"Aktiv sein heißt verantwortlich sein; passiv sein heißt kontrolliert werden, durch Naturprozesse, durch soziale Bewegungen und Strömungen - durch aktive andere." Der Ethik diese von Wissenschaftstheoretiker Amitai Etzioni proklamierte aktive Dimension zu verleihen, ist Intention des jährlich stattfindenden Welt-Ethik-Gipfels.
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Irgendwann brach der ursprüngliche Stamm des griechischen Wortes "oikos" (zu deutsch: Haushalt) auseinander und verästelte sich in die Bereiche Ökologie und Ökonomie. Was zuvor eine natürliche Einheit beschrieb, wächst nun mehr und mehr auseinander. Eine Veränderung, die wie jeder graduelle Eingriff ein Ungleichgewicht bewirkt. Und jede Dysbalance verursacht ein "Zuviel" und ein "Zuwenig" - ob systemtheoretisch, kybernetisch, biologisch oder ethisch betrachtet.
Bezogen auf den Bereich der Ethik, also jenen Zweig der Philosophie, der sich mit Werten und moralischen Phänomenen beschäftigt, kippt die Diskussion in eine transzendentale Dimension. Ethik entzieht sich empirischen Maßstäben, stellt aber die Basis für moralische Erfahrung dar. Denn letztendlich liegt menschliches Zusammenwirken in einem gewissen Vertrauen auf menschliche Werte begründet. Egal welcher Rasse, Religion, Geschlecht oder Nation man angehört - gegenseitiges Verständnis vollzieht sich u.a. über Gesten, Mimik, aber auch über den "Blick in die Seele" des Gegenübers.
Dem so genannten zivilisierten Menschen scheint immer mehr die Gabe abhanden gekommen zu sein, in den Augen des Anderen diese "seelische Übereinkunft" zu finden. Aber Kommunikation ist mehr als ein Heer an kommunizierenden Gefäßen. Ebenso wie Gesellschaft mehr ist als die Summe ihrer Teile. Jede Organisation, die kategorisch die Prämisse der Wirtschaftlichkeit um jeden Preis praktiziert, verliert ihr Credo, verliert ihr menschliches Antlitz, versteckt sich irgendwo hinter Funktionalität, Effizienz und e-commerce. Oder hinter dem Begriff "Globalisierung". Mittlerweile zu einem Modewort mutiert, beschränken sich Globalisierungsgedanken vorwiegend auf die Expansion des Welthandels mit Gütern und Dienstleistungen bei immer stärkerer räumlichen Vernetzung und zeitlicher Verdichtung der Entwicklungen.
Die Folgen sind u.a. eine Deregulierung der Finanzmärkte, internationale Kapitalmobilität, Anstieg der Firmenverschmelzungen und weltweite strategische Allianzen. Als Schlüsselfaktor fungiert zweifelsohne die Technologie. Dem Feld der Ethik obliegt allerhöchstens Ornamentcharakter.
Wie global sind Werte?
Um diesem Status quo einen klaren Kontrapunkt entgegenzusetzen wurde im Vorjahr der erste "Welt-Ethik-Gipfel" ins Leben gerufen. Nach Vorbereitungen, die bis ins Jahr 1992 zurückreichen, initiierten R. Stefan Tomek, Begründer von INtegrated ART ("Die Aktiengesellschaft als Gesamtkunstwerk") gemeinsam mit Maik Hosang, Karl-Friedrich Wessel und anderen Professoren und Dozenten der Humboldt Universität Berlin das Konzept.
Ziel ist es, innerhalb des Themenrahmens "Neue Werte im 21. Jahrhundert" Richtlinien, Lösungen und Normen zur Konfliktsteuerung und Verbesserung der Lebensqualität in wesentlichen Bereichen zu erörtern. Der nunmehr jährlich stattfindende Welt-Ethik-Gipfel versammelt Wissenschaftler und Denker aus aller Welt, die trotz fachlicher Spezialisierung einen ganzheitlichen Ansatz pflegen. Die Beiträge der Referenten, sowie die nach dem Modell These-Antithese entstandenen Lösungskonzepte werden alljährlich zu einem "Ethik-Kodex" (Verlag D. Fischer) zusammengefasst. Austragungsort ist die zwischen Rostock und Lübeck gelegene deutsche Jugendstil-Stadt Ostseebad Kühlungsborn.
