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Goma in Rebellenhand

Von WZ-Korrespondentin Simone Schlindwein

Politik

UN-Schutztruppe und Armee können | Vorstoß der M23-Rebellen nicht verhindern.


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Goma.

Einschläge von Mörsergranaten sind in der Ferne zu hören. Leichen toter Armeesoldaten liegen auf der staubigen Landstraße: Einem toten Oberstleutnant der Armee wurde die Uniform gestohlen, er liegt nur noch in Unterhose in einer Blutlache. Sein Rangabzeichen klebt auf der blutverschmierten Stirn - scheinbar haben sich die Rebellen der M23 während ihres Vorstoßes einen makaberen Scherz erlaubt.

Entsetzt bleibt eine Gruppe vor dem Kadaver stehen, eine Frau bekreuzigt sich. Die Kinder starren mit leeren Blicken auf den bereits verwesenden nackten Körper, um welchen die Fliegen schwirren. "Wer wird diese Leichen wegräumen, damit wir uns keine Krankheiten einfangen?", fragt ein Mann in die Runde. Die Leute nicken betroffen. Dann marschieren sie schweigend weiter, weg aus der Gefahrenzone, weg von den M23-Rebellen.

Seit Samstag marschieren die Aufständischen, die von aus der Armee desertierten Tutsi-Offizieren angeführt werden, kontinuierlich auf die Provinzhauptstadt Goma zu. Am Wochenende standen sie bereits vor den Toren der ostkongolesischen Millionenstadt. Am Dienstag eroberten sie schließlich Goma.

Schon seit Tagen war die sonst so geschäftige Grenzstadt wie ausgestorben. Die Menschen haben sich in ihren Häusern verkrochen. Schulen, Behörden und Geschäfte bleiben geschlossen, Autos und Motorräder können nicht fahren, weil die Tankstellen zu sind. Alle internationalen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wurden evakuiert. Frauen und Kinder fliehen immer noch zu Tausenden aus ihren Wohnvierteln, Bündel mit Habseligkeiten auf dem Kopf - ein Vorgeschmack auf jene riesige humanitäre Katastrophe, vor der die UNO im Falle einer Eroberung Gomas seit Monaten warnt. In der Stadt bleiben nur die jungen Männer: "Wir harren hier aus, damit die Soldaten nicht unsere Häuser ausrauben", sagt einer und seufzt: "Ich bin jetzt 20 Jahre alt und habe gerade mal die sechste Schulklasse abgeschlossen, weil seit meiner Geburt immer nur Krieg herrscht." Er lässt die Schultern hängen und murmelt: "Wir brauchen einfach nur Frieden."

UNO greift nicht ein

Auf der Straße zum Flughafen am nördlichen Stadtrand liegen weitere getötete Regierungssoldaten im Staub. Seit dem frühen Morgen fanden hier schwere Gefechte statt. Am Rande der Landebahn steht ein weißer UNO-Panzer. Das Panzerrohr zeigt in die Luft, immer noch bedeckt von einer Schutzhülle, damit es nicht einrostet. Ein indischer Blauhelmsoldat sieht vorsichtig aus der Luke hervor: Auf die Frage, wie die Gefechte verlaufen seien, zuckt er mit den Schultern: "Wir sind Friedenshüter, wir schießen nicht." Hinter ihm rollen drei weitere Panzer aus der UNO-Station hinaus, dann schließt sich das Tor wieder. Langsam rollen sie die Straße hinunter, in Richtung des Schlachtfelds. Eingreifen werden die rund 1400 UNO-Soldaten allerdings nicht.

Fast eine Stunde lang kämpft die vermutlich vom Nachbarland Ruanda unterstützte M23 in der Innenstadt, einige Kilometer südlich des Flughafens rund um die drei Kreisverkehre mit den Denkmälern in der Mitte, um die Kontrolle über Goma. Dann wird es still. Das Telefon summt. Eine SMS des verantwortlichen Frontkommandeurs der Armee: "Wir haben den Krieg verloren", steht darin geschrieben sowie ein trauriger Abschiedsgruß. Wenige Minuten später verstummt das Gefechtsfeuer in der Innenstadt. Die M23 marschiert die Straßen entlang, ihre Gewehre gen Himmel gestreckt und mit einem Lachen auf den erschöpften Gesichtern. Sie singen Lieder und jubeln. In kleinen Trupps sichern die Rebellen die wichtigsten Straßenkreuzungen, postieren Kämpfer mit schweren Kalaschnikows und Munitionsgürteln über den Schultern. Langsam kehrt Ruhe in der Stadt ein. Die ersten Menschen trauen sich wieder auf die bislang verwaisten Straßen. Leere Patronenhülsen liegen auf den Straßen. Leichter Nieselregen legt den Gefechtsstaub.

"Wir bringen euch Frieden"

Dann rollen Lastwagen voller M23-Kämpfer von Norden her kommend die Straße am Flughafen entlang in Richtung Stadtzentrum. Ein Militär-Pickup-Truck hält an und eine Handvoll M23-Kommandeure steigen aus. Plötzlich fangen die Menschen, die sich nach und nach am Straßenrand versammelt haben, an zu jubeln und zu klatschen. Oberst Bauduin Ngaruye, Operationskommandeur des M23-Generalstabs, grinst über beide Ohren. Die Camouflage-Mütze tief ins Gesicht gezogen, mit Pistole am Halfter, marschiert er in einer frisch gebügelten Uniform die Straße entlang, hunderte seiner Kämpfer folgen ihm zu Fuß. "Wir bringen euch jetzt endlich Frieden", verkündet er der jubelnden Bevölkerung im Vorbeigehen zu und winkt und lacht. Hinter ihm singen seine Kämpfer.

Immer mehr Menschen versammeln sich auf den Straßen, als die Parade in Richtung Grenze zu Ruanda marschiert. Der Grenzübergang ist verwaist, die Grenzbeamten sind ebenfalls geflohen. Auf der ruandischen Seite des Schlagbaums stehen hunderte Kongolesen, die vor den Gefechten ins Nachbarland geflüchtet sind. Die M23-Kommandeure winken ihnen zu. Auch M23-General Sultani Makenga ist plötzlich unter den M23-Kommandeuren. Sie stimmen erneut einen Siegessong ein. "Ihr seid jetzt alle sicher", brüllt Oberst Bauduin in die Menge, dann steigt er gemeinsam mit Makeng in den Pickup-Truck und braust davon.