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Laut neuesten Umfragen stehen die Chancen auf einen EU-Austritt Großbritanniens gut.
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London. EU-Bürger und Bürger der Schweiz und Norwegens sollen sich im Falle eines Brexit nicht länger frei im Vereinigten Königreich ansiedeln und dort nach Belieben arbeiten oder studieren dürfen. Das haben die Befürworter eines britischen EU-Austritts jetzt ihren Landsleuten gelobt.
Stattdessen sollen sich Studenten und andere Zureisewillige aus kontinentaleuropäischen Ländern einem Punktesystem unterwerfen müssen, das sie nach persönlicher Eignung und guten Englischkenntnissen einstufen würde - einem System, wie es schon jetzt auf der Insel gegenüber Personen aus Nicht-EU-Ländern angewendet wird. Den Punkteplan verkündeten - drei Wochen vor dem britischen EU-Referendum des 23.Juni - prominente Anhänger des Brexit wie der Londoner Ex-Bürgermeister Boris Johnson und der britische Justizminister Michael Gove. Das Aufnahmesystem nach australischem Vorbild würde praktisch eine bürokratische Mauer mit scharf kontrollierten Zugangs-Toren rund um die Britischen Inseln ziehen.
Dass die EU-Gegner Erfolg haben, ist letzten Umfragen zufolge keineswegs ausgeschlossen. Eine vom "Daily Telegraph" veröffentlichte ORB-Umfrage verzeichnet einen deutlichen Aufschwung der Zahl der Austritts-Befürworter, mit einem Anteil knapp an der 50-Prozent-Marke. Eine YouGov-Umfrage in der "Times" sieht beide Lager genau Kopf an Kopf. Und in zwei separaten Umfragen des ICM-Instituts für den "Guardian" hat das Anti-EU-Lager sogar schon 52 Prozent erreicht.
Kernfrage Einwanderung
Diese Befunde deuten auf zunehmende Sympathien für einen britischen EU-Austritt hin. Immerhin führten Mitte Mai die EU-Anhänger laut ICM noch klar mit 55 zu 45 Prozent. Die britischen Wettbüros glauben zwar noch immer an einen Sieg des Pro-EU-Lagers, räumen einem Brexit seit dem Wochenende aber wesentlich bessere Chancen ein.
Experten vermuten, dass die jüngste Entwicklung vor allem mit dem beherrschenden Thema der letzten Tage, der Einwanderungsfrage, zu tun hat. Vorige Woche überraschte das Statistische Amt die Briten mit der Nachricht, dass die Netto-Zuwanderung nach Großbritannien noch immer stark am Steigen ist und im Vorjahr allein für den EU-Bereich 184.000 Personen betragen hat. Premierminister David Cameron habe sein Ziel einer Reduktion dieses Zuzugs auf wenige zehntausend total verfehlt, klagen Johnson und Gove. Nur ein Austritt aus der EU könne das Problem letztlich lösen - zumal schon mit einer gewaltigen neuen Migrationswelle "nach einem EU-Beitritt Serbiens, Albaniens, Mazedoniens, Montenegros und der Türkei" zu rechnen sei.
Im Anschluss an diese Warnung gab es am Wochenende erhebliche Aufregung darüber, dass neuerdings kleine Boote mit Migranten vom Kontinent her Kurs auf England nehmen, die Grenzpolizei aber nur über vier Kutter verfügt, die eine 12.000 Kilometer lange Küste "absichern" sollen.
Inzwischen ist das Innenministerium scharf dafür kritisiert worden, dass es der Grenzpolizei im Vorjahr aus Spargründen ein Überwachungsflugzeug strich und dass acht zusätzlich angekündigte Patrouillenboote für den Grenzschutz erst 2017 zur Verfügung stehen werden.
Eine der Umfragen hat in diesem Zusammenhang ergeben, dass praktisch die Hälfte aller Briten glaubt, ein EU-Austritt würde ihnen "mehr Kontrolle über unser Leben" verschaffen. Genau das haben Boris Johnson und Michael Gove versprochen, die das Brexit-Camp anführen.
Keine Niederlassungsfreiheit
Bei einem Votum auf EU-Austritt am 23. Juni, erklären beide Politiker, müsse "das automatische Recht von EU-Bürgern, ins Vereinigte Königreich zu ziehen und dort zu arbeiten, ein Ende finden". Ausgenommen sein sollen von dieser Neuerung bereits in Großbritannien angesiedelte Personen sowie irische Staatsbürger, die traditionell besondere Rechte im Königreich genießen.
Alle anderen europäischen "Wirtschaftsmigranten" sowie Studenten aus der EU sollen hingegen eine besondere Eignung und gute Englischkenntnisse nachweisen müssen, bevor sie sich in einem "unabhängigen Britannien" niederlassen können. Sie hätten sich zu bewerben, bevor sie eine Einreisegenehmigung erhielten.