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Glücksfall Steueroasen, Visite in Paris als Bürde

Von Alexander Dworzak

Politik

Steinbrück muss Kompetenzen ausspielen, um im Kanzlerrennen aufzuschließen.


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Paris/Berlin. "Steuerbetrug ist ein Verbrechen", donnerte das Presseteam von Peer Steinbrück auf dessen Account im Kurznachrichtendienst Twitter. Dazu lieferten die Mitarbeiter des SPD-Kanzlerkandidaten am Freitag ein Luftbild, markierten ein Haus am Meer und titelten: "In diesem fünfstöckigen Gebäude auf den Cayman Islands sind über 18.000 Unternehmen gemeldet." Den öffentlichen Aufschrei über Billionen in Steueroasen weltweit möchte der Sozialdemokrat für sich nutzen, schließlich setzt er im Bundestagswahlkampf ganz auf das Thema Gerechtigkeit.

Viele Trümpfe hält Steinbrück nicht. Im September wird gewählt, und die Umfragewerte sind katastrophal: Lediglich jeder vierte Deutsche würde ihm bei einer hypothetischen Direktwahl des Kanzlers seine Stimme geben, während Angela Merkel auf 60 Prozent kommt. So groß war der Abstand zwischen den beiden noch nie - im Dezember 2012 betrug er nur zehn Prozentpunkte. Sogar ein Drittel der SPD-Anhänger würde derzeit für die Kanzlerin anstatt für den pointiert-schroffen Hanseaten votieren.

Finanzpolitik statt Mindestlohn-Debatte

Steinbrück versucht nun den Steueroasen-Gegenangriff. 850 Milliarden Euro versiegen in Europa pro Jahr durch die Untätigkeit der deutschen Regierung, die er scheinheilig nennt. "Es ist ja diese Bundesregierung gewesen, die die Steuerfahndungsbehörden eher ins Abseits gestellt hat", sagte er in Anspielung auf die berühmten CDs mit Daten zu deutschen Steuerflüchtlingen in der Schweiz. Diese Praxis wollte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Gegenzug für ein Steuerabkommen mit der Schweiz unterbinden.

Mit der Kavallerie drohte hingegen Steinbrück den Schweizern in seiner Zeit als Finanzminister. Ein eidgenössisches Boulevardblatt bezeichnete ihn gar als "hässlichen Deutschen". Seine Landsleute wiederum schätzten Steinbrücks unumstrittene Kompetenz. Diese könnte er nun in der Debatte um Steueroasen ausspielen und so den Rückstand auf Merkel verringern. Schon fordert der SPD-Politiker härtere Strafen für Banken, die am Steuerbetrug beteiligt sind, bis hin zum Entzug ihrer Lizenz. Inhaltlich liegt Steinbrück Gerechtigkeit im Steuersystem ohnehin viel näher als Debatten um Verteilungsgerechtigkeit. Dass die SPD einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde fordert, ihr eigener Kanzlerkandidat aber lange kein Fan davon war, passt ins Bild eines bislang misslungenen Wahlkampfs.

Kein Fettnäpfchen ließ Steinbrück bislang aus. Er fabulierte von niedrigem Kanzlergehalt, galt als Honorarkrösus für Vorträge und engagierte einen Berater, der für zwei Hedge-Fonds tätig war. Nun trat Steinbrück die nächste Kontroverse los, indem er getrennten Sportunterricht von Buben und Mädchen aus religiösen Gründen guthieß. Auch der Besuch bei Frankreichs Staatschef François Hollande am Freitag war alles andere als glücklich gewählt. Steinbrück nahm seinen heftig in der Kritik stehenden sozialistischen Kollegen in Schutz: Hollande könne nicht gleich aufholen, was konservative Vorgänger in den vergangenen zehn Jahren nicht bewältigt haben.

Kanzler, aber nichtMinister unter Merkel

Während Hollande noch vier Jahre im Amt hat, muss Steinbrück sofort in die Erfolgsspur finden. "Ich stehe nur für eine rot-grüne Bundesregierung zur Verfügung", stellt er klar. Derzeit verfügen weder CDU und FDP noch Sozialdemokraten und Grüne über die Mehrheit. Alles läuft auf eine große Koalition hinaus, geführt von Merkels CDU, die 14 Prozentpunkte vor der SPD liegt.