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"Wiener Zeitung": Herr Elsberg, laut Facebook hören Sie gerne die Band Clamant Garden, mögen den Film "Harry & Sally" und haben "Zwischenzeit" von Heinz Stephan Tesarik gelesen. Ich hätte eher erwartet, dass der Autor von "Zero" Facebook aus Prinzip meidet . . .
Marc Elsberg: Naja, ich verwende es primär als Promotion-Werkzeug für mein Buch. Ich bin da vor etwa fünf Jahren eingestiegen und habe es eine Zeit lang sehr intensiv genutzt, aber meine privaten Aktivitäten vor zwei Jahren weitgehend eingestellt. Aber klar, solange ich dort bin, können die alles abgreifen, was ich dort tue - und noch mehr. Es gibt aber natürlich Dinge, die man verbergen und über die man sich Gedanken machen müsste. Der Punkt ist, dass ich auf Facebook bewusst Dinge veröffentliche. Jeder ist heute sein eigener Fernsehsender, seine eigene Zeitung, sein eigenes Medium. Was aber nicht okay ist: Im Hintergrund wird ein Haufen anderer Daten - Metadaten - abgeschöpft, akkumuliert und aggregiert, ohne dass mir gesagt wird, was damit geschieht.
Aber das sind alles Daten, die Sie selbst eingegeben haben . . .
Zwangsläufig, aber nicht unbedingt bewusst. Da wird auch mein ganzes Surfverhalten getrackt. Dass das jemand verfolgt, ist so, als liefe mir ständig jemand nach.
Also kann es auf Facebook gar keine echte Privatsphäre geben.
Es ist eine Illusion von Privatsphäre, die hier geschaffen wurde, weil ich zwar bestimmen kann, mit wem ich Bilder oder Posts teile, aber auf der anderen Seite Facebook trotzdem alle meine Daten abgräbt. Es wurden zwar jetzt wieder einmal verbesserte Privatsphären-Einstellungen angekündigt, aber immer nur im Kontakt der User untereinander und nicht darüber, was Facebook mit den Daten macht.
Ist Google noch schlimmer?
Google ist von anderen Aspekten her mindestens genauso interessant, wenn nicht noch mehr, weil auch dieses Unternehmen Möglichkeiten hat, Daten über einen zu sammeln - schon länger als Facebook -, um sehr genau zu wissen, wer wir sind und was wir tun werden. Google ist ja längst nicht mehr nur eine Suchmaschine, da gehören ja auch YouTube, Bilderdienste, Roboterproduzenten, Google-Glass, bald vielleicht das selbstfahrende Auto und noch etliches andere dazu. Google erfasst mittlerweile unser ganzes Leben, und wir werden sicher in absehbarer Zeit auch eine Art Google-Bank erleben. Zahlungsmöglichkeiten gehören zu den allerwichtigsten Funktionen in unserer Gesellschaft. Und auch da werden alle unsere Daten hineinfließen. Es findet eine Machtverschiebung vom Einzelnen hin zum Konzern statt.
Der EuGH hat jüngst Google dazu verurteilt, veraltete Userdaten zu "vergessen" - ist das reine Symbolik oder kann es im Internet tatsächlich richtigen Datenschutz geben?
Es ist deswegen ein wichtiger Schritt, weil einmal klargemacht wurde, dass der Gesetzgeber etwas tun kann, was er bisher versäumt hat. Beziehungsweise, dass es ja sogar bestehende Gesetze gibt, die nur exekutiert werden müssten. Wir brauchen für diese neuen Technologien aber sicher auch neue Gesetze. Im Operativen halte ich das Google-Urteil für einen Tropfen auf den heißen Stein, aber als Symbol finde ich es schon ganz interessant. Man braucht vor allem eine vernünftige breite Debatte, in welche Richtung es gehen muss.
In einer perfekten Welt müsste man eigentlich jedes Mal um Erlaubnis gefragt werden, ob Daten abgefragt werden dürfen und in welcher Weise sie weiterverwendet werden, oder?
