Reportage: Die Flucht nach Europa endet auf einem griechischen Friedhof. | Mytilini. (afp) Rahim Sarvaris Grab auf dem Friedhof von Mytilini trägt keinen Namen. Nur die Nummer 1 und 21.10.2006 sind auf einem kleinen Stück Marmor zu lesen. Der 30-jährige Afghane ertrank im Oktober vergangenen Jahres im Ägäischen Meer. Mit anderen Flüchtlingen hatte er versucht, von der Türkei aus in die Europäische Union zu gelangen. Ihr Boot sank vor der griechischen Insel Lesbos. Nun ruht Sarvaris Leichnam auf einem Friedhof außerhalb der Inselhauptstadt Mytilini. In einer verlassenen Ecke, weit ab von den Gräbern der griechischen Inselbewohner.
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Rahim Sarvari gehört zu den wenigen Flüchtlingen, deren Identität geklärt werden konnte. "Sarvaris Leichnam wurde von seiner Familie identifiziert", sagt Vassiliki Douka, Bestattungsunternehmerin in Mytilini. "Sie konnten ihn wegen bürokratischer Hürden nicht in ihr Heimatland überführen lassen." Zwischen 3000 und 5000 Euro kostet eine Überführung. Seit 2003 konnten sich das nur die Angehörigen von zwei ertrunkenen Flüchtlingen leisten. Sarvari ist einer von 36 Auswanderern, die seit 2003 in Mytilini beerdigt wurden.
Tausende Flüchtlinge steuern von der Türkei aus die griechische Küste an. Im vergangenen Jahr wurden binnen neun Monaten einer Statistik zufolge 23.000 Flüchtlinge aufgegriffen. Die Inseln Lesbos, Samos, Kos und Chios sind ein wichtiger Landepunkt auf dem Weg in die EU. Kaum mehr als sieben Kilometer trennen Lesbos von der Türkei. 2006 ertranken in der Ägäis amtlichen angaben zufolge 23 illegale Einwanderer; in diesem Jahr wurden bisher 26 Leichen an Land gespült. Mehr als 45 Menschen werden seit verschiedenen Schiffsunglücken vermisst.
Dass viele Fahrten über das Meer in einer Tragödie enden, sei angesichts der Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge unterwegs seien, nicht verwunderlich, sagt der Chef der Hafenpolizei von Lesbos, Apostolos Mitromastoras. "Zu Dutzenden machen sich die Flüchtlinge auf den Weg. Dicht in Schlauchbooten zusammengepfercht, riskieren sie in der Ägäis ihr Leben", erzählt er. "Manchmal schlitzen Schmugglerbanden die Boote auf, wenn die Menschen ihnen Geld schuldig sind. Viele Flüchtlinge können nicht schwimmen", ergänzt Mitromastoras.
An den Stränden oder auf Felsvorsprüngen werden die meisten Schiffbrüchigen entdeckt. "Sie tragen Schwimmwesten und manchmal vier Hosen übereinander", sagt der Bestatter Panagiotis Kalafatis, der oft angerufen wird, wenn Leichen geborgen werden müssen. "In ihren Taschen finden wir Schokolade, eine Taschenlampe oder ein Amulett, aber nie Geld", fügt er hinzu. Und weil Flüchtlinge selten einen Ausweis bei sich tragen, ist die Nummerierung der Gräber der einzige Weg, sie zu unterscheiden.
Beamte der Hafenpolizei und der Behörde, die das Begräbnis bezahlen, sind oft die einzigen, die zu den Beisetzungen gehen.