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Das Neue Testament berichtet von der Heilung eines von Dämonen besessenen Mannes, der Jesus anfleht, die Dämonen nicht aus der Gegend zu vertreiben. „Nun weidete dort an einem Berghang gerade eine große Schweineherde. Da baten ihn die Dämonen: Lass uns doch in die Schweine hineinfahren. Jesus erlaubte es ihnen. Darauf verließen die unreinen Geister den Menschen und fuhren in die Schweine, und die Herde stürzte sich den Abhang hinab in den See. Es waren etwa zweitausend Tiere, und alle ertranken” (Markus 5, 11-13). Da kann man nur sagen: Arme Schweine.
Dem Schwein des heiligen Antonius in der gleichnamigen Satire des großen Humoristen Wilhelm Busch geht es bedeutend besser. Es stirbt zeitgleich mit seinem Herrn und Gönner, fährt mit diesem in den Himmel und wird dort (freilich nach anfänglichen Protesten der Türken und Juden) wohlwollend aufgenommen: „Willkommen! Gehet ein in Frieden!/Hier wird kein Freund vom Freund geschieden./Es kommt so manches Schaf herein,/Warum nicht auch ein braves Schwein!!”
Ein vielfältiges Symbol
Den einen gelten sie als „unreine” Tiere, für die anderen sind sie begehrte Nahrungslieferanten und Symbole des Glücks (was wäre ein Jahresausklang ohne Schweinchen?!). Schweine sind mit der Kulturgeschichte der Menschheit eng verbunden. Sie bevölkern Legenden, Mythen und Märchen, sind Sinnbilder der Fruchtbarkeit und des Wohlbefindens, Opfertiere und Göttergestalten (Freya, die nordgermanische Göttin der Liebe und Ehe trug den Beinamen „Sau”). Sie faszinieren ob ihrer Intelligenz und geselligen Natur, werden jedoch hemmungslos ausgebeutet. Sie sind Symbole der Sparsamkeit, eignen sich als Postkartenmotive und Vorlagen für Karikaturen und finden sich auf Wappen von Gemeinden und in vielen Ortsnamen (man denke an Schweinfurt, Ebersbach, Eberswalde, Groß-Schweinbarth oder Ebergassing).
Schließlich bereichern Schweine den Fundus von Schimpfwörtern, wobei kein anderes Tier mit ihnen mithalten kann. Ausdrücke wie „Drecksau”, „fette Sau”, „korruptes Schwein”, „gieriges Schwein”, „verfressenes Schwein” oder „versoffene Sau” sind - auf einen Menschen angewendet - bestens geeignet, diesen in seinem Ehrgefühl zu verletzen.
Wir neigen dazu, in Schweine Eigenschaften zu projizieren, die wir an unseren Mitmenschen nicht schätzen, und bezichtigen diese Paarhufer vieler Untugenden, vor allem der Völlerei und Unzucht. Zugleich bewundern oder beneiden wir die Borstentiere sogar und würden gerne ab und an „die Sau rauslassen”. Keine Frage, Schweine vermitteln uns ambivalente Gefühle, und die Art und Weise, wie wir sie wahrnehmen, sagt einiges über unsere Psyche aus. Vielleicht denken wir auch, dass sie uns ihrerseits auf eine ganz spezifische Weise wahrnehmen. Wie Winston Churchill bemerkte, blicken Hunde zu uns auf, Katzen auf uns herab, während uns Schweine in Augenhöhe begegnen.
Das sind interessante Worte aus dem Munde eines Politikers. Es kommt wohl auch nicht von Ungefähr, dass in George Orwells „Farm der Tiere” Schweine die Führungsrolle übernehmen. Wobei man diese satirische Parabel folgendermaßen lesen kann: Politikern und Ideologen kommen jene Eigenschaften zu, die Menschen im Allgemeinen mit Schweinen im Negativen verbinden - und man sieht, wohin es führt, wenn solche „Schweine” die Geschicke der Welt lenken.
