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Gott in die Verfassung?

Von Manfred Welan*

Wirtschaft

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Der Präsident des österreichischen Nationalrats Andreas Khol brachte Anfang dieses Jahres nicht nur die Frage der Verfassung, sondern auch ihren Bezug auf Gott in die Diskussion ein. In einem Interview in der "Wiener Kirchenzeitung" vom 26. Jänner 2003 führte er auf die Frage "Soll die österreichische Verfassung eine Präambel mit Gottesbezug enthalten?" unter anderem aus: "Es entspricht nicht der österreichischen Verfassungstradition, Präambeln dem Gesetzestext voranzustellen. Sollte man davon abgehen, so gehört sicher das religiöse Erbe unseres Landes erwähnt."

Der zweite Präsident des Nationalrates Heinz Fischer hat vor kurzem in der Pressestunde einen Bezug auf Gott in der Verfassung abgelehnt.

Befürworter meinen, dass das höchste Absolute seit alters "Gott" ist. Es sei daher zweckmäßig den Begriff gerade heute in die Verfassung zu übernehmen. Verfassung könne sich nicht damit begnügen, Ordnungsprinzipien vor allem unter pragmatischen Aspekten festzulegen. Jeder Verfassungstext steht in einem bestimmten geschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext. Jeder Verfassungstext entsteht auch in einem solchen. Wir haben nicht die schweizerische Tradition der Bezugnahme des Volkes auf Gott, die bis ins 13. Jh. zurückgeht. Bei uns haben sich Herrscher auf Gott berufen, um das Volk zu beherrschen. Unsere Konstitution kommt von der Revolution 1848, ihr Verfassungsbegriff fußt in der Souveränität des Volkes. Sie ist Legitimationsquelle des positiven Rechts.

Die Tradition der Revolution und die der Konstitution sprechen gegen die Aufnahme von Gott in die Verfassung oder in eine Präambel dazu.

Unsere Verfassung ist laizistisch-säkular. Transzendente Bezüge widerstreiten diesem Verfassungsbegriff. Der Staat hat eine Neutralitätspflicht.

Auch eine religionsgruppenunspezifische Bezugnahme auf Gott stärkt faktisch die je vorherrschenden Religionsgemeinschaften, vor allem die stärkste. Das kann zur Benachteiligung religiöser, vor allem aber säkularer und atheistischer Gruppen führen.

Die Verfassung verschaffte sich durch die Berufung auf Gott eine Rechtfertigung, die ihr nicht zusteht. Durch die Aufnahme würde sich die Verfassung selbst eine Legitimation vor Gott geben. Andererseits kann dieser Bezug zur Indienstnahme Gottes führen. Religion und Gott können für politische Zwecke eingesetzt werden.

"Gott" in der Verfassung würde dem verfassungs- und demokratiepolitischen Diskurs einen "Fixpunkt" vorgeben. Das widerspricht dem Begriff der Verfassung der Freiheit einer offenen Gesellschaft.

Verfassungsrecht sollte Grenzen wahren. Unbestimmte Wertbegriffe entgrenzen es. Das gilt schon längst für die immer mehr werdenden unbestimmten Staatszielbestimmungen und erst recht für einen Gottesbezug.

Da eine übereinstimmende Haltung zum Gottesbegriff, zum Inhalt von Religion oder auch eines "geistig-religiösen Erbes" kaum je bestehen wird, hat die Aufnahme einer solchen Formel ungewisse Folgen, insbesondere auf Rechtsetzung und -sprechung.

In der jüngsten und modernsten Verfassung Europas - sie ist mit dem 21. Jh. ins Leben getreten -, in der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, beginnt die Präambel: "Im Namen Gottes des Allmächtigen!" Diese invocatio Dei ist eine schweizerische Tradition. Sie findet sich schon im 1291 geschlossenen Bund der drei Waldstätten Uri, Schwyz und Unterwalden in den Worten "In nomine Domini. Amen!" Nach Unterbrechungen beginnt der Bundesvertrag 1815 "Im Namen Gottes, des Allmächtigen!" Seit 1848 findet sich diese Bezugnahme in Verfassungen der Schweiz. Diese Tradition ist in ihrer Kontinuität einmalig.

Österreich hat diese Tradition nicht. Abgesehen davon, dass die Führung der Signatur "von Gottes Gnaden" Ausdruck der Legitimation des Kaisers war, der bis 1918 laut Verfassung "geheiligt, unverletzlich und unverantwortlich" war, war in der eigentlichen Verfassung kein Gottesbezug. Unsere derzeitige Verfassung enthält aus verschiedenen Gründen auch keine Präambel. Sie beginnt mit Art 1: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." Der Sinn des Art 1 ist im übrigen nach den jüngsten Kommentaren von Oberndorfer und Rill nicht deskriptiv, sondern normativ. Er hat rechtliche Bedeutung und Konsequenz. Er hat aber auch politische Bedeutung. Schließlich gehört er zur Schauseite unserer Verfassung. Im übrigen stellt er außer Streit, dass nur das Recht der Republik Österreich vom Volk ausgeht; anderes Recht, insbesondere Naturrecht wird damit nicht angesprochen. Es blieb der ständisch-autoritären Verfassung 1934 vorbehalten, sich im Proömium auf Gott zu berufen. Es lautete: "Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk für seinen christlichen, deutschen Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Verfassung."

Der Unterschied zum B-VG ist klar: Hier wurde Gott als Quelle allen Rechts, also auch des staatlichen österreichischen Rechts, angeführt. In der auf der ganzen Welt einmaligen Formulierung Hans Kelsens des Art 1 B-VG zeigt sich in der Beschränkung auch der Meister. Vielleicht wird deshalb Art 1 B-VG so oft falsch wiedergegeben.

* Univ.-Prof. Dr. Manfred Welan lehr als Verfassungsrechtler an der BOKU Wien. Gott in der Verfassung hat Welan ein ganzes Buch gewidmet, das er gemeinsam mit Alfred J. Noll verfasst hat.

Noll, Welan: Gott in die Verfassung?, czernin Verlag 2003, 112 S., 15 Euro; ISBN 3-7076-0160-9