pechar. Insgesamt müsse die Frage des Schulsystems ganzheitlicher diskutiert werden. Erfolgreiche Länder im Bildungswettbewerb setzten auf erfolgsorientierten und positiven Unterricht.