Mensch, Meinung und Macht
Der heurige Welt-Ethik-Gipfel (2. bis 5. November 2000) beschäftigt sich mit dem Themenkreis "Mensch, Meinung und Macht: Die Forderung nach einer Welt-Ethik angesichts neuer Komplexität und Korruption".
Als Referenten sind u.a. hochkarätige Persönlichkeiten wie der Stifter des alternativen Nobelpreises Jakob von Uexküll (Schweden), die Autorin und Expertin in Drogenfragen Giulia Sissa (Frankreich), der Philosoph und Schriftsteller Peter Sloterdijk, sowie die renommierten Biologen und Umweltkünstler Helen Mayer Harrison und Newton Harrison (USA) vertreten. Wilhem Hankel, Währungsberater der EG-Kommission, wird zum Thema "Globalisierung und Währungspolitik: Ende des Sozialstaates und der Hilfe für die Dritte Welt?" referieren.
Hohe Brisanz verspricht auch der Vortrag des brasilianischen Alternativ-Nobelpreisträgers José Lutzenberger: "Der biologische Holokaust". Lutzenberger, ehemaliger Umweltminister Brasiliens und als "Vater des Regenwaldes" bekannt, skizzierte bereits im Jahr 1994 in Sao Paulo sein ganzheitliches Weltbild: "Der Planet Erde als Ganzes ist aber ein lebendiges System mit einer Geo-Bio-Physiologie, eine sich selbst regulierende homeostatische Funktionseinheit in mechanisch-chemischem Fließgleichgewicht, angetrieben von der Sonnenenergie. So kann man es wissenschaftlich-technisch ausdrücken. Emotiv muß man sagen - Die Erde, Gaia, ist der einzige lebendige Planet in unserem Sonnensystem, alle anderen sind tot. In anderen Sonnensystemen und in anderen Galaxien mag es andere lebendige Planeten geben, aber das kann uns nur rein akademisch interessieren.
Wir Menschen sind nur ein Teil Gaias, wir dürfen uns auf ihr nicht wie ein Krebsgeschwür benehmen. Diese Sicht - in mythologischer Form war sie allen nicht jüdisch-christlich-islamischen Kulturen eigen - führt ganz von selbst zu einer holistischen, die gesamte Schöpfung beinhaltende Ethik, basierend auf dem Grundprinzip der Ehrfurcht vor dem Leben in all seinen Formen und Erscheinungen".
In weiterer Folge ein Appell an elementare Menschenwürde, gleichbedeutend mit einem Paradigmenwechsel: d.h. vom darwinistischen "entweder-oder-Prinzip" hin zu einem konstruktivistischen "sowohl-als-auch-Denken". Das "wertschätzende Du" als innere Instanz und Zentrum zur Wiederherstellung einer (verlorengegangenen) menschlichen Ganzheit.
Ein Ansatz, der die Macht des Denkens diesseits der Moral ansiedelt. Aber der Welt-Ethik-Gipfel soll nach Ansicht von Koordinator R. Stefan Tomek auch "in sich ein Gesamtkunstwerk aus Geist, Wissen und Kunst sowie eine Integration von Ethik und Sinnlichkeit sein". Womit "die Synergie der Freude durch Erkenntnis und Erkenntnis durch Freude" als wegweisender Motor fungiert.
Ethikdiskussion via Internet
Nach Kant ist Ethik eine Wissenschaft, "die da lehrt, nicht wie wir glücklich, sondern der Glückseligkeit würdig werden sollen". Aber ebenso wie es keine biologisch stereotypen Antworten auf ökologisch stereotype Anforderungen gibt, sind wohl auch ethisch-stereotype Reflexionen eher unwahrscheinlich und vielleicht auch unerwünscht.
