Alarmstufe Rot, zwei verwundete Blauhelme, Österreicher unverletzt.|Gefährdung für Österreicher laut Kanzler Faymann zu groß - Soldaten enttäuscht.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien/Damaskus. Die vorübergehende Eroberung eines Grenzpostens auf dem Golan durch syrische Rebellen Donnerstagfrüh sorgt im 2300 Kilometer entfernten Wien für Hektik. Als gegen neun Uhr Medienberichte über heftige Kämpfe im Grenzgebiet zwischen Israel und Syrien die Runde machen, sagt Verteidigungsminister Gerald Klug sämtliche Termine für diesen Tag ab und beruft den Krisenstab ein.
Um 10 Uhr 30 treffen Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger im Verteidigungsministerium zu der Krisensitzung ein.
Nachdem die Militärs im Krisenstab erklären, die Lage sei militärisch nicht mehr beherrschbar, ist auch für die Regierungsspitze klar, dass an einem Abzug der Bundesheersoldaten kein Weg vorbeiführt.
"Es ist uns nichts anderes übrig geblieben", heißt es aus Regierungskreisen zur "Wiener Zeitung". "Unsere Soldaten waren unter Beschuss und bei der anstehenden Rotation von 280 Männern hätten sie durch extrem umkämpftes Gebiet fahren müssen", so der Insider weiter. Aber leicht habe man es sich nicht gemacht, vor allem nicht angesichts der ungewissen Zukunft, der die UNO-Mission am Golan nun entgegen sieht. "Es ist unwahrscheinlich, dass sich in der kurzen Zeit andere Truppensteller finden", sagt der pensionierte General Günther Greindl, Vorsitzender der österreichischen Blauhelmorganisation "Blue Helmets Association".
Die Regierung zeigt Geschlossenheit: Faymann, Spindelegger und Klug sind sich über den Abzug einig. Nun liegt es am Außenminister, UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon, Israel, Syrien und die anderen UNO-Truppensteller am Golan zu informieren. Ban sei "entsetzt" gewesen, denn er wisse, dass nun die gesamte Mission am Golan gefährdet ist. Denn die 378 Bundesheersoldaten seien "ein Rückgrat" für die Blauhelmtruppe UNDOF gewesen, wie eine Sprecherin der Vereinten Nationen in New York sagt. Auch Israel ist "not amused": "Israel schätzt Österreichs Einsatz am Golan sehr. Wir würden es gerne sehen, dass die österreichischen Soldaten am Golan blieben. Allerdings: Israel unternimmt alles, um seine Grenzen zu schützen und wir beobachten die Situation schon seit einiger Zeit sehr intensiv", verlautet aus der israelischen Botschaft auf Anfrage.
Verwirrung gibt es zwischenzeitlich um eine Wortmeldung von Bundespräsident Heinz Fischer, der ja auch Oberbefehlshaber des Bundesheeres ist. Er hatte sich noch am Morgen gegen eine "Blitzaktion" ausgesprochen und erklärt: "Es wird keinen unnötigen vorzeitigen Abzug geben. Wenn es aber nötig ist, werden wir das tun." Später wird der Bundespräsident den Abzug als "die richtige Entscheidung" loben. Hatte man etwa vergessen, den Bundespräsidenten und Oberbefehlshaber des Bundesheeres in die Regierungspläne einzuweihen?
Um 14 Uhr 20 bestätigen Faymann und Spindelegger in einer gemeinsamen schriftlichen Erklärung den Abzug des Bundesheeres vom Golan. Die Mission könne "aus militärischen Gründen nicht mehr aufrechterhalten werden (...) Eine unkontrollierte und unmittelbare Gefährdung der österreichischen Soldaten ist auf ein inakzeptables Maß angestiegen", ein weiteres Zuwarten sei "nicht mehr vertretbar". Ein Außenamts-Vertreter ist im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" noch deutlicher: "Die Frage ist doch: Warten wir darauf, bis die Leichensäcke in die Heimat kommen, oder ziehen wir gleich ab."
Mit dem Abzug ist für die Regierungsparteien die Gefahr gebannt, dass der Golan zum Wahlkampfthema wird. Zwar wird in Regierungskreisen betont, dass die Entscheidung nichts mit dem Wahlkampf zu tun hatte, ein Zögern - vor allem, wenn etwa ein österreichischer Soldat zu Schaden gekommen wäre - wäre aber vor allem "innenpolitisch fatal" gewesen, sagt Politikberater Thomas Hofer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der Abzug sei als "eine sichere Variante - nicht nur für die Soldaten, sondern auch für die Regierung".
