Wie es Ein-Personen-Unternehmen geht, darüber streiten SVA-Obmann Peter McDonald und SPÖ-Politiker Christoph Matznetter.
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Die Wirtschaftskammerwahlen 2015 werfen ihre Schatten voraus. Peter McDonald ist Obmann der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft SVA und Direktor des ÖVP-Wirtschaftsbundes, der die Kammer dominiert. Sein politischer Gegner ist Chef des SPÖ-Wirtschaftsverbandes Christoph Matznetter. Der Underdog SPÖ buhlt verstärkt um Einpersonen-Unternehmen (EPU). Diese stellen die Mehrheit der Kammer-Mitglieder.
"Wiener Zeitung": "Selbständige sind das neue Gesicht der Armut", sagen Sie. An wen denken Sie, Herr Matznetter?Christoph Matznetter: Das geht quer durch. Wir haben den fahrenden Transportunternehmer, Freelancer im IT-Bereich oder im Journalismus, Franchise-Nehmer oder eine Fülle kleiner Handwerksbetriebe, die den goldenen Boden nicht mehr finden. Von 250.000 Einpersonen-Unternehmen hat jeder Zweite weniger als 1000 Euro im Monat zum Leben und ein mittleres Einkommen von 11.000 im Jahr. Diese Gruppe arbeitet oft in Selbstausbeutung und hat zu wenig zum Leben aber zu viel zum Sterben. Die Armutsgefährdung liegt mit zwölf Prozent doppelt so hoch wie bei Unselbstständigen.
"Selbständige sind glücklicher, leben länger und gehen seltener zum Arzt." An wen denken Sie da, Herr McDonald?Peter McDonald: Die Aussage stammt von einer Studie, die ergab, dass vier von fünf Ein-Personen-Unternehmen (EPU) sehr zufrieden sind. EPU sind kein Phänomen der Neuzeit. Wenn ich an den Kleidermacher denke, eine Dame, die beruflich tätig ist und nebenbei Tupperware-Partys macht oder ein Sektionschef, der nebenbei ein Buch schreibt. Der Herr Matznetter muss aus parteipolitischen Gründen die Armut herausstreichen. Aber die Unternehmer wollen nicht als Armutschkerln dargestellt werden.
Matznetter: Auf den Sektionschef und die Tupperware-Dame beziehe ich mich nicht.
McDonald: Der Herr Matznetter ist als Steuerberater auch ein EPU. 50 Prozent der Ärzte und 60 Prozent der Tierärzte sind EPUs.
Matznetter: Die Ärzte und die Rechtsanwälte sind sicher keine Sozialfälle. Das Medianeinkommen im Bereich der Rechts- und Steuerberatung beträgt 54.800 Euro, das heißt, die Hälfte hat mehr als das zur Verfügung. Es gibt große Diskrepanzen zwischen Ärzten, Notaren, Rechtsanwälten, die in anderen Kammern sind und den vielen Wenigverdienern in der Wirtschaftskammer.
McDonald: Es geht um den einzelnen Menschen. Wir haben in den letzten drei Jahren mehr erreicht als in drei Jahrzehnten zuvor - und das in Krisenzeiten. Wir haben das Krankengeld erhöht und den Mindestbeitrag zur SVA gesenkt. Jetzt wollen wir noch sicherstellen, dass Leute, die länger krank sind, dieses Krankengeld nicht versteuern müssen. Selbständige Pensionisten sollen außerdem keinen Pensionsbeitrag mehr zahlen müssen. Der Herr Matznetter soll von seinen Sonntagsreden abgehen und uns dabei helfen. Entweder Sie setzen sich für die Selbständigen nicht richtig ein oder Sie setzen sich in Ihrer Partei nicht durch. Wir sind schon oft an der SPÖ gescheitert. Der Grund: Die roten Gewerkschaften wollen für Selbstständige gar nicht viel machen, weil das nicht ihre Klientel ist.
Matznetter: Übelste Propaganda. Ich rede am Sonntag nicht. Aber ganz ruhig, ich versuch das freundlich. Kompliment, es ist wirklich etwas erreicht worden. Dass es überhaupt ein Krankengeld gibt, ist eine Errungenschaft. Aber von der Steuerbefreiung beim Krankengeld würde in erster Linie Ihr Sektionschef profitieren, der nebenbei sein Buch schreibt. Die Hälfte der EPUs verdient unter der Steuerfreigrenze und hätte gar nix davon. Für die sollte man lieber die Krankensteuer, genannt Selbstbehalt, abschaffen oder die SVA-Beiträge weiter absenken.
Ist die Absicherung im Krankheitsfall für EPU ausreichend?Matznetter: Krankengeld gibt es ab dem 43. Tag, ich fordere es für EPU ab dem vierten Tag. Für einen Betrieb mit 20 Mitarbeitern kann man es ab dem 43. Tag belassen. Denn dort kommt weiter Geld in die Kasse, wenn der Chef krank ist. Bei EPU ist der gesamte Betrieb geschlossen.
