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In ihrem Buch "Dogani" schrieb Gong Ji-young über Missbrauchsfälle an einer südkoreanischen Schule. Die Verfilmung sorgt für Empathie und Empörung.
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Die Schreie im Gerichtssaal waren heftig, doch niemand hörte sie. Gerade einmal eineinhalb Jahre musste der Lehrer einer Schule für Taubstumme ins Gefängnis. Gemeinsam mit drei weiteren Männern - darunter der Direktor der Schule und sein Bruder - wurde er verurteilt, weil sie in den Jahren 2000 bis 2004 mindestens acht Schülerinnen im Alter von 7 bis 22 vergewaltigt oder sexuell belästigt hatten. Nur ein zweiter der vier musste ebenfalls ins Gefängnis, die beiden anderen kamen mit einer Geldstrafe und einer Suspendierung davon. Die im Gerichtssaal anwesenden Schülerinnen waren fassungslos ob des milden Urteils und gestikulierten wild in Zeichensprache ihre Schreie der Entrüstung - umsonst.
Das war 2006. Doch der Fall ging Gong Ji-young nicht aus dem Kopf. Die 48-Jährige ist eine der gefeiertsten südkoreanischen Autorinnen und eine Vertreterin der neuen Welle weiblicher Autoren, die das literarische Establishment in Korea in den 80er und 90er Jahren überworfen haben. Den ersten Durchbruch bescherte Gong die Studentenbewegung Ende der 80er. Nach Beteiligung an Protesten landete sie im Gefängnis; die Erlebnisse dort fasste sie 1988 in der Kurzgeschichte "Morgengrauen" zusammen.
Als die Mutter von drei Kindern von den Ereignissen an der Schule erfuhr, begann sie sich eingehend mit dem Fall zu beschäftigen. Sie recherchierte, interviewte und schrieb schließlich einen erschütternden wie bewegenden Roman über die Ereignisse. Das Buch erschien 2009. Ein Jahr später wurde das Werk verfilmt und gelangte vor einem Monat in die südkoreanischen Kinos. "Dogani", auf Englisch unter dem Titel "The Crucible" veröffentlicht ("Der Tiegel", aber auch "Die Feuerprobe"), riss die Zuseher mit. Obwohl es sich um einen Low-Budget-Film handelt, der zudem erst ab 18 freigegeben ist, haben ihn bereits 4,4 Millionen Koreaner gesehen - fast ein Zehntel der Bevölkerung.
Zeitungen widmeten ihre Aufmacher und Themenseiten der Forderung nach härteren Strafen für Sexualverbrecher. Auch Präsident Lee Myung-bak sah den Film und versprach, in der Angelegenheit umgehend etwas zu unternehmen.
Sexuelle Straftaten sind in Südkorea nämlich keine Offizialdelikte und werden grundsätzlich nur dann verfolgt, wenn das Opfer Klage einbringt. In vielen Fällen kommt es - nach entsprechenden finanziellen Angeboten - zu einer außergerichtlichen Einigung.
Das wurde diese Woche geändert. Einem neuen Gesetz zufolge müssen jetzt alle Sexualverbrechen vom Staatsanwalt verfolgt werden, sofern die mutmaßlichen Opfer 18 Jahre alt oder jünger sind. Eine weitere Änderung ist in Planung, die dies auf körperlich oder geistig behinderte Menschen ausdehnt. Ein Erfolg, der nicht zuletzt Gong Ji-young zuzurechnen ist.