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Globaler Wettlauf um den Impfstoff

Von Martyna Czarnowska und Klaus Huhold

Politik

Während einzelne Länder wie Israel und Großbritannien ihre Impfkampagnen vorantreiben, wird der EU-Kommission vorgeworfen, zu wenig Vakzine bestellt zu haben.


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Israel ist klarer Spitzenreiter. In keinem Land wird so schnell so umfassend gegen das Coronavirus geimpft. Bereits mehr als eine Million Bürger haben in dem Neun-Millionen-Einwohner-Staat die erste Dosis des Vakzins erhalten. Damit hat Israel pro Kopf schon zehn Mal so viele Menschen geimpft wie Großbritannien, das in Europa am schnellsten und am meisten impft.

Beide Länder haben von Anfang an keine Kosten und Mühen gescheut, sich Vakzine zu besorgen. So hat Israels Premier Benjamin Netanjahu immer wieder persönlich bei den großen Pharmakonzernen angerufen - und nach eigenen Angaben dabei mit Biontech-Pfizer die Lieferung von acht Millionen und mit Moderna die von sechs Millionen Dosen vereinbart.

Auch für die Impfkonzerne hat es sich ausgezahlt. Israel soll laut Medienberichten für die schnelle, umfassende Lieferung einen höheren Preis für das Serum als andere Länder zahlen. Außerdem können die Hersteller darauf spekulieren, dass sich in dem Land schnell die Auswirkungen einer hohen Durchimpfungsrate zeigen und so auch in anderen Staaten die Impfbereitschaft steigt.

Langsame Union

In Großbritannien ist die Impfskepsis laut Umfragen niedriger als in vielen anderen europäischen Ländern. Dort hat die Regierung aber wegen der noch immer hohen Infektionszahlen - zuletzt lagen diese bei um die 50.000 Neuansteckungen pro Tag - ihre Impfstrategie geändert. Sie will nun mit der Verabreichung der zweiten Dose drei Monate statt nur drei Wochen warten, um mehr Menschen mit den Impfungen zu erreichen.

Vakzine hat die Insel laut offiziellen Angaben jede Menge: Denn am Montag kam neben dem von Biontech-Pfizer auch der Impfstoff von Astrazeneca erstmals zum Einsatz - und allein von diesem hat sich Großbritannien 100 Millionen Dosen gesichert, wobei es freilich dauern wird, bis diese ausgeliefert und verabreicht werden können.

Im Vergleich zu Israel und Großbritannien erscheint das Impftempo in der Europäischen Union weit langsamer. Und die Unterschiede quer durch die Gemeinschaft sind groß: Während in Deutschland bereits eine Viertelmillion und im viel kleineren Dänemark schon mehr als 40.000 Menschen geimpft sind, sind es in Frankreich gerade einmal ein paar hundert Personen. Die Niederlande wiederum haben noch gar nicht mit der Kampagne begonnen.

Besonders in Deutschland wird nun die Debatte geführt, nicht zuletzt befeuert durch die "Bild"-Zeitung, ob es genug Impfdosen gebe und ob diese nicht zu zögerlich verteilt werden. Daher drängt Gesundheitsminister Jens Spahn schon auf eine beschleunigte Bereitstellung der Vakzine. Laut seinem Konzept könnten aus den Fläschchen der Firma Biontech sechs statt bisher fünf Impfdosen entnommen werden. Das könnte "die Zahl der zur Verfügung stehenden Impfdosen um bis zu 20 Prozent erhöhen", zitiert die Nachrichtenagentur Reuters aus dem Papier. Dem müsste allerdings die EU-Arzneimittelbehörde EMA noch zustimmen.

Doch ist es auch gerade das EU-Prozedere, das erneut in den Fokus der Kritik rückt. Hat die EU-Kommission zu lange mit den Bestellungen gewartet? Warum hat sie nicht mehr Impfdosen bei dem einen oder anderen Hersteller gesichert? Warum ist Großbritannien mit den Zulassungen schneller? Mit diesen Fragen ist die Kommission in den vergangenen Tagen verstärkt konfrontiert.

Lob der Solidarität

Die Antworten, die sie unter anderem per Kurznachrichtendienst Twitter liefert, sind Verteidigung und Lob der Solidarität zugleich. Zum einen versichert sie, dass die Zahl der Impfstoffe ausreichend sei. Immerhin hat sie fast zwei Milliarden Dosen von sechs Herstellern bestellt. Dabei hat Biontech-Pfizer bereits die Zulassung, über weitere Lieferungen wird bereits verhandelt. Eine weitere Zulassung soll in den nächsten Tagen für das Produkt von Moderna folgen. Doch müssten die Mittel auch einmal produziert und verteilt werden, erklärt die Kommission.

Ob sie im Sommer, als die ersten Verträge angebahnt wurden, mehr Impfdosen hätte sichern können, lässt sich im Nachhinein schwer beantworten. Zu dem Zeitpunkt war noch nicht klar, welches Unternehmen wann liefern könnte. Und auch der Prozess für den Markteintritt unterscheidet sich etwa von jenem in Großbritannien. Auf der Insel war es eine Notfallzulassung, die etwa wichtige Haftungsfragen umschifft.

Auf der anderen Seite wollte die EU-Institution einen Wettlauf der Mitgliedstaaten um den Impfstoff verhindern. Daher drängte sie auf eine gemeinsame Aktion, sowohl zur Beschaffung als auch zur anteilsmäßigen Verteilung, die sich nach der Bevölkerungszahl richtet. Es sollten sich nämlich nicht Szenen vom Frühjahr wiederholen, als etwa Deutschland andere Länder mit einem Ausfuhrstopp für medizinische Hilfsmittel verärgerte, was teilweise dazu führte, dass Lkw an Grenzübergängen feststeckten.

Afrika muss warten

Andere Länder können von Impfmengen, wie sie den Europäern zu Verfügung stehen, ohnehin nur träumen. Zwar sollen rund 40 Prozent des vergleichsweise günstigen Astrazeneca-Stoffes an Entwicklungs- und Schwellenländer gehen, wodurch etwa Indien seine Impfkampagne ins Laufen bringen kann. Afrikanische Länder hatten aber bisher klar das Nachsehen, in vielen Staaten ist noch unabsehbar, wann überhaupt mit dem Impfen begonnen werden kann.