Der Welt-Ethik-Gipfel, der sich auf lange Sicht zu einem geistigen Pendant zum Weltwirtschaftsforum in Davos entwickeln soll, will über "Synchronschaltungen" via Internet (www.kuehlungsborn.de/ethikgipfel) die Ethikdebatte ausweiten und ankurbeln. Ganz im Sinne Humberto Maturanas, dem Wegbereiter des Konstruktivismus, der die Ansicht vertrat "dass wir buchstäblich die Welt erzeugen in der wir leben, indem wir sie leben". Womit dem "Wie" eine Schlüsselfunktion zukommt, die man - im besten Fall - als gelebte Ethik bezeichnen kann.
Ob nun der heurige Welt-Ethik-Gipfel eine globalisierende Kraft hinter dem Begriff Ethik ausmachen kann, wird die "Wiener Zeitung" berichten. Aber - um ebenfalls mit einem Bild Maturanas zu schließen - "der Kurs, auf den ein Boot gesteuert wird, ist nur ein Moment unter mehreren, die mitbestimmen, wie es sich wirklich bewegen wird. Wind und Wasserströmung sind andere. Wenn in ihnen das Boot abdriftet, so ist dieser neue Weg eben derjenige, in dem die Momente sich zu einer Einheit miteinander verbinden können. Die Ziele einer Evolution, besser Co-Evolution, stellen sich im Gang der Dinge heraus. Das System ist offen."
Hans-Peter Dürr, Max-Planck-Institut für Physik, Träger des Alternativen Nobelpreises.
Björn Engholm, Ministerpräsident a. D., Unternehmensberater
Valentin Michailowitsch Falin, Ehemaliger sowjetischer Botschafter in Bonn, Berater von Präsident Gorbatschow.
Bernhard Glaeser, Professur am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanökologie, Sozialökologische Forschungsprojekte in Tanzania, China, Indien und in der Europäischen Union.
Wilhelm Hankel, Prof. für Währungs- und Entwicklungspolitik, Bankier (Präsident der Hessischen Landesbank Frankfurt/M. a. D.), Währungsberater der EG-Kommission, Gastprofessur in Harvard, Georgetown u. a., Währungs- und Entwicklungsberater verschiedener Regierungen
Helen Mayer Harrison und Newton Harrison, Biologen, Professur an der Universität von Kalifornien San Diego, USA Bedeutendste Umwelt-Künstler der Gegenwart (z. B. "Future Garden" auf dem Dach der Bundeskunsthalle Bonn, Expo Projekt Europas Gärten).
Michael F. Jischa, Professur für Technische Mechanik an der Technischen Universität Clausthal. Präsident des Club of Rome, Deutschland.
Peter Longerich, Historiker, Professor für Geschichte an der Universität London, Sachverständiger im Londoner Irving-Prozess ( Holocaustexperte).
José Lutzenberger, Ökologe und Biologe, Träger des Alternativen Nobelpreises, ehemaliger Umweltminister Brasiliens.
Moshe Mutua Kihu, Volkswirtschaftler, Berater der Regierung (Kenia).
Giulia Sissa, Dr. Phil. Autorin, Expertin in Drogenfragen, Paris, Professur an der Johns Hopkins University, u.a. Autorin des Buches "Die Lust und das böse Verlangen".
Peter Sloterdijk, Philosoph und Schriftsteller, Professur an der Universität Karlsruhe und Universität Wien.
Jakob von Uexküll, Stifter des Alternativen Nobelpreises, Schweden, Begründer des Alternativen Wirtschaftsgipfels.
Oiuna Vladimirovna, Philosophin, Russ. Akademie der Wissenschaften Moskau.
Karl-Friedrich Wessel, Leiter des Institutes für Wissenschaftsphilosophie und Humanontogenetik an der Humboldt Universität zu Berlin.