Unreine Tiere?
Nun sind Schweine den meisten Menschen aber vor allem eins: nützlich. Sie wurden bereits in der Jungsteinzeit, vor über 9000 Jahren domestiziert und erwiesen sich aufgrund ihrer hohen Reproduktionsraten und ihrer Anpassungsfähigkeit als hervorragende Nutztiere. Heute gehören sie zu unseren wichtigsten Nahrungslieferanten. Die Zahl der Hausschweine weltweit beträgt etwa eine Milliarde und hat sich seit den 1950er Jahren verdreifacht. Unweigerlich denkt man hier aber auch daran, dass Schweine in manchen Kulturen, bei den Juden und Moslems, als „unreine” Tiere gelten und Schweinefleisch mit einem Tabu belegt ist. Wie kommt das? Schweine gelten vielen als dreckige Kreaturen, weil sie sich gern im Schlamm wälzen (suhlen). Gerade dieses Verhalten aber ist als intensive Körperpflege zu deuten! Schweine schwitzen nicht und finden Abkühlung im Schlamm. Die Redewendung, dass jemand „schwitzt wie ein Schwein”, beruht also auf einem grundlegenden Missverständnis.
Wasser allein würde - jedenfalls bei den Wildschweinen - auf ihrem Fell ziemlich schnell verdunsten und hätte daher einen geringeren Kühlungseffekt als eine Schlammschicht. Oft wurde vermutet, dass das Schweinefleischtabu mit der Trichinose in Verbindung steht. Schweine können vom kleinen parasitären Fadenwurm Trichinella spiralis befallen werden, so dass der Genuss ihres Fleisches für den Menschen eine Gefahr darstellt. Aber dem Fadenwurm dienen auch viele andere Säugetiere als Wirte, und außerdem konnten die Autoren des Alten Testaments und des Koran von der Trichinose noch nichts wissen, weil die Krankheit erst seit dem 19. Jahrhundert bekannt ist. Die plausiblere Erklärung für das Schweinefleischverbot ist eine ökologisch-ökonomische.
Der Anthropologe Marvin Harris weist darauf hin, dass in den kargen Kernlanden des Judentums und des Islam Schweine hinsichtlich ihrer Nützlichkeit schlechter abschneiden als Rinder, Ziegen und Schafe. Sie können nicht einfach von Gras leben, sondern müssen durchgefüttert werden. Außerdem geben sie keine Milch und eignen sich nicht als Zugtiere, was sie vor allem Rindern gegenüber als nachteilig ausweist. Das Schweinefleischtabu hat somit keinen religiösen Ursprung, sondern wurde erst sekundär religiös motiviert und nach einer den Religionen eigenen Logik als Dogma verankert. In den meisten Ländern der Welt aber wird Schweinefleisch gegessen, eine Vielfalt von Schweinefleischgerichten bereichert die Speisekarten aller Kontinente.
Abgesehen von der Bedeutung, die Schweine - das Wildschwein und, viel mehr noch, das Hausschwein - als Nahrungslieferanten bereits vor Jahrtausenden erlangt haben, spielen sie in vielen Mythen, Legenden und Märchen eine Hauptrolle. Die griechische Mythologie kennt die gewaltige Wildsau Phaia, die die Umgebung von Korinth terrorisierte. Ihre Abkömmlinge, der erymanthische und der kalydonische Eber, waren im Altertum beliebte Motive auf Medaillen und Münzen. Vor allem der Jagd auf den kalydonischen Eber, an der sich so berühmte Heroen wie Nestor, Meleagros und Ankaios beteiligten, kommt in der Mythologie der alten Griechen große Bedeutung zu: Oineus, König von Kalydon, hatte vergessen, Artemis seine Opfergaben darzureichen, so dass diese einen riesigen Keiler aussandte, der die Arbeiter und das Vieh des Königs töten und seine Ernte vernichten sollte. Daraufhin forderte Oineus die tapfersten Krieger Griechenlands auf, den Keiler zu töten, und versprach dessen Pelz und Hauer demjenigen, der das Untier zur Strecke bringen würde.