Das würde auch sehr viel behindern, wenn ich etwa Unternehmen zwinge, jedes Mal von eventuell Millionen Usern eine Bestätigung einzuholen. Man darf nicht vergessen, dass diese Technologien auch sehr viel Positives ermöglichen. Die Frage ist, wie wir zu den positiven Aspekten kommen, ohne gleichzeitig zu viele negative mitzukaufen. Leute wie Juli Zeh, Viktor Mayer-Schönberger und diverse andere schlagen unter anderem etwa eine Art Daten-TÜV vor. Es gibt auch viele andere Ansätze. Momentan überwiegt noch das Problem der Machtverschiebung und der Demokratiegefährdung, indem sich eben das Wissen über Milliarden Menschen in den Händen weniger zentriert, und Wissen ist nun einmal Macht. Aber es gibt genug Beispiele dafür, dass diese Technologien auch sehr viel Positives befördern, und das sollte man nicht vergessen.
Ein weiteres Problem ist, dass zwar viele User das Risiko kennen, aber nicht damit rechnen, selbst betroffen zu sein, wenn sie wo ihre Daten hergeben.
Sie wissen nicht um die wirklichen Gefahren. Sie wissen, dass ihre Bank- oder Kreditkartendaten gestohlen werden können, sie wissen, dass sie durchleuchtet werden, und dass es auch einmal dumm ausgehen kann, wenn sie versehentlich ins Visier irgendwelcher Behörden geraten, wie das nach 9/11 bei einigen der Fall war. Aber die größeren Gefahren, nämlich die Erodierung des Gesellschaftssystems, der demokratischen Rechte, sind den meisten nicht bewusst. Und kaum ein Mensch weiß, was wissenschaftlich durch Studien und Experimente erwiesen ist, dass Überwachung krank, gemein, und dumm, unsicher und noch anderes Schlechtes macht - wüssten die Leute das, würden sie vielleicht ein bisschen anders reagieren.
Aber Überwachung bringt doch auch Sicherheit.

Das Sicherheitsargument ist absurd, das zeigen ebenfalls Studien. Zur unmittelbaren Verhinderung von Verbrechen bringt Überwachung wenig bis nichts. Wenn etwa jemand ein Geschäft überfallen will, hält ihn auch eine Kamera nicht davon ab. Bei der nachträglichen Aufklärung kann sie schon hilfreich sein. Es gilt abzuwägen, welches Recht mehr gilt: das des Einzelnen, unbeobachtet zu sein, oder die Sicherheit der Gesellschaft. Vor allem macht Überwachung konform. Menschen, die wissen, dass sie überwacht werden, benehmen sich konform. Insofern kann sie zur Sicherheit beitragen, falls Konformität Sicherheit fördert. Die Frage ist halt, zu welchem Preis. Konformität und Anpassung führen zu Verkrustung und Stillstand, sie sind der Feind jeglicher Kreativität, Neuerung und damit Verbesserung der Umstände.
Gleichzeitig wird die Überwachung immer intelligenter.
Die Technik ist inzwischen oft intelligenter als wir. Wobei "intelligent" nicht ganz der richtige Ausdruck dafür ist. Aber es gibt inzwischen etwa Programme, die gar kein Gesicht mehr brauchen, sondern allein anhand des Bewegungsmusters eine Person identifizieren können. Oder ein anderes Beispiel: In einer Studie des MIT wurde herausgefunden, dass man anhand des Handys herausfinden kann, ob jemand krank wird. Im Vorfeld einer Grippe etwa verhält man sich unbewusst anders . . . Oder es gibt die Geschichte mit den Bewährungsgerichten in den USA: Da werden Häftlinge gar nicht erst vor den Bewährungsrichter gelassen, weil ein Programm errechnet hat, dass eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit besteht.
Verlassen wir uns schon zu sehr auf Technik?
Das ist die andere Frage. Es gibt nämlich auch eine Studie, die besagt, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Blutzuckerspiegel und der Urteilsfindung von Bewährungsrichtern gibt: Nach dem Frühstück winken sie einen mit hoher Wahrscheinlichkeit durch, während kurz vor dem Mittagessen die Wahrscheinlichkeit praktisch Null beträgt. Was ist also gerechter? Der vom Hunger beeinflusste Mensch oder der Algorithmus, der 30 von 100 unschuldig abweist? Darüber brauchen wir Debatten.
