Jüdische Tote müssen schnell begraben werden. | Schwarze Kleidung ist nicht vorgesehen.
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Wien. Wiener Zentralfriedhof, viertes Tor. Es ist kein allzu warmer Freitag im Sommer, hie und da geht ein kleiner Schauer hernieder. Avraham Pollak, Leiter des Friedhofsamts der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, ist nicht im Stress: Es steht kein Begräbnis an und bald wird der Schabbat beginnen. Dann schließt der Friedhof seine Pforten, dann sind auch keine Touristengruppen auf dem Gelände unterwegs.
Am ersten Tor des Zentralfriedhofs sind 77.000 Menschen in etwa 45.000 Gräbern bestattet. Hier finden nur mehr selten Begräbnisse statt, nur dann, wenn es um ein Ehrengrab geht. 1916 wurde das Areal am vierten Tor eröffnet, das inzwischen letzte Ruhestätte für rund 58.000 Tote in 47.000 Gräbern ist. 80 Begräbnisse gibt es jährlich, erzählt Pollak. Heuer waren es bis jetzt erst 30.
Jüdische Gräber werden für die Ewigkeit angelegt. Der Tod stelle zwar eine Trennung von Körper und Seele dar, erklärt Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister, „das heißt aber keinesfalls, dass der Körper des Verstorbenen dadurch bedeutungslos geworden wäre. Ein besonderer Aspekt der Seele bleibt für immer an den Körper, auch nach dessen biologischer Zersetzung, also an die Stelle des Grabes des Verstorbenen gebunden. Aus diesem Grund werden jüdische Gräber auch niemals aufgelöst, und ein jüdisches Grab verliert auch niemals seine Funktion und Bedeutung als Ruhestätte des Verstorbenen.”
Stirbt ein Jude, gilt: Der Leichnam soll so rasch als möglich begraben werden, also idealerweise am selben, sonst am darauffolgenden Tag. Nur während der Schabbatruhe finden keine Begräbnisse statt. Es wird versucht, Obduktionen zu vermeiden, um den Körper nicht zu beschädigen. Sind sie aber notwendig, wissen die Spitäler um die Eile und ziehen diese Leichname vor, erzählt Pollak. Vor der Beisetzung werden die Körper der Toten gewaschen (Tahara) und in Tachrichim gekleidet. Das sind weiße Gewänder aus Leinen oder Baumwolle.
Aufgrund der Eile bleibt keine Zeit, Parten zu verschicken. Verwandte, Bekannte, Freunde werden heute in Telefonketten, per SMS und Mail vom Ableben eines Menschen informiert und wer Kenntnis davon erhält, dass jemand zu Grabe getragen wird, erfüllt eine Mitzwa, also eine gute Tat, wenn er zum Begräbnis kommt. Das Tragen von schwarzer Kleidung ist hier nicht erforderlich und auch Blumen werden zu einem jüdischen Begräbnis traditionellerweise nicht mitgebracht.
Hier ist in den vergangenen Jahren aber auch immer wieder anderes zu beobachten: Zuwandererfamilien aus der ehemaligen Sowjetunion bringen manchmal Blumen oder auch eine große Fotografie des oder der Toten zum Begräbnis mit, erzählt Pollak. Und auch auf so manchem Grab finden sich nun Blumenbeete wie sonst bei christlichen Gräbern üblich.
Warum liegen Steine dabei?
Häufiger sieht man, wenn man durch die Gräberreihen schlendert, allerdings Steine auf den Gräbern liegen. Warum sich diese Tradition eingebürgert habe, dafür gebe es keine Quelle, so Rabbiner Hofmeister. „Das ist um zu zeigen, ich war da”, meint Pollak. „Ein bisschen so wie eine Steinstellung.”
Diese findet ein Jahr nach der Beisetzung statt. In diesem ersten Jahr ist es auch nicht üblich, das Grab zu oft zu besuchen, denn in der jüdischen Tradition dient der Grabbesuch nicht der Trauerbewältigung, „man sollte die dort Begrabenen also nicht mit seiner Trauer belasten”, so Hofmeister. Die einjährige Trauerzeit beginnt mit der einwöchigen Schiwe, die zu Hause verbracht wird und bei der meist auch Familie und Freunde zu Besuch kommen. Die Schiwe dient vor allem dazu, sich der Trauer zu stellen und diese nicht zu verdrängen.
Es folgt der Trauermonat und dann eben die restlichen elf Monate. Beim Synagogenbesuch wird das Kaddisch gebetet, das öfters fälschlicherweise als Totengebet bezeichnet wird, aber eigentlich „eine Art Glaubensbekenntnis zur Gerechtigkeit Gottes ist und dem Sinn des Lebens, der von ihm ausgeht”, betont der Rabbiner.