Machen wir es konkret: Unser Fotograf wird krank. Ab wann bekommt er Krankengeld?McDonald: Es gibt eine Krankenversicherung ab dem vierten Tag.
Matznetter: Das ist eine freiwillige Zusatzversicherung.
McDonald: Die ist finanziell gestützt, der Herr Fotograf zahlt dafür nur einen Extra-Euro pro Tag.
Matznetter: Ich hielte es für gescheiter, wenn EPU ohne Zusatzversicherung ab dem vierten Tag Krankengeld bekämen.
McDonald: Was Sie alles fordern, kostet bis zu 150 Millionen Euro und dann müssen Sie auch dazusagen, dass Sie dadurch die Beiträge der Versicherten um 80 Euro im Jahr erhöhen wollen.
Matznetter: Aber wo. (Zum Fotografen): Wissen Sie, dass Sie Zwangssparen müssen für eine Abfertigung? An die 100 Millionen Euro werden automatisch abgezogen. Das ist möglich, aber Krankengeld ab dem vierten Tag nicht?
McDonald: Das ist die Abfertigung neu. Die bekommen die Menschen doch später zurück!
Matznetter: Fragen Sie doch, wer das jemals bekommen hat. Das versickert bei der Veranlagung.
Ist die Höhe der SVA-Beiträge, die kleine Selbständige zu zahlen haben, gerecht?McDonald: Bei 1500 Euro Monatsgewinn bleiben 73 Prozent netto pro Monat, bei 5000 Euro 55 Prozent. Beiträgen ab 1,40 pro Tag - nicht einmal ein Laib Brot - stehen Leistungen wie eine Blinddarmoperation um 3500 oder Bypass-Operation um 25.000 Euro gegenüber. Nirgendwo auf der Welt sind Selbständige so gut abgesichert.
Matznetter: Im dritten Jahr kommen Nachberechnung und Vorauszahlung zusammen - ein Brocken, der schwer zu verdauen ist. Natürlich kann man sagen, das soll man auf die Seite legen, aber wie soll das gehen mit 1000 Euro pro Monat?
McDonald: Es gibt die Keule im dritten Jahr nicht mehr. Die Versicherten haben nun drei Jahre statt früher ein Jahr Zeit, das zu begleichen.
Matznetter: Ich kritisiere, dass jeder einen Mindestbeitrag zahlen muss. Jemand mit 700 Euro pro Monat zahlt dadurch 25 Prozent seines Einkommens, der Notar mit 84.000 Euro im Jahr acht Prozent seines Einkommens.
McDonald: Wir haben den Mindestbeitrag in zehn Jahren von 90 auf 50 Euro gesenkt.
Matznetter: Es muss noch weiter runter.
McDonald: Da sind wir auf einem guten Weg. Aber es gibt nicht nur Ein-Personen-Unternehmen. 15 Prozent der SVA-Mitglieder am oberen Einkommensende bringen 50 Prozent der Geldmittel auf. Hohe Einkommen zahlen schon jetzt den Zehnfachen Beitrag wie Selbständige mit geringen Einkommen.
Sind EPU meist freiwillig selbständig und zufrieden, wie die SVA sagt, oder sind sie es zwangsweise?Matznetter: Viele Junge der Generation Praktikum hüpfen von Werkvertrag zu Werkvertrag und erkennen gar nicht mehr, dass sie zwangsweise in dieser Situation sind, weil ihnen der Vergleich zu früher fehlt. Aber es gibt natürlich auch echte Erfolgsstorys von freiwillig Selbständigen.
McDonald: Ich habe natürlich auch Kontakt mit Leuten, die nicht ganz glücklich sind mit
der Selbständigkeit. Sie müssen selbst vorsorgen, dadurch spüren Sie die Beiträge an die Sozialversicherung stärker, während die Abgaben beim Unselbstständigen automatisch abgebucht werden. Im Krankheitsfall zahlt beim Unselbstständigen im ersten Monat der Arbeitgeber den Lohn weiter, doch der Selbständige hat keinen Dienstgeber. Alles das liegt aber in der Natur der Sache.
Der Selbstbehalt ist ist bei fünf Prozent des Jahresgewinnes gedeckelt, chronisch Kranke und Wenigverdiener können sich befreien lassen. Er bringt 50 Millionen Euro ein. Warum gibt man den nicht auf?McDonald: Weil ein Selbstbehalt ein intelligentes Steuerungsmittel ist und die Patienten beim Arzt volle Transparenz haben. Dadurch werden sich die Leute der medizinischen Leistung bewusst. Wir haben in einer Urbefragung erhoben, ob wir Selbstbehalt abschaffen und dafür höhere Beiträge einheben sollen oder nicht. 83 Prozent haben sich dagegen ausgesprochen. Die Befragten wollen auch nicht, dass die Geringverdiener vom Beitrag befreit werden.
Matznetter: Die Regionalregierung in der Krim und Wladimir Putin hätten bei dieser Art der Befragung ihre Freude gehabt. Die Fragen waren rein suggestiv.
(Erneut heftiges Wortgefecht).