Google kommt auch in Ihrem neuen fiktiven Thriller "Zero" vor. Manche Szenen darin wirken doch sehr futuristisch.
Praktisch alles könnte schon heute so passieren, mit einer Ausnahme: In "Zero" gibt es sogenannte Act-Apps, die einem helfen, durchs Leben zu kommen. Das kennen wir schon vom Navigationssystem im Auto, zum Teil bei Fitnessprogrammen oder Ernährung, aber noch nicht in dieser elaborierten Form wie in "Zero". Da gibt es zum Beispiel eine Dating-App, bei der eine Stimme im Ohr während des Rendezvous ständig gute Tipps gibt. Aber es ist nicht mehr weit dorthin.
Es ist aber nicht alles schlecht.
Überhaupt nicht. Man darf nie vergessen, dass wir das ganze Zeug ja deswegen verwenden, weil es uns das Leben in vielen Bereichen einfacher und angenehmer macht. Ich bin überhaupt kein Maschinenstürmer. Ich bin selbst abhängig von meinem iPad, meinem Handy, meinem Computer, ich werde nervös, wenn ich irgendwo eine Stunde nicht ins Internet komme. Die Frage ist halt, wer in diesem Gefüge letztlich die Macht und den Einfluss hat.
Gibt es nicht irgendwann ohnehin so viele Daten, dass man als Einzelner gar keine Angst mehr haben muss, weil sie niemand mehr sichten kann?
Der einzelne Österreicher muss wahrscheinlich weniger Angst haben, dass ihn die NSA aufgrund irgendwelcher gesammelten Daten einkassiert und in ein Foltergefängnis im Osten steckt, wie es Menschen nach 9/11 sehr wohl passiert ist. Obwohl Fälle auch wie jener des deutschen Sozialwissenschaftlers Andrej Holm, der unschuldig wegen Terrorismusverdachts verhaftet wurde, weiterhin vorkommen und dramatisch genug sind. Aber es sind eher die gesellschaftlichen Auswirkungen, die auch auf jeden Einzelnen zurückwirken. Es ist halt immer alles sehr abstrakt, das ist das Problem. Es ist den Leuten so lange wurscht, bis sie plötzlich selbst betroffen sind.
Aber wenn etwa der Supermarkt weiß, was ich wann einkaufe, tut mir das selbst nicht weh.
Jein. Es kommt aufs Datenmanagement an. Das Interessante ist ja, dass er nicht nur weiß, was ich gerade tue, sondern dass er auch daraus schließen kann, was ich tun werde. Da gibt es das bekannte Beispiel der US-Kaufhauskette Target, die anhand der Kundenkartendaten ganz klare Einkaufsmuster von Schwangeren herausgefunden hat und sogar das Geburtsdatum vorhersagen kann. Da hat eine offensichtlich schwangere Kundin gezielt Werbung und Coupons für Schwangerschafts- und Babyprodukte bekommen - nur hatte ihr Vater bis dahin nichts von der Schwangerschaft gewusst, das hat in den USA für böse Schlagzeilen gesorgt.
Wie viele Kundenkarten haben Sie?
Keine mehr in Verwendung. Ich hatte früher einige, aber nach der Arbeit an "Zero" habe ich sie erst einmal weggelegt. Mir ist aber selbst bewusst, dass das eher ein symbolischer Akt ist.
Und wie viele Apps nutzen Sie?
(Zählt nach . . .) Rund 80 Apps, inklusive Kalender und Kontakte. Klar, die meisten werden im Hintergrund schon Daten absaugen.
Also selbst Sie geben Daten her.
Wenn ich am modernen Leben teilnehmen will, kann ich mich dem nicht entziehen. Was soll ich machen? Soll ich jetzt plötzlich nicht telefonieren und offline bleiben? Kundenkarten verwende ich nicht mehr, Geld hebe ich nur noch am Schalter ab, aber selbst das wird registriert, zumindest von der Bank.
Hoffentlich.
