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"Gleiche Regeln für alle"

Von Veronika Gasser, Ankara

Europaarchiv

Erleichterung folgte in der türkischen Hauptstadt Ankara auf den positiven Bericht der EU-Kommission. Doch nun legt die Türkei ihre Forderungen auf den Tisch. So erklärte Außenminister Abdullah Gül gestern gegenüber österreichischen Journalisten, dass sein Land keinesfalls schlechtere Bedingungen akzeptieren werde, als die zehn neuen Union-Mitglieder bei Aufnahme der Beitrittsverhandlungen hatten.


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Im Einklang mit Premier Recep Tayyip Erdogan, der in Straßburg weilte, betonte Gül: "Wir akzeptieren die Regeln, doch sie müssen für alle gleich sein." Im vorhinein festgelegte Einschränkungen dürfe es nicht geben. So wendet sich der Außenminister gegen die Einschränkungen für die Bürger seines Landes auf dem europäischen Arbeitsmarkt. Der Vorschlag einer permanenten Schutzklausel ist für ihn unannehmbar. Die Türkei könne längere Übergangsfristen akzeptieren, die eventuell verlängert werden, aber keinesfalls die Einführung neuer Regeln.

Gül ist überzeugt, dass die Verhandlungen 2005, wie bereits vereinbart, aufgenommen werden. Sollte dies nicht der Fall sein, dann stünde die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union und ihr Ansehen weltweit auf dem Spiel. "Wenn die EU nicht Wort hält, wird ihre Glaubwürdigkeit für immer darunter leiden", bekräftigt der Außenminister. Denn: "Es wurde ein Versprechen gegeben und wenn dieses trotz Erfüllung aller Bedingungen gebrochen wird, wäre das ein Zeichen für die gesamte islamische Welt." Es würde zeigen, dass die ganze Zeit die wahren Absichten verborgen wurden und dass man betrogen wurde. "Das schafft Frustration." Entscheidend sei jedoch, dass beide Seiten (EU und Türkei) von einem Beitritt der Türkei profitieren. Nur eine "win-win-Situation" könne einen solchen Schritt rechtfertigen, so Gül.

Doch er ist überzeugt, dass diese in strategischer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht gegeben ist. Er erinnert auch daran, dass die wirtschaftliche Situation noch nicht perfekt ist, weil die Türkei während des kalten Krieges Europa "mit ihrer starken Armee zur Seite gestanden hat". Dies solle nun nicht aus selbstsüchtigen Überlegungen vergessen werden.

Traurig über Österreich

Wenig Freude zeigt der Außenminister mit der Haltung Österreichs gegenüber der Türkei. "Wir sind traurig, dass es keine Unterstützung für unser Anliegen gibt." Es gebe Anzeichen, dass gerade die Alpenrepublik, mit der man sonst gute Kontakte habe, gegen die Vollmitgliedschaft der Türkei opponiere.

Dass die Österreicher in ihrer Heimat mit nicht integrierten Türken leben müssen, sei nicht schuld der Türkei, sondern "jenes Landes, das die Gastarbeiter gerufen hat. Da wurden viele Fehler gemacht." Gül ist sich des Problems durchaus bewusst. "Die Migranten wurden von Euch eingeladen, doch sie wurden nur ausgenützt und orientierungslos alleine gelassen." Auf diese Weise konnte keine Integration stattfinden. "Jetzt ist es nicht erstaunlich, dass diese Türken isoliert sind." Sie seien nicht repräsentativ. Der Minister räumte aber auch Fehler seines Landes bei der Behandlung der Migranten ein: Auch die Türkei habe damals nichts zur "Orientierung" ihrer Landsleute getan und mit ihnen keinen Dialog geführt.

Dass die Verhandlungen lange dauern werden, davon ist die Regierung in Ankara überzeugt. Gül geht davon aus, dass es mindestens zehn Jahre oder sogar länger dauert, bis man zu einem positiven Abschluss kommt. Doch das Ziel ist, wie mehrfach betont, die Vollmitgliedschaft.

Die Regierung des Islamisten Erdogan, der die mögliche Abhaltung von Volksabstimmungen über den Türkei-Beitritt "sehr ungerecht" findet, wie er in Straßburg sagte, will zeigen, dass auch ein islamisches Land die europäischen Werte umsetzen kann. "Ist das nicht ein großes Geschenk für den Weltfrieden?" fragt Gül. Und er setzt nach: "Wenn die EU es ernst meint, dann nimmt sie dieses Geschenk auch an." Sollte sie lieber darauf verzichten, dann wäre dies eine vergebene Chance.

Der von der türkischen Regierung forcierte Reformprozess könne dadurch aber nicht gestoppt werden. Die Türkei werde ihren Weg der Demokratisierung weitergehen.