Die wütende Sau
Das Wildschwein personifizierte das Böse und konnte von erzürnten Göttern, die von Menschen beleidigt worden waren, instrumentalisiert werden. Dabei bleibt das Bild vom „wilden” Schwein (im eigentlichen und übertragenen Sinn des Wortes) keineswegs auf das griechische Altertum beschränkt, sondern findet sich auch später in anderen Kulturen. Beispielsweise ist, wie der Ethnologe Yves Schumacher berichtet, in Mythen aus der Schweiz „das Furcht erregende Bild einer wütenden Sau, die (. . .) schnaubend durch die Landschaft rast und verbrannte Erde hinter sich lässt”, tief verwurzelt. Vor allem im Berner Oberland trieb diese Vorstellung skurrile Blüten. Unter dem Ausdruck „Rochelmore” ist dort eine gespenstische und lärmende Sau überliefert, die unter fürchterlichen Grunz-Lauten durch die Luft gezogen oder Menschen fühlbar um die Beine gestrichen sein soll. Damit wurde aber auch der Hass gegen die Juden geschürt. In einer Erzählung aus dem Berner Oberland werden jüdische Kinder in Schweine (unreine Tiere!) verwandelt.
Im Mittelalter entstand im deutschen Sprachraum auch das Symbol der „Judensau” als Bildmotiv und als schwere Demütigung. Die Judensau ist auf Steinreliefs an zahlreichen Kirchen und anderen Gebäuden noch erhalten, etwa in Köln, Erfurt und Nürnberg. Die Skulpturen stellen Schweine und Menschen in enger körperlicher Beziehung zueinander dar. Als Juden erkennbare Menschen saugen an den Zitzen einer Sau oder reiten verkehrt herum auf einem Schwein und wenden ihr Gesicht dessen After zu. Martin Luther, der die Juden und das Judentum grob beschimpfte, ist mit der Judensau in Verbindung zu bringen.
Eine Göttergabe
Doch wurden Schweine nicht immer und überall in negativen Bildern repräsentiert und als Objekte der Bedrohung und Verspottung eingesetzt. Die Kelten etwa begegneten (Wild-)Schweinen mit großer Ehrfurcht und glaubten, dass Schweine den Menschen von Göttern gebracht wurden und teils verwandelte Menschen sind. Schweine oder zumindest einzelne ihrer Körperteile wurden vor allem den Angehörigen des Adels ins Grab mitgegeben, und im Übrigen galten bei den Kelten Schweine als unbesiegbare Tiere.
In neuerer und jüngster Zeit treten Schweine in (Kinder-)Büchern, Filmen und Comics in erster Linie als niedliche und liebenswerte Kreaturen auf, in Gestalten wie „Schweinchen Dick”, „Miss Piggy” und „Rudi Rüssel”. Fast will es scheinen, dass der Mensch alles, was er diesen Paarhufern schon angetan hat, wieder gutmachen will, wobei er allerdings nur alte Missverständnisse durch neue ersetzt. Jenseits von Mythen, Märchen und Comics schaut die reale Welt der meisten (Haus-)Schweine ohnehin düster aus. Sie werden zu Massen in großen Stahlkäfigen gehalten, wo sie die ihrer Art gemäße Neigung zum Suhlen nicht mehr entfalten dürfen. Wie der italienische Journalist und Schweinefreund Franco Bonera treffend bemerkt: „Das Schwein hat kein Schwein.”
Kürzlich erschien das neue Buch von Franz M. Wuketits: Schwein und Mensch. Die Geschichte einer Beziehung. Westarp Wissenschaften-Verlagsgesellschaft, Hohenwarsleben 2011, 170 Seiten, 19,95 Euro.Franz M. Wuketits lehrt Wissenschaftstheorie mit dem Schwerpunkt Biowissenschaften an der Universität Wien. Er ist Autor zahlreicher Bücher.