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God Save the Queen

Von Daniel und Luke Green

Gastkommentare

Das Thronjubiläum von Elizabeth II. und die anglikanische Kirche.


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In Österreich leben rund 11.000 Menschen mit britischem Pass, 5.000 davon in Wien. Nicht nur sie feiern das "Platinum Jubilee" von Queen Elizabeth II. Diesen Samstag lädt die Kirche von England in Kooperation mit der britischen Botschaft zu einem internationalen Straßenfest anlässlich des 70. Thronjubiläums ein. In der Jaurèsgasse im 3. Wiener Gemeindebezirk werden Menschen unterschiedlichster Herkunft und Staatsangehörigkeiten gemeinsam das Thronjubiläum der Monarchin feiern. Speisen aus aller Welt, Getränke, eine Live-Band, ein Flohmarkt und mehr als 2.000 englische Kinderbücher sollen das Interesse der Wiener wecken.

Es geht aber nicht nur um körperliches Wohlbefinden, Musik, Unterhaltung oder Spenden für wohltätige Zwecke; das Thronjubiläum tangiert auch grundlegende und spannende Identitätsfragen. Nicht alle Briten in Wien sind Anglikaner, und nicht alle Anglikaner haben einen britischen Pass, sondern auch kanadische, nigerianische, kenianische, österreichische . . . - was die Anglikaner vereint, ist die Königin, denn Elizabeth II. ist nicht nur Oberhaupt des Vereinigten Königreiches und der 14 Commonwealth Realms, sie ist auch die Oberste Gouverneurin der anglikanischen Kirche.

Ein weiteres gemeinsames Merkmal ist der Gebrauch der englischen Sprache. Sie verbindet typischerweise Wiens Anglikaner, auch wenn sich die Sakralsprache der anglikanischen Kirche deutlich von der Alltagssprache unterscheidet. Sprache perspektiviert Kultur und Religion, sie verbindet Menschen durch kollektives Wissen. In den Worten der Anglistin Katharina Reschenhofer (Universität Wien): "Wenn man eine bestimmte Sprache spricht, gibt es so viele Vorannahmen, die damit verbunden sind; es gibt so viel kulturelles gemeinsames Wissen, das mit dem Englisch-Sprechen einhergeht." Die CityKirche, die neu entstandene anglikanische Gemeinde in Wien, hat mit der Sprachwahl des Deutschen einen interessanten Weg beschritten, der den vorwurfsvoll anmutenden Vergleich zwischen Anglikanismus und Anglozentrismus entkräften dürfte.

Überkonfessionelle Solidarität in der NS-Zeit

Aber kehren wir zurück zu Elizabeth II. Die Stellung der Königin als Kirchenoberhaupt ist weitgehend als zeremoniell und symbolisch zu beschreiben. Man sollte jedoch darüber nachdenken, ob der Titel "Defender of the Faith" ("Verteidigerin des Glaubens") nicht ganz abgeschafft oder zumindest in "Defender of the Faiths" abgeändert werden sollte, um die gefährliche Illusion von der Überlegenheit der eigenen sozialen Gruppe zu vermeiden und das menschlich Verbindende zu unterstreichen.

Es geht bei den Feierlichkeiten darum, Menschen aus allen Bereichen des Lebens zusammenzubringen, Menschen "of all faiths and none", wie es die Queen im April 2020 formuliert hat. Einheit durch Vielfalt heißt: Alle Menschen sind willkommen, unabhängig davon, woher sie kommen, wen sie lieben, mit welchem Geschlecht sie sich identifizieren, ob sie gläubig sind oder nicht, welche politische Gesinnung oder Weltanschauung sie haben.

Die Geschichte überkonfessioneller Solidarität und Menschlichkeit zeigt sich vor allem im Handeln der anglikanischen Geistlichen in Wien zur Zeit des Nationalsozialismus. 1938 stellten Fred Collard und Hugh Grimes in nur vier Monaten mehr als 1.700 Taufzertifikate aus, im Wissen, dass diese primär jüdischen Mitbürgern die Flucht aus Österreich erleichterten und es den wenigsten um die Zugehörigkeit zur Kirche von England ging.

Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich 1938 erließen auch die Nachbarstaaten strengere Richtlinien bezüglich der Aufnahme österreichischer Juden. Auf dem Papier anglikanisch zu sein, dürfte zumindest die Ausreisechancen verbessert haben. Unmittelbar nach dem Vollzug des "Anschlusses" verstärkte sich in Österreich der offene Antisemitismus, und aus wenigen gläubigen Juden, die sich - zumeist über persönliche Kontakte vermittelt - in der Wiener Christ Church Vienna in der Jaurèsgasse eingefunden hatten, wurden Massen.

Im Vereinigten Königreich beziehungsweise bei der anglikanischen Kirchenaufsicht hielt sich die Begeisterung über Grimes’ Gewissensentscheidung in Grenzen. Der Sekretär des Erzbischofs von Canterbury schrieb einen gesalzenen Brief an Basil Staunton Batty, den Bischof von Fulham, in dem er die Massentaufen kritisierte, die offensichtlich nur in Rufweite des Kirchenrechts waren. Grimes wurde anschließend ins Vereinigte Königreich zurückbeordert, sein Nachfolger Collard setzte sein Werk jedoch fort.

Die Nationalsozialisten setzten ihrerseits alles daran, das bestehende britische Agentennetz in Wien zu zerschlagen, ignorierten die Massentaufen im 3. Bezirk aber weitgehend. Am 17. August 1938 stürmte allerdings die Gestapo überraschend die Kaplanei und erwischte Collard im Gespräch mit 32 Juden. Der Geistliche wurde kurzfristig verhaftet, ins Hotel Metropol gebracht und dort "befragt". Auch nach diesem Schock stellte er weiterhin Taufzertifikate aus.

Anglikanische Kirche ist gespalten wie noch nie

Mit dem 70. Thronjubiläum von Elizabeth II. stellen sich auch Fragen, die mit der globalen Ausrichtung des Anglikanismus zusammenhängen, denn die anglikanische Kirche ist heute gespalten wie noch nie. Es ist zu hoffen, dass die in Wien gelebte Offenheit gegenüber allen Lebenswegen und Identitäten mit der Trauung gleichgeschlechtlicher Paare auch Einzug ins Kirchenrecht und in die Praxis des öffentlichen Pfarrlebens findet.

In ihrem Schreiben anlässlich des Tages ihrer Thronbesteigung stellte die Queen fest: "Ich hoffe, dass dieses Jubiläum Familien und Freunde, Nachbarn und Gemeinschaften zusammenbringen wird - nach einigen schwierigen Zeiten für so viele von uns -, um die Feierlichkeiten zu genießen und über die positiven Entwicklungen in unserem täglichen Leben nachzudenken."

Es geht nicht um Pässe, Staatsbürgerschaften oder erfundene Nationen, sondern um das Überwinden von Grenzen und menschliche Begegnungen auf Augenhöhe. Zusammenfassen ließe sich das mit ein paar wenigen Änderungen des anglikanischen Kirchenliedes "God Save the Queen":

"Let’s make the nations see,
That all should siblings be,
And form one family,
The wide world o’er."