McDonald: Man sollte noch erwähnen, dass jene, die sich mit ihrem Arzt Gesundheitsziele setzen und sich bewusst um ihren körperlichen Zustand kümmern, nur zehn Prozent Selbstbehalt zahlen. Unsere Versicherten gehen nur halb so viel zum Arzt, sind ein Drittel weniger oft krank, gehen zwei Jahre später in Pension und leben zwei Jahre länger.
Wegen des Selbstbehaltes?(Matznetter lacht auf). McDonald: Da spielen viele Faktoren mit, einer könnte der Selbstbehalt sein. Zur Dämonisierung durch Matznetter, wir haben kaum Beschwerden über den Selbstbehalt.
Bei all den Ausnahmen ist der Selbstbehalt eh gar nicht schlimm?Matznetter: Das ist eine reine Krankensteuer. Der wahre Hintergrund ist, dass die Ärzte die Vorsorgeuntersuchung verrechnen können. Deswegen kann man nicht vom Selbstbehalt weg. Man sollte bei den Ärzten einen finanziellen Spielraum schaffen. Denn die Ärzte kassieren mehr von jedem Versicherten als von einem ASVG-Versicherten. Dort kann man sich etwas holen.
McDonald: Ich finde das scheinheilig, was der Herr Matznetter da sagt. Ich kann nicht überall Leistungen ausbauen und mit Geld jonglieren und sagen, wir streichen gleichzeitig den Selbstbehalt. Was sie wollen, kostet 150 Millionen Euro.
Matznetter:Der Selbstbehalt dient doch nur dazu, dass die Ärzte mehr Rechnungen stellen können.
McDonald: Das ist ein Anreizmodell für mehr Gesundheit.
Was macht ein Gesunder?McDonald: Er braucht nur auf dem Status bleiben für ein halbes Jahr, dann zahlt er drei Jahre weniger Selbstbehalt.
Matznetter: Das ist entwürdigend, das nachweisen zu müssen.
Ein Mistkübler der Stadt Wien, der Käsekrainer frühstückt, muss den Selbstbehalt nicht zahlen.McDonald: Unser Modell ist ein Vorbild. Im Regierungsprogramm steht, dass das auch bei den anderen Versicherungen eingeführt werden soll. Außerdem heben andere Krankenkassen schon mehr Selbstbehalte ein als die SVA - zum Beispiel durch die E-Card oder die Rezeptgebühr. Bei manchen funktioniert der Anreiz, bei anderen nicht. Unser Gesundheitssystem wird nur dann weiterhin finanzierbar sein, wenn man sich um seine Gesundheit kümmert, bevor man krank ist. Das ist besser als die Vollkaskomentalität der SPÖ.
Herr Matznetter, noch einmal: Woher nehmen Sie das Geld für das Selbstbehalt-Aus und das Extra-Krankengeld?Matznetter: Die SVA zahlt den Ärzten im Vergleich zu den Gebietskrankenkassen ein Vielfaches für die Heilbehandlungen. Wäre das angeglichen, müsste man die Beiträge nicht erhöhen. Das halten die Ärzte aus.
McDonald: Die Differenz beträgt nur noch zwölf Prozent - auch wegen diverser Zusatzleistungen. Sie können doch nicht einfach den Ärzten Geld wegnehmen und die Mittel an andere verteilen. Das ist unredlich.
Matznetter: Die Existenz-Probleme Armutsgefährdeter nicht sehen zu wollen, ist unredlich.
In Österreich ist die Zahl der Ein-Personen-Unternehmen (EPU) zuletzt deutlich auf 260.000 gestiegen. Die Hälfte davon konzentriert sich in Wien und Niederösterreich. EPU sind Selbständige, die keine Mitarbeiter haben und auf eigene Rechnung arbeiten. EPU sind kein neues Phänomen, wenn man an den Kleidermacher denkt. Die Zahl der Branchen, in denen sie zu finden sind, hat sich jedoch mit der Flexibilisierung, Dynamisierung aber auch Prekarisierung der Arbeitswelt stark erweitert. Die Bandbreite reicht vom selbständigen Trainer, Berater, Tischler, Grafiker, Regalschlichter, Taxler, Franchisenehmer über den Werber, Makler, Künstler bis hin zum nebenberuflichen Autor. Dazu kommt die große, sehr spezifische Gruppe der osteuropäischen Pflegerinnen.
In der Wirtschaftskammer stellen EPU über 50 Prozent der Mitglieder. Versichert sind sie bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft SVA. Die SVA deckt die gesamte Versicherungsgemeinschaft der Selbständigen ab, vom EPU bis zum Betriebschef mit 20 Mitarbeitern. Bei einem Teil der EPU regte sich in den vergangenen Jahren Widerstand gegen die Höhe der Prämien, der Selbstbehalte oder der Art der Nachzahlung an die SVA. Das führte zur Gründung der Facebook-Gruppe Amici delle SVA mit rund 8000 Mitgliedern. In den vergangenen Jahren hat es in der SVA bereits einige Verbesserungen für EPU gegeben, wie etwa ein Krankengeld, die Streckung der Nachzahlung oder die Deckelung des Selbstbehaltes.