Enttäuschte Soldaten
Um 15 Uhr werden auch jene Soldaten informiert, die am Montag um 23 Uhr 45 in den Nahen Osten hätte fliegen sollen. Schon vor zwei Wochen hatte Verteidigungsminister Klug die 180 Blauhelme für den Golan und ihre Kollegen, die im Libanon eingesetzt werden, in der Kaserne Götzendorf verabschiedet. Doch aus dem Golan-Einsatz wird nun nichts, worüber sich ein 26-jähriger Korporal im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" "persönlich enttäuscht" zeigt. "Wann sollen wir sonst dorthin gehen, wenn nicht jetzt, wo wir gebraucht werden? Wir wissen, dass es gefährlich ist, wir sind Soldaten."
Schauplatz Golan
Kurz bevor die endgültige Entscheidung in Wien gefallen ist, hatten sich die Ereignisse in unmittelbarer Nähe des von den Österreichern kontrollierten Territoriums am Golan überschlagen: Donnerstag in der Früh greifen syrische Rebellen den Grenzposten Quneitra an, die syrische Armee zieht sich nach heftigen Gefechten aus dem einzigen direkten Übergang zwischen Israel uns Syrien zurück. Assads Arme setzt Panzer ein, das ganze Gelände wurde von heftigen Explosionen erschüttert; Brände brechen aus, schwarze Rauchwolken steigen auf und verdunkeln den Himmel: Shelter-Alarm. Die Österreicher ziehen sich in ihre Bunker zurück, kein heimischer Blauhelm wird verletzt. Zwei Undof-Soldaten tragen leichte Verletzungen davon, einer davon stammt aus den Philippinen. Der Grenzübergang Quneitra ist für die UN-Mission am Golan von allerhöchster Wichtigkeit, die Versorgung der UN-Soldaten muss hier durch. Die Versorgung der Österreicher ist gefährdet, sobald dieser Übergang dicht ist. Auch Israel reagiert umgehend: Das Gebiet um Quneitra wird zur militärischen Sperrzone erklärt, Meldungen über Truppenbewegungen sind nicht bestätigt - Augenzeugen berichten von israelischen Panzern, die sich auf die Grenze zubewegen. Es ist zwar die Linie Israels, nicht direkt in den Konflikt eingreifen zu wollen: das allerdings nur so lange "israelische Interessen nicht verletzt werden", wie Verteidigungsminister Moshe Yaalon betont. Immerhin ist der Golan von immenser strategischer Wichtigkeit: Sollten islamische Fundamentalisten hier Fuß fassen, wäre israelisches Territorium gefährdet. Im Verlauf des Tages verlieren die Rebellen aber die Kontrolle über den seit 1973 im bereits im israelisch-syrischen Kriege zerstörten Quneitra wieder, die syrische Armee kann den Übergang wieder unter ihre Kontrolle bringen.
Heeresführung am Wort
Zum für die nächsten Wochen wichtigsten Schauplatz wird das österreichische Streitkräfteführungskommando. Dieses ist grundsätzlich für einen Rückzug verantwortlich und arbeitet die dazu nötigen Pläne aus. Standardmäßig liegt für jede Mission ein Abzugsplan in der Schublade. "Bei Beginn einer Mission, so war es auch für Mali oder den Kosovo, wurde gleichzeitig mit der Entsendeweisung festgelegt, wie wir wieder hinausgehen", so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums zur "Wiener Zeitung".
Fest steht soweit, dass die österreichischen Soldaten nicht evakuiert werden, sondern den Rückzug vom Golan geordnet antreten werden. Der Abzug soll jedenfalls "so rasch wie möglich erfolgen", wie Vizekanzler Spindelegger bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kanzler Faymann und Verteidigungsminister Klug am Abend sagt. Kanzler Faymann bekräftigt: "Das Leben unserer Soldaten steht an erster Stelle". Der Rückzug der österreichischen Soldaten wird dann ab 11. Juli über Israel abgewickelt. Aufgrund der andauernden Kämpfe im syrischen Bürgerkrieg zwischen dem syrischem Militär und den Aufständischen war bereits zuvor die Standard-Route auf den Golan - über Damaskus - gemieden geworden. Erst Ende November vorigen Jahres war ein österreichischer Konvoi von 88 Soldaten auf dem Weg zum Flughafen in Damaskus beschossen worden, es gab damals vier Verletzte. Auch Verteidigungsminister Klug war bei seinem letzten Besuch am Golan Anfang Mai bereits über Israel angereist.
Einsatzwichtiges Equipment wie etwa Waffen, Munition oder Mannesausrüstung werden üblicherweise heimgebracht. Auch über das Schicksal der UN-Gerätschaften wird zu entscheiden sein - ob die Österreicher auf Ablöse durch nachfolgende Undof-Truppen warten, oder sie etwa an die UN-Mission im Libanon rückführen. Wenn die letzten dann verbliebenen Österreicher in ein paar Wochen in die Rot-Weiß-Rote Flagge einholen, geht eine fast 40-jährige Bundesheerpräsenz am Golan zu Ende.
Hintergrund: Dossier Golanhöhen