Zum Hauptinhalt springen

Gottesstaaten überall

Von Ingrid Thurner

Gastkommentare

Was hat Gott mit den Kriminellen zu tun, die unter Missbrauch der Religion in mehreren Ländern Terror verbreiten?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In jüngster Zeit werden in deutschsprachigen Medien eine Unzahl von Gottesstaaten heraufbeschworen, wenn nicht herbeigebetet. Es besteht allerdings wenig Aussicht, dass Gott demnächst im Irak, in Syrien, in Mali, in Nigeria, in Afghanistan, in Somalia oder sonst irgendwo regiert, denn diese Hoffnung beruht vorläufig nur auf der Tatsache, dass gut organisierte Verbrecherbanden sich beim Morden, Plündern und Brandschatzen auf die Religion berufen.

Es gibt keinen Gottesstaat. So sehr sich eine Verfassung auf Gott berufen mag, so sehr ein Herrscher göttliche Abkunft reklamieren oder ein Gottesgnadentum behaupten mag, es sind immer bloß Menschen, die agieren und regieren. Allenfalls ein Theologenstaat wäre denkbar, wie er im Iran mit seinem macht- und einflussreichen Klerus ansatzweise verwirklicht ist.

Davon ist anderswo nichts zu sehen. Die Allianzen, die im Irak geschmiedet werden, sind von der eher unheiligen Art. Es sind temporäre Zweckbündnisse, wenn Kämpfer, die beim Schießen das Wort "Gott" im Mund führen, gemeinsame Sache machen mit Militärs, die seinerzeit gemeinsam mit Saddam Hussein abgehalftert wurden und nun Morgenluft zu schnuppern meinen. Einen solchen Pakt ideologischer Widersprüche vermag nur ein gemeinsamer Feind zeitweise aufrechtzuerhalten.

Aber diese Terrortruppen, die mit schwarzen Fahnen und schweren Waffen Stadt um Stadt erobern, haben nur beschränkt Rückhalt in der Bevölkerung, viele Orte, in denen sie einfielen, wurden panikartig verlassen. Und die Flüchtlingskolonnen, die den Nahen Osten durchziehen, werden länger und länger.

IS, Isis, Schabab, Boko Haram, Al-Kaida im Maghreb, Ansar Din und wie immer sie sich nennen mögen, finden bei den allermeisten Angehörigen des Islam keinen Anklang, überall auf der Welt wenden sich Klerus und Gläubige mit Abscheu von ihnen ab und wollen mit den selbsternannten Kalifatserrichtern, Kindesentführern und Geiselnehmern nichts zu tun haben.

Nachdem aber diese Kriminellen als "Gotteskrieger" durch die Medien geistern, werden zugleich all die vielen frommen Muslime und Musliminnen diskriminiert, die sich in ausschließlich friedlicher Weise auf den Islam berufen, wie es ihnen die heiligen Schriften befehlen.

Ägypten, Saudi-Arabien und einige der Golfstaaten fürchten freilich die Muslimbrüder mehr als Terroristen. Denn der gewaltlose politische Islam, den die Muslimbrüder vertreten, hat eine breite Basis in den Mittelschichten, aber die überall Angst und Schrecken verbreitenden Terroristen werden von den Bevölkerungen vielerorts als fremde Eindringlinge gehasst.

Und dass einige der ölreichen Länder am Golf so manchen Terror auf verschlungenen Wegen munitionieren, lenkt wunderbar ab von allen möglichen Missständen, von schwach oder gar nicht legitimierten Machtpositionen und von autokratischen Herrschaftsstrukturen. Europa und die USA sind wie immer mitten drin im Geschehen, verbündet und befreundet mit den Geschäftspartnern Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Zu moralischer Entrüstung in politischen Sonntagsreden besteht kein Anlass, und mit Gott haben all diese Machenschaften gar nichts zu tun.

Ingrid Thurner ist Ethnologin, Lehrbeauftragte am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien und Mitglied der Initiative Teilnehmende Medienbeobachtung (univie.ac.at/tmb).