Neue Generation von Attentätern ist unauffällig. | Die Bedrohung wird dauerhaft. | Wien/London. Die Telefone laufen heiß. Beamten der Spezialeinheiten zur Terrorbekämpfung konferieren in diesen Tagen in vielen Teilen Europas miteinander und besprechen eine Intensivierung der "vernetzten, kooperativen Terrorprävention." Neben Großbritannien rechnen vor allem auch Deutschland, Italien und Spanien mit möglichen weiteren Anschlägen.
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Aber vernetzt und systematisch gehen nicht nur die Ermittler vor, sondern auch die Terroristen. Bemerkenswert ist der Umstand, dass sich das Täterpotential nicht mehr nur in "herkömmlichen" Islamistenkreisen rund um die Moscheenprediger finden lässt. Die Hauptgefahr geht von professionellen El-Kaida-Killern aus - und nicht mehr von "Heimatgewächsen" (so der Terrorismusberater des britischen Premiers John Stevens), jenen Jungmuslimen in bürgerlichen Vorstädten, die von Hasspredigern aufgeputscht werden und sich im Internet Anleitungen für den Bombenbau holen.
Geschult und abgehärtet durch die Blutorgien im Irak sind in ganz Europa geborene Muslime inzwischen zurückgekehrt. Deren Handschrift ist bei den geplanten Autobombenanschlägen der letzten Tage unverkennbar.
Neue Generation hat dazugelernt
Die neue El-Kaida-Generation hat dazugelernt, meidet einschlägige ideologische Extremistenkreise, die sich um Hassprediger scharen und unter Beobachtung der Geheimdienste stehen. Auch Moscheenbesuche werden vermieden, um nicht unter die Lupe der Ermittler zu geraten. In einem jedoch scheinen sich Vorstadt-Terroristen und "Importierte" nicht zu unterscheiden: im Hass auf die westliche Lebensweise.
So ist es kein Zufall, dass der Club "Tiger Tiger" Ziel eines der beiden versuchten Autobombenanschläge in London gewesen ist. In der Nacht zum Freitag war dort nämlich "Ladies Night" angesagt. Für Islamisten verkörpern junge Frauen, die trinken, tanzen und es sich gut gehen lassen, alles, was sie am Westen widerwärtig finden.
Diese Einstellung hat bereits 2002 die Attentäter dazu getrieben, einen Nachtclub auf Bali zu zerstören und mehr als 200 Menschen umzubringen.
Sirenen werden häufiger ertönen
Was die Briten seit einer Woche erlebt haben, könnte so wie ein Blick in die Zukunft von Teilen Europas im Angesicht des Terrors gewesen sein: Die Sirenen werden wahrscheinlich häufiger ertönen, Attentäter dafür aber auch öfter gestoppt und gefasst.
"Die Zeit der großen Kriege einzelner Staaten oder Staatenbündnisse gegeneinander ist vorbei und wurde ersetzt durch einen der schwierigsten Kriege, den die Menschheit je erlebt hat, den Krieg gegen den Terrorismus. Und dieser Krieg hat gerade erst begonnen und kann nicht so leicht gewonnen werden wie eine Schlacht." Mit diesen Worten stimmte ein britischer Analyst nach den vereitelten Anschlägen der letzten Tage auf "eine lange Zeit der gebotenen Wachsamkeit in Großbritannien" ein. Anschläge werden weiterhin stattfinden und die abstrakte Angst vor einem zweiten 11. September wird ersetzt durch verstärkte Wachsamkeit im Alltag.
"Wir meiden schon seit den Anschlägen von 2005 die großen Verkehrsknotenpunkte von London und stellen uns oft die Frage ,Gehe ich da jetzt hin oder ist mir das zu gefährlich?, doch sollen wir uns zu Hause einbunkern? Dann hätten die Terroristen ja ihr Ziel erreicht", meint eine um die Sicherheit ihrer Kinder besorgte Mutter in der britischen Hauptstadt.
Die Nervosität ist trotz der vordergründig erkennbaren Gelassenheit der Briten allgegenwärtig. Durch die tägliche Berichterstattung in allen Medien des Landes wird die Gefahr noch weiter verdeutlicht. Zwei Schlüsselbegriffe kommen dabei besonders häufig vor: "Bagdad" und "Glück".
Erste Nagelprobe für Gordon Brown
Das Terrornetzwerk von El Kaida habe "die Taktik von Bagdad in die Straßen Großbritanniens importiert", erläutert Lord Stevens, einst Chef von Scotland Yard. "Wir hatten Glück", schrieb der "Sunday Telegraph". Fast nur dieses Glück habe in London und Glasgow blutige Massaker im Stil Bagdads verhindert. Doch Glück allein werde künftig nicht genügen, fügte das Blatt hinzu.
So sieht das auch Gordon Brown. Erst vor acht Tagen hatte der 56-Jährige das Amt des Premierministers von Vorgänger Tony Blair übernommen. Auf Reformen und die Chancen der Globalisierung wollte er sich konzentrieren. Knappe 48 Stunden stand auf seiner Regierungsagenda nur mehr ein einziges Thema: die Terrorgefahr. Und seit Samstagabend gilt im Königreich die höchstmögliche Terrorwarnstufe. Wann sie wieder gesenkt werden kann, ist nicht absehbar.