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Gnadenfrist für Ernst Strasser

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik

OGH hebt Urteil auf, Lobbying-Prozess muss zurück in die erste Instanz.


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Wien. Ernst Strasser hat noch einmal den Kopf aus der Schlinge gezogen. Zur allgemeinen Überraschung hob der Oberste Gerichtshof (OGH) das erstinstanzliche Urteil in der Lobbying-Affäre auf und verwies die Causa zurück an das Erstgericht. Zwar verwarfen die Höchstrichter Strassers Nichtigkeitsbeschwerde, aufgrund einer Unklarheit im Urteil musste es aber von Amts wegen aufgehoben werden, erklärte OGH-Präsident Eckart Ratz am Dienstag.

Das Erstgericht habe zwar die Tatfrage "mängelfrei" geklärt und eindeutig festgestellt, dass der frühere ÖVP-Innenminister von vermeintlichen Lobbyisten 100.000 Euro pro Jahr gefordert hatte, um Einfluss auf die EU-Gesetzgebung zu nehmen. Das wird in einem heimlichen Videomitschnitt zweier britischer Journalisten, die sich als Lobbyisten getarnt hatten, deutlich. Allerdings geht aus dem Urteil des Schöffensenats unter Richter Georg Olschak nicht hervor, ob Strasser das Geld für die Einflussnahme auf eine bestimmte EU-Richtlinie oder für eine allgemeine, unbestimmte Einflussnahme auf die EU-Gesetzgebung gefordert hat. Seit der Verschärfung des Korruptionsstrafrechts ist beides in Österreich strafbar. Zum Tatzeitpunkt Ende 2010 war nur Ersteres, also Bestechlichkeit im Zusammenhang mit konkreten Amtsgeschäften, strafbar. Das hatte nicht nur Richter Olschak übersehen, sondern auch Strassers Anwalt Thomas Kralik und die Generalprokuratur. Erst dem OGH viel das auf, weshalb er das Urteil aufheben musste.

Eine eigene Interpretation, ob aus den Videoaufnahmen ein Zusammenhang mit einem konkreten Gesetz herstellbar ist, steht dem OGH nicht zu, erklärte Eckart Ratz. Er durfte nicht einmal die Videos sichten. Das ist nun Aufgabe der ersten Instanz, also des Straflandesgerichts Wien. Dort muss ein neuer Richter sich der Sache annehmen. Allerdings dürfte es ein relativ kurzer Prozess werden: Weil ja die Tatfrage geklärt ist, könne die Entscheidung im Wiederholungsprozess unter Beachtung der Vorgaben des OGH schnell erfolgen, so Ratz.

Auch Kralik geht davon aus, dass der neue Prozess "höchstens ein, zwei Tage dauern wird", weil es nur noch ein "ganz eingeschränktes Beweisthema" sei. Er zeigte sich nach dem Urteil "überrascht", aber auch erfreut, denn "der OGH folgt trotz medialer Vorverurteilung den Stimmen des Volkes nicht".

Unverständnis in den sozialen Medien

Volkes Stimme reagierte denn auch mit Unverständnis auf das Urteil, und in den sozialen Medien gingen die Wogen hoch. Von "Farce" und "Groteske" war die Rede. Manche sahen schon das Ende des Rechtsstaats kommen, weil es sich "die da oben" wieder einmal gerichtet hätten.

Tatsächlich ist für Ernst Strasser die Sache damit keineswegs ausgestanden. An einer Verurteilung des früheren Innenministers auch im zweiten Prozess zweifeln die wenigsten. Im ORF-Radio meinte der Innsbrucker Strafrechtsexperte Klaus Schwaighofer, die fehlenden Klarstellungen würden im neuen Urteil nachgeholt, damit sei eine erneute Verurteilung "sehr naheliegend".

In der Tat lässt sich ein Zusammenhang der Geldforderung mit konkreten Gesetzesmaterien recht leicht feststellen. So war in dem Gespräch vom 11. November 2010 zwischen Strasser und den vermeintlichen Lobbyisten von der RoHE-Richtlinie die Rede, dabei geht es um die Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten. Am 3. Dezember 2010 ging es um die WEEE-Richtlinie zu Elektro- und Elektronikgeräte-Abfall. Beide Male erklärte Strasser, dass es wohl schwierig werden würde, noch etwas zu ändern, weil der Gesetzgebungsprozess wohl schon zu weit fortgeschritten sei. Trotzdem hat er dann noch einen Versuch gestartet, Änderungen an der Elektroschrott-Richtlinie zu erreichen.

Selbst wenn also auch für den zweiten Prozess eine Verurteilung zu erwarten ist, darf Strasser gewisse Hoffnungen schöpfen. Zum einen dürfte das Urteil milder ausfallen als die von Richter Olschak verhängten vier Jahre. Schließlich hat auch die Generalprokuratur die Tatsache, dass Strasser EU-Abgeordneter, also Amtsträger, war, als Erschwernisgrund zurückgewiesen. Schließlich gibt es das Verbrechen der Bestechlichkeit nur für Amtsträger. Damit ist ein teilbedingtes Urteil möglich, wodurch Strasser eine Haftstrafe dank Fußfessel und Hausarrest erspart bleiben könnte.

"Ernst Strasser ist politisch und gesellschaftlich tot"

Das Strafmaß könnte Strasser auch durch eine geänderte Taktik beeinflussen. Auch am Dienstag zeigte er sich uneinsichtig: "Was mir die Anklage vorwirft, habe ich nicht getan, nicht gewollt und nicht versucht." Deshalb sei das Urteil auch ein "Keulenschlag" für ihn gewesen. Sein "gröbster Fehler" sei wohl gewesen, dass er mit niemandem außer seiner Freundin gesprochen hatte - wohl über seinen früher geäußerten Verdacht, dass Geheimdienste ein linkes Spiel mit ihm treiben. Allerdings verlor er über Geheimdienste am Dienstag kein Wort. Zur Untermauerung seiner Behauptung, dass ihm im Grunde nichts vorzuwerfen sei, legte er ein Gutachten der Wiener Strafrechtsprofessoren Peter Lewisch und Helmut Fuchs vor, wonach der Bestechlichkeitsparagraf 304 "hier nicht anwendbar" sei.

Für das zweite Verfahren könnte er nun eine neue Taktik anlegen, nämlich dass es ihm nur um allgemeines Lobbying gegangen sei, ohne Bezug zu konkreten Gesetzesvorhaben - was ja zur damaligen Zeit nicht strafbar war. Strafmildernd würde sich natürlich auch ein reuiges Geständnis auswirken. Aber egal wie das Urteil ausfällt: "Ernst Strasser ist politisch und gesellschaftlich tot", wie sein Anwalt treffend formulierte.