Athen könnte den Sparkurs verlassen. Manche Wirtschaftsforscher meinen, ein Machtwechsel täte Griechenland gut.
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Brüssel. Für EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ist er schlichtweg ein "Extremist", für Anleger und den IWF zumindest ein enormer Unsicherheitsfaktor: Der griechische Linkspolitiker Alexis Tsipras will die "Plünderung des Volkes" durch internationale Sparverordnungen beenden und die laufenden Euro-Rettungsprogramme auf den Misthaufen der Geschichte werfen: Am 25. Jänner hat seine Sammelbewegung Syriza die besten Chancen, zur stimmenstärksten Partei gewählt zu werden und das griechische Schicksal in ihre Hände zu nehmen. Der IWF hat umgehend reagiert und stellt seine Hilfszahlungen bis zur Regierungsbildung ein. Aus Brüssel und Berlin kommen warnende Worte: Athen habe die Auflagen der internationalen Geldgeber ohne jeden Abstrich zu beachten.
"Plünderung des Volkes hat ein Ende"
Es geht in der Tat um viel Geld: EU, IWF und Europäische Zentralbank haben Griechenland mit 240 Milliarden Euro vor dem Kollaps bewahrt und den Menschen im Gegenzug harte Einsparungen aufgezwungen. Eine Kündigungswelle, die ihresgleichen sucht, war die Folge, die Armut stieg massiv, an allen Ecken und enden wurde gespart. Die Regierung unter dem Konservativen Antonis Samaras verteidigte diese Politik seit ihrem Amtsantritt 2012 als bitter, aber notwendig.
Tsipras will das Steuerrad herumreißen. Er erklärte den gestrigen 29.12. zum "historischen Tag". Die Entscheidung des Parlaments signalisiere das Ende der Sparpolitik, die zur "Plünderung des Volkes" geführt habe. Der 40-Jährige, der einer Gruppe von Ex-Kommunisten, Maoisten, Gewerkschaftern und Grünen vorsteht, war allerdings zuletzt um einen moderaten Ton bemüht und in seinen Forderungen nicht mehr ganz so radikal. Zumindest, wenn er seine Worte an Europa richtet: Griechenland wolle in der Eurozone bleiben, versichert er dann, der Rettungsplan solle bloß neu verhandelt, nicht aber einseitig aufgekündigt werden.
Für die EU-Kommission sind diese Pläne nichts als gefährliche Phantastereien. Die Troika hat einer Neuverhandlung des Hilfsprogramms und einem Schuldenschnitt für Athen bereits vor Jahren eine klare Absage erteilt. Davon will man nicht einen Millimeter abrücken. Kommissionspräsident Juncker warnte die Griechen, "extremistische Kräfte" zu stärken. Die Griechen wüssten sehr genau, "was ein falsches Wahlergebnis für das Land und die Eurozone bedeuten würde", so der Luxemburger vor den Abstimmungen im Parlament, die aus Sicht der Regierung komplett schief gegangen sind.
Für viele Griechen stellen diese Aussagen eine ungeheuerliche Einmischung in innere Angelegenheiten dar - Juncker gibt der Vorstellung, man sei zu einem bloßen Protektorat herabgesunken, neue Nahrung. Schließlich legte EU-Wirtschafts- und Finanzkommissar Pierre Moscovici nach und sprach vor einem Rauswurf aus der Eurozone, sollte sich Syriza nicht an die Vereinbarungen mit den Gläubigern halten.
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hielt gestern fest, dass harte Reformen in Griechenland "ohne jede Alternative" seien. Neuwahlen würden nichts an den getroffenen Vereinbarungen ändern. Sollte Griechenland seinen Kurs ändern, würde es "schwierig". Der Chef der griechischen Zentralbank, Gianni Stournaras, assistiert den Drohungen: Er spricht von "irreparablen Schäden" und einem Abflauen des Wirtschaftswachstums.
Wagen die Griechen diesmal den kollektiven Aufstand?
Die Argumente sind im Wesentlichen dieselben, die schon im Vorfeld der letzten griechischen Parlamentswahlen 2012 gebraucht worden waren. Damals ließen sich die Griechen überzeugen, schluckten die bittere Pille und wählten den Konservativen Samaras, der für eine Umsetzung des geforderten Sparkurses stand. Auch wenn die Herzen für Tsipras schlugen.
Die große Frage lautet, ob die Griechen im Jänner 2015 kollektiv den Aufstand wagen oder den Warnungen aus Brüssel und Berlin einmal mehr Glauben schenken. Die Rosskur der letzten Jahre hat vielen jedenfalls massiv zugesetzt, die Arbeitslosigkeit ist mit über 25 Prozent so hoch wie nie, Sozialleistungen wurden in großem Ausmaß gestrichen.
Ökonomen wie der Österreicher Stephan Schulmeister meinen, dass Tsipras - so er die Wahlen am 25. Jänner tatsächlich gewinnt und eine Regierung bilden kann - nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre. Zwar sei sein Erpressungspotential gering - immerhin hängt das Überleben der Eurozone nicht mehr von Griechenland ab. Aber es habe sich auch in Brüssel die Erkenntnis herumgesprochen, dass sich ein strikter Sparkurs als nicht zielführend erweise, wenn es darum gehe, die Staatsschulden zu verringern. Schulmeister bezeichnet die bisherige Vorgangsweise der Troika als "engstirnig". Wenn man den Griechen helfe wolle, dann seien Investitionen nötig. Einen Machtwechsel hält Schulmeister für gut möglich und Alexis Tsipras rät er, den europäischen Partnern durch Verzicht auf radikale Phrasen die Angst zu nehmen.
Auch der Chef des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, sieht im Syriza-Chef nicht die große Gefahr. Eine mögliche Regierungsübernahme der Linken böte sogar Chancen. "Das politische Erdbeben durch eine Regierungsübernahme durch Syriza könnte zwar kurzfristig Kosten haben, jedoch auch einen notwendigen Neuanfang für das Land herbeiführen", meint Fratzscher. Die Leistung der griechischen Regierungen in den letzten fünf Jahren sei "erschreckend schlecht". Die griechischen Regierungen hätten "vor allem versucht, ihre Macht und wirtschaftlichen Pfründe zu sichern, nicht jedoch Reformen umzusetzen und ihr Land zukunftsfähig zu machen."