Stimmt. Ich hatte sogar den Fall, dass mich meine Bank mitten in der Nacht informiert hat, dass meine Kreditkarte gesperrt wurde, weil jemand in der Karibik die Nummer eingegeben hatte, aber gleichzeitig anhand meiner Daten offensichtlich war, dass ich nicht dorthin geflogen war. Die Sache hat also zwei Seiten. Und man braucht sich auch nicht der Illusion hinzugeben, dass man nicht auffällt, wenn man - im Unterschied zu allen anderen - keine dieser Technologien, Karten etc. verwendet. Ich nenne das den Mineralwassereffekt: Im Wasser fallen nicht die vielen Tropfen auf, sondern die einzelnen Luftblasen.
Viktor Mayer-Schönberger fordert Dateien mit Verfallsdatum, um nicht irgendwann unter der Datenflut begraben zu werden. Teilen Sie diese Meinung?
Darüber kann man nachdenken. Automatisches Vergessen kann man fordern. Aber es ist halt wie beim menschlichen Gedächtnis: Die Gefahr besteht, dass man genau das vergisst, was man später wieder brauchen wird. Die Frage ist, was den höheren Preis fordert: das Vergessen von wichtigen Daten oder das gesammelte Nichtvergessen, das auch nach Jahrzehnten auf einen zurückfallen kann, mit gravierenden Folgen.
Muss man als Autor, der über Google & Co schreibt, aufpassen, mit wem man sich anlegt?
Die juckt ein österreichischer Autor, und selbst wenn er Bestseller schreibt, nicht wirklich. Da brauche ich mir, glaube ich, keine Sorgen zu machen. Ich möchte auch nicht unterstellen, dass diese Firmen per se Böses wollen. Die haben einfach ein Geschäftsmodell. Wenn sie irgendwann bemerken, dass es in großen Teilen ihrer Kundschaft große Widerstände gibt, werden sie ihr Geschäftsmodell ändern. Das wäre auch die große Chance der Nutzer: ein faireres Geschäftsmodell zu fordern - und entsprechend zu handeln. Wenn Google in den vergangenen 15 Jahren eines gezeigt hat, dann dass es relativ flexibel ist und sehr viel ausprobieren kann. Ich will Google gar nicht als den großen Teufel hinstellen. Es folgt den Gesetzen der Marktwirtschaft, den Regeln des Geldverdienens, und das macht es verdammt gut. Dort sitzen auch Leute, die sich Alternativszenarien überlegen. Man wird halt sehen, ob sie dann flexibel genug sind, sie umzusetzen, denn Google ist halt mittlerweile auch schon ein ziemlicher Tanker. Aber wenn es nicht Google ist, wird es wer anderer sein. Wer kennt heute noch den einstigen Internet-Riesen AOL?
Zur Person
Marc Elsberg, der eigentlich Marcus Rafelsberger heißt, wurde 1967 in Wien geboren. Nach einem Industriedesign-Studium arbeitete er als Strategieberater und Kreativdirektor in der Werbebranche in Österreich und Deutschland. Im Jahr 2000 veröffentlichte er sein erstes Buch, den satirischen Roman "Saubermann" über ein herabgewirtschaftetes Waschmittel. Es folgten der Werbeagentur-Krimi "Das Prinzip Terz" sowie "Menschenteufel" und "Wienerherz". Zu einem Bestseller wurde sein Thriller "Blackout - Morgen ist es zu spät" (erstmals als Marc Elsberg), in dem er das Szenario eines flächendeckenden Zusammenbruchs der Stromversorgung und dessen Folgen entwirft.
In seinem soeben erschienenen Thriller "Zero - Sie wissen, was du tust" (Verlag Blanvalet, 20,60 Euro; auch als Hörbuch) widmet sich Elsberg dem Thema Datenschutz: Der Tod eines Burschen bei einer Verfolgungsjagd führt eine Journalistin zu einer beliebten Internetplattform, die Daten sammelt und analysiert - und damit viel Macht anhäuft. Es ist zwar bewusst kein Sachbuch, sondern ein fiktiver Roman, die Parallelen zur realen Online-Gesellschaft sind aber überdeutlich.