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"Globales Netz von Gefängnissen"

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

14 europäische Länder duldeten CIA-Operationen. | Polen und Rumänien weisen Vorwürfe zurück. | Paris/Brüssel. Gleich vierzehn europäische Staaten hätten Gefangenentransporte der CIA auf ihrem Territorium zumindest geduldet, behauptet Europarats-Ermittler Dick Marty in seinem vorläufigen Abschlussbericht. Polen und Rumänien könnten darüber hinaus geheime Verhörzentren für den US-Geheimdienst unterhalten haben. "Auch wenn noch keine Beweise im klassischen Sinne des Begriffs verfügbar sind, weisen mehrere schlüssige Elemente darauf hin, dass es solche Geheimgefängnisse in Europa gab", sagte der Schweizer nach gut halbjährigen Ermittlungen gestern, Mittwoch.


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Zwischenlandungen hätte es auch in Deutschland, Großbritannien, Italien, Schweden, Bosnien, Mazedonien, der Türkei, Spanien, Zypern, Irland, Griechenland und Portugal gegeben. Martys Bericht stütze sich dabei vor allem auf "Informationen von nationalen und internationalen Flugsicherungsbehörden, Quellen innerhalb der Geheimdienste, besonders der amerikanischen" und Aussagen von mutmaßlichen Betroffenen von Entführungen. Diese hätten ein detailliertes Bild eines "globalen Netzes" von Geheimgefängnissen und illegalen Gefangentransporten ergeben.

Anhand des in Skopje laut Eigenaussagen vom CIA nach Afghanistan entführten Deutschen Khaled El-Masri zeigte Marty den "regelrechten Kreislauf an Überführungen" auf. Der Jet, mit dem El-Masri nach Kabul entführt worden sei, sei am Rückweg am rumänischen Flughafen Temesvar für 72 Minuten zwischengelandet. Danach sei die Maschine nach Palma de Mallorca weitergeflogen. Die wahrscheinlichste Hypothese sei, dass einer oder mehrere Gefangene aus Kabul nach Rumänien gebracht worden seien, sagte der Ermittler.

Die Landungen am polnischen Flughafen Szymany und in Temesvar gehörten zu den "am Besorgnis erregendsten". Hier habe sich die Vermutung erhärtet, dass es sich um "Absetzpunkte von Gefangenen in der Nähe von geheimen Verhörzentren" gehandelt habe. Die Regierungen der beiden Länder haben die Anschuldigungen Martys umgehend zurückgewiesen. Von "Verallgemeinerungen, die auf keinerlei Tatsachen basieren", sprach der polnische Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz.

Thema für Gipfel?

Unterschiedlich reagierten österreichische EU-Abgeordnete, die an der Untersuchung der CIA-Aktivitäten durch das Europäische Parlament beteiligt sind. Der SPÖ-Europaparlamentarier Hannes Swoboda forderte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Außenministerin Ursula Plassnik auf, "die Angelegenheit nun beim EU-USA-Gipfel in Wien zu thematisieren". Es gelte umgehend klarzustellen, dass sich US-Behörden an geltendes Recht in Europa halten müssten. ÖVP-Kollege Hubert Pirker wertete diese Forderung als "politischen Wunsch, der nicht auf harten Fakten und nachprüfbaren Beweisen gründet." Auch der neue Marty-Bericht enthalte "nur Vermutungen". Auch die EU-Kommission bleibt vorsichtig. Sie könne keine Position beziehen, solange es kein "Gesamtbild" der Ermittlungen gebe, sagte ein Sprecher.

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