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Einigung über EU-weite Mindestlohnstandards. Österreich muss vorerst nichts tun, es ändert sich dennoch etwas.
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In Bulgarien bekommt ein Verkäufer in einem Supermarkt zumindest 2,15 Euro pro Stunde, in Österreich sind es etwas mehr als 10 Euro brutto. In Luxemburg beträgt der gesetzlich festgelegte Mindestlohn 13,05 Euro, während es in Lettland 2,96 Euro sind. Und in Österreich sind 98 Prozent der unselbständig beschäftigten Menschen von einem Kollektivvertrag erfasst, während es bei unserem Nachbarn Deutschland nur 44 Prozent sind. Das starke Lohngefälle in der EU soll nun abflachen, zumindest ein bisschen.
Am Dienstag haben sich die EU-Staaten und das EU-Parlament auf einheitliche Standards für Mindestlöhne geeinigt. Außerdem müssen alle EU-Staaten Aktionspläne zur Steigerung der Tarifbindung vorlegen, wenn deren Quote 80 Prozent unterschreitet. Das teilte der Verhandlungsführer des Parlaments, Dennis Radtke (CDU), am Dienstag der Deutschen Presseagentur mit. Außerdem müssen gesetzliche Mindestlöhne künftig mindestens alle zwei Jahre aktualisiert werden. Eine Ausnahme gebe es für Länder, die einen automatischen Indexierungsmechanismus anwenden. Hier gelte eine Frist von vier Jahren. Die Sozialpartner müssen an den Verfahren zur Festlegung und Aktualisierung der Mindestlöhne beteiligt werden.
Akut kein Handlungsbedarf
Die EU-Kommission hatte schon im Oktober 2020 einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorgelegt. Dass die Verhandlungen fast zwei Jahre lang gedauert haben, lag daran, dass auch einige Mitgliedstaaten die niedrigeren Löhne etwa als Wettbewerbsvorteil sahen. In Österreich fürchtete man wiederum einen zu starken Eingriff seitens der EU in die Kollektivverträge. In der Nacht auf Dienstag kam es dann doch zur Einigung. Nun haben die EU-Länder zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht zu überführen.
"Österreich muss aufgrund dieser Richtlinie jetzt akut gar nichts tun", sagt David Hafner, Geschäftsführer des Europa-Büros des Gewerkschaftsbunds (ÖGB) in Brüssel, zur "Wiener Zeitung". Es gehe im Grunde um "ein sozialeres Europa". Insgesamt würden 25,3 Millionen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen von der EU-Richtlinie profitieren, sagte die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Evelyn Regner (SPÖ). "Das österreichische Modell der Sozialpartnerschaft wird europaweit gestärkt", sagte auch der Erste Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas (ÖVP).
EU-weit ist die kollektivvertragliche Abdeckung sehr unterschiedlich. Während in Italien, Österreich und Frankreich so gut wie alle unselbständig Beschäftigten von einem Kollektivvertrag erfasst sind, sind es in Estland nur sechs Prozent, in Griechenland 14 Prozent. Im Zuge der Weltfinanzkrise 2008 ist die Kollektivvertragsabdeckung in einigen Ländern Süd- und Osteuropas sukzessive zurückgegangen. Die neue Richtlinie soll das wieder ändern.
"Ein gesetzlicher Mindestlohn ist für die Arbeitnehmer dort wichtig, wo es keine hohe Kollektivvertragsdichte gibt", sagt die Wifo-Ökonomin Christine Mayrhuber. Dass die Löhne regelmäßig angepasst werden sollen und mehr Menschen von Kollektivverträgen erfasst würden, sei gerade in Zeiten steigender Preise wichtig.
Österreich muss zwar akut nichts tun, allerdings haben Lohnerhöhungen vor allem in den östlichen und zentraleuropäischen EU-Ländern auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hierzulande. Dadurch soll Lohn- und Sozialdumping in Österreich vermieden werden, erwartet die Gewerkschaft. Österreich sei ein Hotspot für Arbeitskräftemobilität mit vielen Pendlern aus Nachbarländern, so ÖGB-Chef Wolfgang Katzian.
Effekte für Österreich
Wenn sich Löhne und Arbeitsbedingungen in den östlichen EU-Ländern verbessern, sinkt der Druck, wegen des Jobs ins Ausland zu gehen, etwa nach Österreich. Das ist in Ländern wie Tschechien und Slowenien schon länger der Fall. "Wir haben jetzt schon einen Fachkräftemangel, das könnte dazu führen, dass auch bei uns die Löhne steigen", meint Mayrhuber.
Das Wifo rechnet damit, dass das Arbeitskräfteangebot ab 2024 vor allem aufgrund der Demografie sinkt. Allerdings steigt ab da auch das Pensionsantrittsalter für Frauen.